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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

gänglich ein. Die Deputation erreichte ihren Zweck, daß der Kaiser baldige
Rückkehr versprach.

Auch hier, wo Hebbel die Fehler auf allen Seiten erkennt, spricht er nicht
von Recht und Unrecht, sondern begreift auch den Hof, die Kamarilla in ihrer
historischen Notwendigkeit. Nichts ist ihm verhaßter, als mit Fragen von
Schuld und Nichtschuld, von Recht und Unrecht die Dinge abzutun. Die
Tätigkeit der Radikalen empfand er wie eine Vergewaltigung der Natur. Sie
sahen nicht ein, daß der neugeschaffene Organismus allmählich wachsen mußte,
sondern verlangten, daß dieser neu gepflanzte Baum sofort Früchte trage. Hebbel
begriff, daß das Ziel erreicht worden war, das zunächst erreicht werden konnte, und
daß es nun auf diesem Grunde weiterzubauen galt. Die Radikalen aber arbeiteten
mit ihren Schlagworten weiter. Dem setzt Hebbel entgegen: "Revolutionszeiten
unterscheiden sich dadurch von anderen, daß der Weg zu einem solchen Ziel
schneller zurückgelegt, nicht aber dadurch, daß am Ziel weniger gefordert wird.
Es ist leicht, grauenhaft leicht, eine abstrakt alles und jedes versprechende Devise
an die Fahne zu stecken und unter einer solchen Fahne vorwärts zu kommen;
aber es ist unmöglich, die Devise praktisch zu machen, und sobald diese Un¬
möglichkeit sich aufdeckt, ereilt den unwissenden und gewissenlosen Fahnenträger
das Gericht."

Aus dem liberalen Demokraten Hebbel vor der Revolution und den ersten
Wochen nach der Revolution wird nun, als die Volksbewegung immer mehr
in falsche Bahnen gelangt, ein auch hier klar bleibender Kopf, der als Reaktionär
verschrieen wird, weil er nicht den Gesinnungswandel der Führer, der sogenannten
"schlechten Presse" mitmacht. Es war ihm zuwider, zu sehen, wie vielfach die¬
jenigen, die unter dem alten System gerade seine stärksten Vertreter gewesen
waren, nun mit aller Gewalt sich bemühten, ihre Vergangenheit vergessen
zu machen, indem sie sich radikal gebärdeten. Hebbel erkennt wohl an,
daß ein Gestnnungsumschwung, durch die Tatsachen herbeigeführt, durchaus
psychologisch begründet sein kann. Aber diejenigen, die eine solche Wandlung
durchmachen, müssen dann das Schamgefühl haben, diese Wandlung nicht aus¬
zuposaunen, sondern nur durch ihre stille Tat zu beweisen. "So lehrte der
Dichter und so handelte er selbst.

Die Ausschreitungen der Presse nach jeder Richtung hin widerten Hebbel
an. und dennoch erkannte er auch hier, welches Unrecht den Juden geschah,
wenn durchweg "schlechte Presse" und "jüdische Presse" gleichgestellt wurden.
Das Hineinspielen des Antisemitismus in die reaktionäre Bewegung hat er
durchaus bekämpft.

Es war nur natürlich, daß Hebbel mit seinen Anschauungen von dem
politischen Schauplatz bald zurücktreten mußte, er stand zu isoliert da: so be¬
gnügte er sich mit der Berichterstattung an die Allgemeine Zeitung. Als Kan¬
didat fiel er bei den Wahlen durch, vermutlich weil seine norddeutsche Sprech¬
weise den Wählern seines Bezirks fremdartig erschien.


Friedrich Hebbel als Politiker

gänglich ein. Die Deputation erreichte ihren Zweck, daß der Kaiser baldige
Rückkehr versprach.

Auch hier, wo Hebbel die Fehler auf allen Seiten erkennt, spricht er nicht
von Recht und Unrecht, sondern begreift auch den Hof, die Kamarilla in ihrer
historischen Notwendigkeit. Nichts ist ihm verhaßter, als mit Fragen von
Schuld und Nichtschuld, von Recht und Unrecht die Dinge abzutun. Die
Tätigkeit der Radikalen empfand er wie eine Vergewaltigung der Natur. Sie
sahen nicht ein, daß der neugeschaffene Organismus allmählich wachsen mußte,
sondern verlangten, daß dieser neu gepflanzte Baum sofort Früchte trage. Hebbel
begriff, daß das Ziel erreicht worden war, das zunächst erreicht werden konnte, und
daß es nun auf diesem Grunde weiterzubauen galt. Die Radikalen aber arbeiteten
mit ihren Schlagworten weiter. Dem setzt Hebbel entgegen: „Revolutionszeiten
unterscheiden sich dadurch von anderen, daß der Weg zu einem solchen Ziel
schneller zurückgelegt, nicht aber dadurch, daß am Ziel weniger gefordert wird.
Es ist leicht, grauenhaft leicht, eine abstrakt alles und jedes versprechende Devise
an die Fahne zu stecken und unter einer solchen Fahne vorwärts zu kommen;
aber es ist unmöglich, die Devise praktisch zu machen, und sobald diese Un¬
möglichkeit sich aufdeckt, ereilt den unwissenden und gewissenlosen Fahnenträger
das Gericht."

