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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

in zwergenhafter Höhe an der Tischplatte empor. Sein gutmütiges Antlitz
strahlt in stiller Fröhlichkeit, und darauf erglänzen, dicht verstreut, große
Schweißperlen.

Wenn einer ihn fragt: "Lieber Tierarzt, warum schwitzen Sie heute wieder
so?", dann erhält er die liebenswürdige Auskunft: "Weil mir das Spaß macht."

Sein Sofapartner ist der "Herr Vorsteher", und zwar der Königliche Prä-
parandenanstaltsvorsteher, nicht zu verwechseln mit dem anderen "Herrn Vor¬
steher", der das hiesige Postamt verwaltet, und dem dritten, der um Ostern herum
als der "Herr Vorsteher" des neuen Bahnhofs einrückt, sobald die erste Eisen¬
bahn hierher in Betrieb gesetzt wird.

Die gleiche Titulatur dieser drei Herrscher wird noch Komödien gebären.

Besagter Herr Vorsteher also, der Leiter der hiesigen Präparandenschule,
ist ein humorvoller, guter Mann. Die Würde seines Amtes aber läßt er gern
nach der Außenseite durchscheinen und trägt sie mit etwas steifer Grandezza.
Seine Bewegungen sind gemessen, die Worte kommen langsam und wohlgesetzt in
tiefstem Männerhaß hervor mit sorgsam beachteter Akzentuierung jedes einzelnen
Lautes. Ich glaube nicht, daß er sich, wenigstens seit er dieses verantwortungs¬
vollen Amtes waltet, schon einmal versprochen hat. Kein "s", kein "r", keine
Endsilbe wird leichtfertig von ihm unterschlagen.

An den Längsseiten sitzen die übrigen, normalen Mitglieder, unter ihnen
die beiden Ärzte, die wegen ihrer Nebenbuhlerschaft klugerweise die Eckplatze in
der längsten Diagonale einander gegenüber einnehmen. Alle tragen auf dem
Kopfe eine rote Troddelmütze. ^

Auf dem Tische stehen blecherne und hölzerne Tabakskästen mit und ohne
Muschelverzierung und Aschenbecher von verschiedenster Gestalt, die meisten mit
irgendeiner geistreichen Aufschrift.

Am monumentalsten aber wirkt die gewaltige Kuhglocke, die von dem
Präsidenten jedesmal in mächtige Schwingungen gesetzt wird, wenn Franz
kommen soll, um mit einer großzackigen Säge den blauen Hecht zu durch¬
schneiden, oder wenn ein verspätetes Mitglied den geweihten Raum betritt, oder
wenn es ihn selbst gelüstet, eine Rede in die Welt zu setzen.

Das geschah natürlich auch gestern. Mit einiger Umständlichkeit erhob sich
der wackere Tierarzt; das Sofa verlor dadurch seine Spannung, und tief zu
Tal sank neben ihm der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher, der in Hinsicht
seiner leiblichen Proportionen auch nicht von Pappe ist. -- Seine Korpulenz,
der Tierarzt, entledigte sich nunmehr folgender Ansprache:

"Meine lieben Pipenbrüder! Wir haben heute Abend das Vergnügen und
die Freude, zum erstenmal ein neues, wohlfrisiertes Mitglied in unserer Mitte
begrüßen zu können. Das ist unser verehrter Korrektor. Wir wissen alle, daß
die jungen Damen von Trebeldorf ihr schmachtendes Auge auf ihn werfen, und
wir müssen ehrlich gestehen, daß auch wir unsere Netze nach ihm ausgeworfen
haben. Er ist hineingegangen.


Briefe aus Trebeldorf

in zwergenhafter Höhe an der Tischplatte empor. Sein gutmütiges Antlitz
strahlt in stiller Fröhlichkeit, und darauf erglänzen, dicht verstreut, große
Schweißperlen.

Wenn einer ihn fragt: „Lieber Tierarzt, warum schwitzen Sie heute wieder
so?", dann erhält er die liebenswürdige Auskunft: „Weil mir das Spaß macht."

Sein Sofapartner ist der „Herr Vorsteher", und zwar der Königliche Prä-
parandenanstaltsvorsteher, nicht zu verwechseln mit dem anderen „Herrn Vor¬
steher", der das hiesige Postamt verwaltet, und dem dritten, der um Ostern herum
als der „Herr Vorsteher" des neuen Bahnhofs einrückt, sobald die erste Eisen¬
bahn hierher in Betrieb gesetzt wird.

Die gleiche Titulatur dieser drei Herrscher wird noch Komödien gebären.

Besagter Herr Vorsteher also, der Leiter der hiesigen Präparandenschule,
ist ein humorvoller, guter Mann. Die Würde seines Amtes aber läßt er gern
nach der Außenseite durchscheinen und trägt sie mit etwas steifer Grandezza.
Seine Bewegungen sind gemessen, die Worte kommen langsam und wohlgesetzt in
tiefstem Männerhaß hervor mit sorgsam beachteter Akzentuierung jedes einzelnen
Lautes. Ich glaube nicht, daß er sich, wenigstens seit er dieses verantwortungs¬
vollen Amtes waltet, schon einmal versprochen hat. Kein „s", kein „r", keine
Endsilbe wird leichtfertig von ihm unterschlagen.

