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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich hebbet als Politiker

neuem, durch Errichtung verschiedener Legionen der Nationalgarde, voneinander
absondern wollen.

Die ersten Anzeichen des Kommunismus hatten sich auch in den
Wiener Vorstädten gezeigt, aber die eigentliche sozialistische Propaganda war
1848 noch nicht bis Wien vorgedrungen, sie beschränkte sich noch auf die
westeuropäischen Städte. Aber der Vorgeschmack davon, den es in den Wiener
Vorstädten gegeben hatte, veranlaßt Hebbel zu der Erklärung: "Es rächt sich,
wenn der Kreis der Freiheit nicht so weit ausgedehnt wird, wie der Kreis der
Bildung sich ausgedehnt hat; es rächt sich jedoch nicht weniger, wenn man den
Kreis der Freiheit über den Kreis der Bildung hinaus erweitert, wenn man
der Bestialität Raum geben will sich auszudehnen."

Im nächsten Brief geht er auf die Stellung des Erzherzogs Albrecht ein.
Es war der Versuch gemacht worden, die Tätigkeit des Erzherzogs, dem die
Schuld an dem ersten Blutvergießen in Wien zufiel, das Gott sei Dank weniger
Opfer forderte als die Berliner Märztage, von jeder Schuld reinzuwaschen.
Diesem unglücklichen Versuch setzt Hebbel entgegen: "Es ist eine tragische, eine
unausweichbare Notwendigkeit, daß Opfer fallen müssen, wenn Prinzipien zu¬
sammenstoßen, und das Individuum, durch welches sie fallen, trägt bei dieser
in der Natur der Dinge liegenden Notwendigkeit nur eine relative Schuld. Das
fühlt, sobald die Leidenschaftlichkeit, die der Augenblick nun einmal mit sich
bringt, vorüber ist, ein Volk so gut wie es der einzelne fühlt, und es ist klug
genug, die eine Schuld, die das eine Individuum so gut auf sich geladen hätte
wie das andere, zu vergessen, aber freilich nur, um den unerläßlichen Preis,
daß sie anerkannt, daß sie nicht abgeleugnet, nicht dem armen und gemeinen
Mann, dem willenlosen Instrument, aufgebürdet werden."

Hebbel leugnet niemals die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich im Zu¬
sammenhalt des österreichischen Staates aus der Fülle seiner verschiedenen
Nationalitäten ergeben. Es ist bekannt, daß noch heutzutage der Kampf um die
Vorherrschaft in Österreich, der in den ungarischen Verfassungskämpfen zur
Wiener Oktoberrevolution führte, ein ungelöstes Problem ist. Hebbel stand diesen
Fragen als ein in Österreich heimisch gewordener Norddeutscher gegenüber. Er
predigt immer und immer wieder die Notwendigkeit des engen Anschlusses
Österreichs an Deutschland, er steht keinen Grund zu einer Scheidung zwischen
Preußen und Österreich, wenn man sich nur über die entscheidenden Grundsätze
einig sei, und ist fest überzeugt, daß ein Grotzdeutschland unter der Führung
von Österreich und Preußen das erstrebenswerte Ziel sei. Für ihn, wie für
die meisten seiner Zeitgenossen, deckte sich Preußen mit Reaktion, und eben
darum hielt er eine Alleinherrschaft Preußens in Deutschland vom deutschen
wie vom österreichischen Standpunkt aus für ein Unheil. Später haben sich
seine Anschauungen auch darin gewandelt, aber ungewandelt bleibt sein festes
und durch nichts zu erschütterndes Eintreten für das Deutschtum im Kampfe
gegen die von allen Seiten andringenden anderen Völkerschaften Österreichs. Am


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Friedrich hebbet als Politiker

neuem, durch Errichtung verschiedener Legionen der Nationalgarde, voneinander
absondern wollen.

Die ersten Anzeichen des Kommunismus hatten sich auch in den
Wiener Vorstädten gezeigt, aber die eigentliche sozialistische Propaganda war
1848 noch nicht bis Wien vorgedrungen, sie beschränkte sich noch auf die
westeuropäischen Städte. Aber der Vorgeschmack davon, den es in den Wiener
Vorstädten gegeben hatte, veranlaßt Hebbel zu der Erklärung: „Es rächt sich,
wenn der Kreis der Freiheit nicht so weit ausgedehnt wird, wie der Kreis der
Bildung sich ausgedehnt hat; es rächt sich jedoch nicht weniger, wenn man den
Kreis der Freiheit über den Kreis der Bildung hinaus erweitert, wenn man
der Bestialität Raum geben will sich auszudehnen."

Im nächsten Brief geht er auf die Stellung des Erzherzogs Albrecht ein.
Es war der Versuch gemacht worden, die Tätigkeit des Erzherzogs, dem die
Schuld an dem ersten Blutvergießen in Wien zufiel, das Gott sei Dank weniger
Opfer forderte als die Berliner Märztage, von jeder Schuld reinzuwaschen.
Diesem unglücklichen Versuch setzt Hebbel entgegen: „Es ist eine tragische, eine
unausweichbare Notwendigkeit, daß Opfer fallen müssen, wenn Prinzipien zu¬
sammenstoßen, und das Individuum, durch welches sie fallen, trägt bei dieser
in der Natur der Dinge liegenden Notwendigkeit nur eine relative Schuld. Das
fühlt, sobald die Leidenschaftlichkeit, die der Augenblick nun einmal mit sich
bringt, vorüber ist, ein Volk so gut wie es der einzelne fühlt, und es ist klug
genug, die eine Schuld, die das eine Individuum so gut auf sich geladen hätte
wie das andere, zu vergessen, aber freilich nur, um den unerläßlichen Preis,
daß sie anerkannt, daß sie nicht abgeleugnet, nicht dem armen und gemeinen
Mann, dem willenlosen Instrument, aufgebürdet werden."

Hebbel leugnet niemals die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich im Zu¬
sammenhalt des österreichischen Staates aus der Fülle seiner verschiedenen
Nationalitäten ergeben. Es ist bekannt, daß noch heutzutage der Kampf um die
Vorherrschaft in Österreich, der in den ungarischen Verfassungskämpfen zur
Wiener Oktoberrevolution führte, ein ungelöstes Problem ist. Hebbel stand diesen
Fragen als ein in Österreich heimisch gewordener Norddeutscher gegenüber. Er
predigt immer und immer wieder die Notwendigkeit des engen Anschlusses
Österreichs an Deutschland, er steht keinen Grund zu einer Scheidung zwischen
Preußen und Österreich, wenn man sich nur über die entscheidenden Grundsätze
einig sei, und ist fest überzeugt, daß ein Grotzdeutschland unter der Führung
von Österreich und Preußen das erstrebenswerte Ziel sei. Für ihn, wie für
die meisten seiner Zeitgenossen, deckte sich Preußen mit Reaktion, und eben
darum hielt er eine Alleinherrschaft Preußens in Deutschland vom deutschen
wie vom österreichischen Standpunkt aus für ein Unheil. Später haben sich
seine Anschauungen auch darin gewandelt, aber ungewandelt bleibt sein festes
und durch nichts zu erschütterndes Eintreten für das Deutschtum im Kampfe
gegen die von allen Seiten andringenden anderen Völkerschaften Österreichs. Am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/31>, abgerufen am 04.07.2024.