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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

V.August 1848 schreibt er aus Wien: "Es kommt zuweilen für ein ganzes
Volk wie für ein Individuum ein Moment, wo es mit den Sünden seiner
Vergangenheit brechen und ein neues Leben beginnen kann. Das ist dann aber
immer ein Moment, den die Nemesis überwacht, wie ihn die Gnade herbeiführt,
und an den sich der Untergang knüpft, wenn nicht unmittelbar die Auferstehung.
Für Deutschland ist er seit den Märztagen da, und man hat jetzt schon mehr
Grund zur Furcht als zur Hoffnung." Er erklärt, es sei jetzt noch nicht Zeit
für einen Kosmopolitismus, jede Nation besinne sich auf sich selbst und eben
deswegen müssen die Deutschen sich auch auf sich selbst besinnen: "Preußen
will, wie man allerorten liest und hört, nicht mehr in Deutschland aufgehen,
weil das ,in Österreich' aufgehen heißt. Hat das einen Sinn? Hat überhaupt
ein Volksstamm von einem anderen Volksstamm etwas zu besorgen, solange sie
alle gleichmäßig im Parlament vertreten sind? Und hat Preußen namentlich
das Mindeste von Österreich zu fürchten? ... Es ist nicht zu bezweifeln, daß
Preußen die Einheit Deutschlands hintertreibt, und Deutschland vernichten helfen
kann, wenn ihm wider alles Vermuten und Hoffen dieses Gelüst kommen sollte.
Aber es ist noch weniger zu bezweifeln, daß es dann mit untergehen müßte.
Der Arm kann freilich das Herz durchbohren, aber das ist dann auch entschieden
seine letzte Tat."

Im April wurde das vorläufige Preßgesetz publiziert, an dem Hebbel
scharfe Kritik übt, weil es vor allen Dingen das erste Erfordernis nicht erfüllt,
Geschworene für Preßvergehen einzusetzen. Er beklagt das Versehlte des Pre߬
gesetzes um so mehr, als er gerade von ihm erwartet hatte, es würde vorbildlich
für Deutschland werden und damit einen Schritt weiter zur Annäherung der
beiden Staaten bedeuten.




Am 25. April war dann die Konstitution wirklich gegeben worden, und
es herrschte großer Jubel in Wien, auf den durch die Unruhen des Mai der
Rückschlag folgte.

Als der Kaiser an: 18. Mai 1848 nach den Vorgängen des 15. Mai
infolge der Einflüsse der Kamarilla Wien verlassen und sich nach Innsbruck
begeben hatte, wobei die Kamarilla und der Klerus alles getan hatten, um
dieser Reise in den Augen des Kaisers einen fluchtähnlichen Charakter zu ver¬
leihen, veranlaßte der Wiener Schriftstellerverein die Entsendung einer Depu¬
tation nach Innsbruck, die mit der Überreichung einer Petition mit mehr als
hunderttausend Unterschriften den Kaiser um sofortige Rückkehr nach Wien bitten
sollte. Zu dieser Deputation gehörte Hebbel, und sein Bericht darüber zeichnet
sich aus durch die vollkommen klare Durchschauung der Vorgänge und die
plastische Darstellung der Persönlichkeiten. Das prachtvolle Porträt insbesondere,
das er vom Erzherzog Johann zeichnete, das Bild des schwachen Kaisers, des
Erzherzogs Franz Karl und der einflußreichen Umgebung prägen sich nuper-


Friedrich Hebbel als Politiker

V.August 1848 schreibt er aus Wien: „Es kommt zuweilen für ein ganzes
Volk wie für ein Individuum ein Moment, wo es mit den Sünden seiner
Vergangenheit brechen und ein neues Leben beginnen kann. Das ist dann aber
immer ein Moment, den die Nemesis überwacht, wie ihn die Gnade herbeiführt,
und an den sich der Untergang knüpft, wenn nicht unmittelbar die Auferstehung.
Für Deutschland ist er seit den Märztagen da, und man hat jetzt schon mehr
Grund zur Furcht als zur Hoffnung." Er erklärt, es sei jetzt noch nicht Zeit
für einen Kosmopolitismus, jede Nation besinne sich auf sich selbst und eben
deswegen müssen die Deutschen sich auch auf sich selbst besinnen: „Preußen
will, wie man allerorten liest und hört, nicht mehr in Deutschland aufgehen,
weil das ,in Österreich' aufgehen heißt. Hat das einen Sinn? Hat überhaupt
ein Volksstamm von einem anderen Volksstamm etwas zu besorgen, solange sie
alle gleichmäßig im Parlament vertreten sind? Und hat Preußen namentlich
das Mindeste von Österreich zu fürchten? ... Es ist nicht zu bezweifeln, daß
Preußen die Einheit Deutschlands hintertreibt, und Deutschland vernichten helfen
kann, wenn ihm wider alles Vermuten und Hoffen dieses Gelüst kommen sollte.
Aber es ist noch weniger zu bezweifeln, daß es dann mit untergehen müßte.
Der Arm kann freilich das Herz durchbohren, aber das ist dann auch entschieden
seine letzte Tat."

Im April wurde das vorläufige Preßgesetz publiziert, an dem Hebbel
scharfe Kritik übt, weil es vor allen Dingen das erste Erfordernis nicht erfüllt,
Geschworene für Preßvergehen einzusetzen. Er beklagt das Versehlte des Pre߬
gesetzes um so mehr, als er gerade von ihm erwartet hatte, es würde vorbildlich
für Deutschland werden und damit einen Schritt weiter zur Annäherung der
beiden Staaten bedeuten.




Am 25. April war dann die Konstitution wirklich gegeben worden, und
es herrschte großer Jubel in Wien, auf den durch die Unruhen des Mai der
Rückschlag folgte.

Als der Kaiser an: 18. Mai 1848 nach den Vorgängen des 15. Mai
infolge der Einflüsse der Kamarilla Wien verlassen und sich nach Innsbruck
begeben hatte, wobei die Kamarilla und der Klerus alles getan hatten, um
dieser Reise in den Augen des Kaisers einen fluchtähnlichen Charakter zu ver¬
leihen, veranlaßte der Wiener Schriftstellerverein die Entsendung einer Depu¬
tation nach Innsbruck, die mit der Überreichung einer Petition mit mehr als
hunderttausend Unterschriften den Kaiser um sofortige Rückkehr nach Wien bitten
sollte. Zu dieser Deputation gehörte Hebbel, und sein Bericht darüber zeichnet
sich aus durch die vollkommen klare Durchschauung der Vorgänge und die
plastische Darstellung der Persönlichkeiten. Das prachtvolle Porträt insbesondere,
das er vom Erzherzog Johann zeichnete, das Bild des schwachen Kaisers, des
Erzherzogs Franz Karl und der einflußreichen Umgebung prägen sich nuper-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/32>, abgerufen am 22.12.2024.