Aus dem liberalen Demokraten Hebbel vor der Revolution und den ersten
Wochen nach der Revolution wird nun, als die Volksbewegung immer mehr
in falsche Bahnen gelangt, ein auch hier klar bleibender Kopf, der als Reaktionär
verschrieen wird, weil er nicht den Gesinnungswandel der Führer, der sogenannten
„schlechten Presse" mitmacht. Es war ihm zuwider, zu sehen, wie vielfach die¬
jenigen, die unter dem alten System gerade seine stärksten Vertreter gewesen
waren, nun mit aller Gewalt sich bemühten, ihre Vergangenheit vergessen
zu machen, indem sie sich radikal gebärdeten. Hebbel erkennt wohl an,
daß ein Gestnnungsumschwung, durch die Tatsachen herbeigeführt, durchaus
psychologisch begründet sein kann. Aber diejenigen, die eine solche Wandlung
durchmachen, müssen dann das Schamgefühl haben, diese Wandlung nicht aus¬
zuposaunen, sondern nur durch ihre stille Tat zu beweisen. „So lehrte der
Dichter und so handelte er selbst.

Die Ausschreitungen der Presse nach jeder Richtung hin widerten Hebbel
an. und dennoch erkannte er auch hier, welches Unrecht den Juden geschah,
wenn durchweg „schlechte Presse" und „jüdische Presse" gleichgestellt wurden.
Das Hineinspielen des Antisemitismus in die reaktionäre Bewegung hat er
durchaus bekämpft.

Es war nur natürlich, daß Hebbel mit seinen Anschauungen von dem
politischen Schauplatz bald zurücktreten mußte, er stand zu isoliert da: so be¬
gnügte er sich mit der Berichterstattung an die Allgemeine Zeitung. Als Kan¬
didat fiel er bei den Wahlen durch, vermutlich weil seine norddeutsche Sprech¬
weise den Wählern seines Bezirks fremdartig erschien.


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[0033] Friedrich Hebbel als Politiker gänglich ein. Die Deputation erreichte ihren Zweck, daß der Kaiser baldige Rückkehr versprach. Auch hier, wo Hebbel die Fehler auf allen Seiten erkennt, spricht er nicht von Recht und Unrecht, sondern begreift auch den Hof, die Kamarilla in ihrer historischen Notwendigkeit. Nichts ist ihm verhaßter, als mit Fragen von Schuld und Nichtschuld, von Recht und Unrecht die Dinge abzutun. Die Tätigkeit der Radikalen empfand er wie eine Vergewaltigung der Natur. Sie sahen nicht ein, daß der neugeschaffene Organismus allmählich wachsen mußte, sondern verlangten, daß dieser neu gepflanzte Baum sofort Früchte trage. Hebbel begriff, daß das Ziel erreicht worden war, das zunächst erreicht werden konnte, und daß es nun auf diesem Grunde weiterzubauen galt. Die Radikalen aber arbeiteten mit ihren Schlagworten weiter. Dem setzt Hebbel entgegen: „Revolutionszeiten unterscheiden sich dadurch von anderen, daß der Weg zu einem solchen Ziel schneller zurückgelegt, nicht aber dadurch, daß am Ziel weniger gefordert wird. Es ist leicht, grauenhaft leicht, eine abstrakt alles und jedes versprechende Devise an die Fahne zu stecken und unter einer solchen Fahne vorwärts zu kommen; aber es ist unmöglich, die Devise praktisch zu machen, und sobald diese Un¬ möglichkeit sich aufdeckt, ereilt den unwissenden und gewissenlosen Fahnenträger das Gericht." Aus dem liberalen Demokraten Hebbel vor der Revolution und den ersten Wochen nach der Revolution wird nun, als die Volksbewegung immer mehr in falsche Bahnen gelangt, ein auch hier klar bleibender Kopf, der als Reaktionär verschrieen wird, weil er nicht den Gesinnungswandel der Führer, der sogenannten „schlechten Presse" mitmacht. Es war ihm zuwider, zu sehen, wie vielfach die¬ jenigen, die unter dem alten System gerade seine stärksten Vertreter gewesen waren, nun mit aller Gewalt sich bemühten, ihre Vergangenheit vergessen zu machen, indem sie sich radikal gebärdeten. Hebbel erkennt wohl an, daß ein Gestnnungsumschwung, durch die Tatsachen herbeigeführt, durchaus psychologisch begründet sein kann. Aber diejenigen, die eine solche Wandlung durchmachen, müssen dann das Schamgefühl haben, diese Wandlung nicht aus¬ zuposaunen, sondern nur durch ihre stille Tat zu beweisen. „So lehrte der Dichter und so handelte er selbst. Die Ausschreitungen der Presse nach jeder Richtung hin widerten Hebbel an. und dennoch erkannte er auch hier, welches Unrecht den Juden geschah, wenn durchweg „schlechte Presse" und „jüdische Presse" gleichgestellt wurden. Das Hineinspielen des Antisemitismus in die reaktionäre Bewegung hat er durchaus bekämpft. Es war nur natürlich, daß Hebbel mit seinen Anschauungen von dem politischen Schauplatz bald zurücktreten mußte, er stand zu isoliert da: so be¬ gnügte er sich mit der Berichterstattung an die Allgemeine Zeitung. Als Kan¬ didat fiel er bei den Wahlen durch, vermutlich weil seine norddeutsche Sprech¬ weise den Wählern seines Bezirks fremdartig erschien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/33>, abgerufen am 04.07.2024.