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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Freie keine Eingesessene in Trebeldorf. Du bist versemt. -- Führe keine
Fremde heim. Du bist verflucht.--Wolle nicht weiblos bleiben. Du bist verstoßen. --

Und der vierte Weg? Raube keinem die Hoffnung, aber gewähre sie auch
keinem! schreite stumm durch die Mitte! Lächle vielsagend und spanne Deinen
Regenschirm auf, wenns zu tröpfeln beginnt!

Vor dem "Verplempern" habe keine Angst, lieber Cunz. Ich bin meiner
sicher. Dabei beruhige Dich!


Leb wohl! -- Fünf Wochen noch, dann hab ich Dich! Hallelujah! Dein Edward.

Trebeldorf, den 28. November 19 . .


Lieber Cunz,

weißt Du, was der "Pipenklub" ist? -- Das ist die Qualm- und Quassel¬
vereinigung der Honoratioren von Trebeldorf.

Um wenigstens Deinen guten Rat nicht ganz am Wege liegen zu lassen
und mich nach besten Kräften gegen das Versimpeln zu wehren, habe ich mich
kurzerhand entschlossen, dieser hochwerten Brüderschaft beizutreten.

Ob das nun wirklich gegen benannte Gefahr Immunität verleiht, und ob
man sich auf diesem Wege in die Kleinstädterei nicht mehr hineinsimpelt als
heraus, bleibt allenfalls abzuwarten.

Indessen, welcher Mensch ist mit Geist und Seele so reich begnadet, daß
er für alle Dauer sich selbst genug sein und Herz und Hirn immer wieder
speisen könnte von seiner Selbstinnerlichkeit?

Ich vermöchts nicht. Darum habe ich den Sprung getan.

An jedem Donnerstagabend findet eine Sitzung statt, und gestern habe ich
die erste mitgemacht. Darob war eitel Freude unter den übrigen vierzehn
Pfeifenbrüdern, die mir zu Ehren sich vollzählig versammelt hatten.

Da mehr als die Hälfte von ihnen tatsächlich aus langen Pfeifen qualmt --
die übrigen passen Zigarren --, so magst Du leicht ermessen, welch undurch¬
dringlich blaues Gewölk schon in der ersten Viertelstunde das kleine Hinterzimmer
bei Holzberg durchflutet.

Hochlöblicher Präside ist Seine Korpulenz, der Tierarzt, ein Mann von
wahrhaft gesegnetem Leibesumfange. Ich besinne mich nicht, je seinesgleichen
gesehen zu haben.

Er hat seinen Herrschersitz an der einen Schmalseite des langen Tisches auf
dem schwarzen Ledersofa. Sobald er sich niederläßt auf diesen Platz, vernimmt
man ein lautes Krachen und Singen der Sprungfedern unter ihm, und wer
an das Schauspiel nicht gewöhnt ist, den packt das bleiche Entsetzen, und eine
bebende Angst durchrieselt ihn, der Mann möchte tiefer und tiefer sinken, um
schließlich durch den Erdboden hinweg ganz im finstern Orkus zu verschwinden.

Zu guter Letzt aber bekommt er doch festes Land unter seinen Hosenboden.
Dann ragt er trotz seiner riesigen Leibeslänge aus seinem tiefen Tal nur noch


Briefe aus Trebeldorf

Freie keine Eingesessene in Trebeldorf. Du bist versemt. — Führe keine
Fremde heim. Du bist verflucht.—Wolle nicht weiblos bleiben. Du bist verstoßen. —

Und der vierte Weg? Raube keinem die Hoffnung, aber gewähre sie auch
keinem! schreite stumm durch die Mitte! Lächle vielsagend und spanne Deinen
Regenschirm auf, wenns zu tröpfeln beginnt!

Vor dem „Verplempern" habe keine Angst, lieber Cunz. Ich bin meiner
sicher. Dabei beruhige Dich!


Leb wohl! — Fünf Wochen noch, dann hab ich Dich! Hallelujah! Dein Edward.

Trebeldorf, den 28. November 19 . .


Lieber Cunz,

weißt Du, was der „Pipenklub" ist? — Das ist die Qualm- und Quassel¬
vereinigung der Honoratioren von Trebeldorf.

Um wenigstens Deinen guten Rat nicht ganz am Wege liegen zu lassen
und mich nach besten Kräften gegen das Versimpeln zu wehren, habe ich mich
kurzerhand entschlossen, dieser hochwerten Brüderschaft beizutreten.

Ob das nun wirklich gegen benannte Gefahr Immunität verleiht, und ob
man sich auf diesem Wege in die Kleinstädterei nicht mehr hineinsimpelt als
heraus, bleibt allenfalls abzuwarten.

Indessen, welcher Mensch ist mit Geist und Seele so reich begnadet, daß
er für alle Dauer sich selbst genug sein und Herz und Hirn immer wieder
speisen könnte von seiner Selbstinnerlichkeit?