An den Längsseiten sitzen die übrigen, normalen Mitglieder, unter ihnen
die beiden Ärzte, die wegen ihrer Nebenbuhlerschaft klugerweise die Eckplatze in
der längsten Diagonale einander gegenüber einnehmen. Alle tragen auf dem
Kopfe eine rote Troddelmütze. ^

Auf dem Tische stehen blecherne und hölzerne Tabakskästen mit und ohne
Muschelverzierung und Aschenbecher von verschiedenster Gestalt, die meisten mit
irgendeiner geistreichen Aufschrift.

Am monumentalsten aber wirkt die gewaltige Kuhglocke, die von dem
Präsidenten jedesmal in mächtige Schwingungen gesetzt wird, wenn Franz
kommen soll, um mit einer großzackigen Säge den blauen Hecht zu durch¬
schneiden, oder wenn ein verspätetes Mitglied den geweihten Raum betritt, oder
wenn es ihn selbst gelüstet, eine Rede in die Welt zu setzen.

Das geschah natürlich auch gestern. Mit einiger Umständlichkeit erhob sich
der wackere Tierarzt; das Sofa verlor dadurch seine Spannung, und tief zu
Tal sank neben ihm der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher, der in Hinsicht
seiner leiblichen Proportionen auch nicht von Pappe ist. — Seine Korpulenz,
der Tierarzt, entledigte sich nunmehr folgender Ansprache:

„Meine lieben Pipenbrüder! Wir haben heute Abend das Vergnügen und
die Freude, zum erstenmal ein neues, wohlfrisiertes Mitglied in unserer Mitte
begrüßen zu können. Das ist unser verehrter Korrektor. Wir wissen alle, daß
die jungen Damen von Trebeldorf ihr schmachtendes Auge auf ihn werfen, und
wir müssen ehrlich gestehen, daß auch wir unsere Netze nach ihm ausgeworfen
haben. Er ist hineingegangen.


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[0337] Briefe aus Trebeldorf in zwergenhafter Höhe an der Tischplatte empor. Sein gutmütiges Antlitz strahlt in stiller Fröhlichkeit, und darauf erglänzen, dicht verstreut, große Schweißperlen. Wenn einer ihn fragt: „Lieber Tierarzt, warum schwitzen Sie heute wieder so?", dann erhält er die liebenswürdige Auskunft: „Weil mir das Spaß macht." Sein Sofapartner ist der „Herr Vorsteher", und zwar der Königliche Prä- parandenanstaltsvorsteher, nicht zu verwechseln mit dem anderen „Herrn Vor¬ steher", der das hiesige Postamt verwaltet, und dem dritten, der um Ostern herum als der „Herr Vorsteher" des neuen Bahnhofs einrückt, sobald die erste Eisen¬ bahn hierher in Betrieb gesetzt wird. Die gleiche Titulatur dieser drei Herrscher wird noch Komödien gebären. Besagter Herr Vorsteher also, der Leiter der hiesigen Präparandenschule, ist ein humorvoller, guter Mann. Die Würde seines Amtes aber läßt er gern nach der Außenseite durchscheinen und trägt sie mit etwas steifer Grandezza. Seine Bewegungen sind gemessen, die Worte kommen langsam und wohlgesetzt in tiefstem Männerhaß hervor mit sorgsam beachteter Akzentuierung jedes einzelnen Lautes. Ich glaube nicht, daß er sich, wenigstens seit er dieses verantwortungs¬ vollen Amtes waltet, schon einmal versprochen hat. Kein „s", kein „r", keine Endsilbe wird leichtfertig von ihm unterschlagen. An den Längsseiten sitzen die übrigen, normalen Mitglieder, unter ihnen die beiden Ärzte, die wegen ihrer Nebenbuhlerschaft klugerweise die Eckplatze in der längsten Diagonale einander gegenüber einnehmen. Alle tragen auf dem Kopfe eine rote Troddelmütze. ^ Auf dem Tische stehen blecherne und hölzerne Tabakskästen mit und ohne Muschelverzierung und Aschenbecher von verschiedenster Gestalt, die meisten mit irgendeiner geistreichen Aufschrift. Am monumentalsten aber wirkt die gewaltige Kuhglocke, die von dem Präsidenten jedesmal in mächtige Schwingungen gesetzt wird, wenn Franz kommen soll, um mit einer großzackigen Säge den blauen Hecht zu durch¬ schneiden, oder wenn ein verspätetes Mitglied den geweihten Raum betritt, oder wenn es ihn selbst gelüstet, eine Rede in die Welt zu setzen. Das geschah natürlich auch gestern. Mit einiger Umständlichkeit erhob sich der wackere Tierarzt; das Sofa verlor dadurch seine Spannung, und tief zu Tal sank neben ihm der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher, der in Hinsicht seiner leiblichen Proportionen auch nicht von Pappe ist. — Seine Korpulenz, der Tierarzt, entledigte sich nunmehr folgender Ansprache: „Meine lieben Pipenbrüder! Wir haben heute Abend das Vergnügen und die Freude, zum erstenmal ein neues, wohlfrisiertes Mitglied in unserer Mitte begrüßen zu können. Das ist unser verehrter Korrektor. Wir wissen alle, daß die jungen Damen von Trebeldorf ihr schmachtendes Auge auf ihn werfen, und wir müssen ehrlich gestehen, daß auch wir unsere Netze nach ihm ausgeworfen haben. Er ist hineingegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/337>, abgerufen am 22.12.2024.