Ich vermöchts nicht. Darum habe ich den Sprung getan.

An jedem Donnerstagabend findet eine Sitzung statt, und gestern habe ich
die erste mitgemacht. Darob war eitel Freude unter den übrigen vierzehn
Pfeifenbrüdern, die mir zu Ehren sich vollzählig versammelt hatten.

Da mehr als die Hälfte von ihnen tatsächlich aus langen Pfeifen qualmt —
die übrigen passen Zigarren —, so magst Du leicht ermessen, welch undurch¬
dringlich blaues Gewölk schon in der ersten Viertelstunde das kleine Hinterzimmer
bei Holzberg durchflutet.

Hochlöblicher Präside ist Seine Korpulenz, der Tierarzt, ein Mann von
wahrhaft gesegnetem Leibesumfange. Ich besinne mich nicht, je seinesgleichen
gesehen zu haben.

Er hat seinen Herrschersitz an der einen Schmalseite des langen Tisches auf
dem schwarzen Ledersofa. Sobald er sich niederläßt auf diesen Platz, vernimmt
man ein lautes Krachen und Singen der Sprungfedern unter ihm, und wer
an das Schauspiel nicht gewöhnt ist, den packt das bleiche Entsetzen, und eine
bebende Angst durchrieselt ihn, der Mann möchte tiefer und tiefer sinken, um
schließlich durch den Erdboden hinweg ganz im finstern Orkus zu verschwinden.

Zu guter Letzt aber bekommt er doch festes Land unter seinen Hosenboden.
Dann ragt er trotz seiner riesigen Leibeslänge aus seinem tiefen Tal nur noch


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[0336] Briefe aus Trebeldorf Freie keine Eingesessene in Trebeldorf. Du bist versemt. — Führe keine Fremde heim. Du bist verflucht.—Wolle nicht weiblos bleiben. Du bist verstoßen. — Und der vierte Weg? Raube keinem die Hoffnung, aber gewähre sie auch keinem! schreite stumm durch die Mitte! Lächle vielsagend und spanne Deinen Regenschirm auf, wenns zu tröpfeln beginnt! Vor dem „Verplempern" habe keine Angst, lieber Cunz. Ich bin meiner sicher. Dabei beruhige Dich! Leb wohl! — Fünf Wochen noch, dann hab ich Dich! Hallelujah! Dein Edward. Trebeldorf, den 28. November 19 . . Lieber Cunz, weißt Du, was der „Pipenklub" ist? — Das ist die Qualm- und Quassel¬ vereinigung der Honoratioren von Trebeldorf. Um wenigstens Deinen guten Rat nicht ganz am Wege liegen zu lassen und mich nach besten Kräften gegen das Versimpeln zu wehren, habe ich mich kurzerhand entschlossen, dieser hochwerten Brüderschaft beizutreten. Ob das nun wirklich gegen benannte Gefahr Immunität verleiht, und ob man sich auf diesem Wege in die Kleinstädterei nicht mehr hineinsimpelt als heraus, bleibt allenfalls abzuwarten. Indessen, welcher Mensch ist mit Geist und Seele so reich begnadet, daß er für alle Dauer sich selbst genug sein und Herz und Hirn immer wieder speisen könnte von seiner Selbstinnerlichkeit? Ich vermöchts nicht. Darum habe ich den Sprung getan. An jedem Donnerstagabend findet eine Sitzung statt, und gestern habe ich die erste mitgemacht. Darob war eitel Freude unter den übrigen vierzehn Pfeifenbrüdern, die mir zu Ehren sich vollzählig versammelt hatten. Da mehr als die Hälfte von ihnen tatsächlich aus langen Pfeifen qualmt — die übrigen passen Zigarren —, so magst Du leicht ermessen, welch undurch¬ dringlich blaues Gewölk schon in der ersten Viertelstunde das kleine Hinterzimmer bei Holzberg durchflutet. Hochlöblicher Präside ist Seine Korpulenz, der Tierarzt, ein Mann von wahrhaft gesegnetem Leibesumfange. Ich besinne mich nicht, je seinesgleichen gesehen zu haben. Er hat seinen Herrschersitz an der einen Schmalseite des langen Tisches auf dem schwarzen Ledersofa. Sobald er sich niederläßt auf diesen Platz, vernimmt man ein lautes Krachen und Singen der Sprungfedern unter ihm, und wer an das Schauspiel nicht gewöhnt ist, den packt das bleiche Entsetzen, und eine bebende Angst durchrieselt ihn, der Mann möchte tiefer und tiefer sinken, um schließlich durch den Erdboden hinweg ganz im finstern Orkus zu verschwinden. Zu guter Letzt aber bekommt er doch festes Land unter seinen Hosenboden. Dann ragt er trotz seiner riesigen Leibeslänge aus seinem tiefen Tal nur noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/336>, abgerufen am 22.12.2024.