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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

und eben darum wurde Poincare wütender bekämpft als je einer seiner Vor¬
gänger. Es entsteht nun die Frage: Was soll und kann eigentlich mit der
Präsidentschaft Poincarös anders werden als früher?

Es ist die eigentümlich verworrene Lage der Parteien, die die Besonderheit
der gegenwärtigen politischen Verhältnisse Frankreichs ausmacht. Um das zu
erläutern, wird ein kurzer Rückblick notwendig sein. Stellung und Rechte des
Präsidenten der Republik beruhen zurzeit auf der Verfassung von 1875. Sie
stammen also aus jener merkwürdigen Übergangszeit, als die Kammer eine
monarchische Mehrheit hatte und es nur durch die Uneinigkeit der Monarchisten
und die persönlichen Verhältnisse der verschiedenen Prätendenten verhindert
wurde, daß Frankreich zur Monarchie zurückkehrte. Die Republik, für die man
sich vorläufig entschieden hatte, sollte nur die neutrale Form sein, die den
Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten Zeit und Ruhe gewähren sollte, um
sich zu einigen und zu organisieren. In Wahrheit war sie wohl mehr der
Schleier, der die Unfähigkeit und den Mangel an Initiative bei diesen
Monarchisten zudecken sollte, bis vielleicht bessere Zeiten kamen. Das war die
Zeit der Präsidentschaft Mac Masons, der aus seinem Bekenntnis zu einer
konstitutionellen Monarchie im Sinne der Orleans nie ein Hehl gemacht hatte,
der aber zum Unglück für die französischen Monarchisten persönlich zu wenig
ehrgeizig, zu geradsinnig und zu wenig politisch veranlagt war, um die ihm
zugedachte Rolle mit Glück spielen zu können oder gar die Initiative zu einem
Staatsstreich zu finden. Die Sache kam also anders: der alte Marschall fühlte
die UnHaltbarkeit seiner Stellung und trat zurück, ohne den Ablauf seiner
Amtszeit abzuwarten; das französische Volk aber hatte inzwischen die Erfahrung
gemacht, daß die nun einmal zu Recht bestehende Form der Republik zurzeit
den einzigen und relativ besten Schutz gegen Intrigen und unerwünschte Um¬
wälzungen bildete und daß sie wenigstens die verfassungsmäßige Ehrlichkeit für
sich habe. Nun erst brachten die Wahlen eine republikanische Mehrheit, die
den Monarchisten jede Hoffnung raubte. Erst seit der Wahl Grewys zum
Präsidenten besteht in Wahrheit die dritte Republik.

Damit rückte die Frage in den Vordergrund, welche Form diese Republik,
die nun selbst aufgehört hatte, bloße Form zu sein und ein Prinzip geworden
war, haben sollte. Sollte es die sogenannte konservative Republik sein, die
sich von der parlamentarischen Monarchie nur dadurch unterschied, daß sie auch
die höchste Gewalt im Staate ausschließlich dem Willen des souveränen Volks
unterwarf? Oder sollte die neue Republik die Verwirklichung der Demokratie
sein, die Ernst machte mit dem alten Schlachtruf der großen Revolution:
"I^iberts! LMljtöl ^l-aterrut6!"? Es wurde das Verhängnis der Republik,
daß es zu einer ehrlichen und vollständigen Auseinandersetzung dieser beiden
Prinzipien nicht kam. Die Geschichte der beständig wechselnden Ministerien
Zeigt zwar in dieser Zeit die zunehmende Demokratisierung des Staats. Aber
bei den Wahlen für die höchste Stelle ini Staate machten sich auf das stärkste


Der Präsident der französischen Republik

und eben darum wurde Poincare wütender bekämpft als je einer seiner Vor¬
gänger. Es entsteht nun die Frage: Was soll und kann eigentlich mit der
Präsidentschaft Poincarös anders werden als früher?

Es ist die eigentümlich verworrene Lage der Parteien, die die Besonderheit
der gegenwärtigen politischen Verhältnisse Frankreichs ausmacht. Um das zu
erläutern, wird ein kurzer Rückblick notwendig sein. Stellung und Rechte des
Präsidenten der Republik beruhen zurzeit auf der Verfassung von 1875. Sie
stammen also aus jener merkwürdigen Übergangszeit, als die Kammer eine
monarchische Mehrheit hatte und es nur durch die Uneinigkeit der Monarchisten
und die persönlichen Verhältnisse der verschiedenen Prätendenten verhindert
wurde, daß Frankreich zur Monarchie zurückkehrte. Die Republik, für die man
sich vorläufig entschieden hatte, sollte nur die neutrale Form sein, die den
Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten Zeit und Ruhe gewähren sollte, um
sich zu einigen und zu organisieren. In Wahrheit war sie wohl mehr der
Schleier, der die Unfähigkeit und den Mangel an Initiative bei diesen
Monarchisten zudecken sollte, bis vielleicht bessere Zeiten kamen. Das war die
Zeit der Präsidentschaft Mac Masons, der aus seinem Bekenntnis zu einer
konstitutionellen Monarchie im Sinne der Orleans nie ein Hehl gemacht hatte,
der aber zum Unglück für die französischen Monarchisten persönlich zu wenig
ehrgeizig, zu geradsinnig und zu wenig politisch veranlagt war, um die ihm
zugedachte Rolle mit Glück spielen zu können oder gar die Initiative zu einem
Staatsstreich zu finden. Die Sache kam also anders: der alte Marschall fühlte
die UnHaltbarkeit seiner Stellung und trat zurück, ohne den Ablauf seiner
Amtszeit abzuwarten; das französische Volk aber hatte inzwischen die Erfahrung
gemacht, daß die nun einmal zu Recht bestehende Form der Republik zurzeit
den einzigen und relativ besten Schutz gegen Intrigen und unerwünschte Um¬
wälzungen bildete und daß sie wenigstens die verfassungsmäßige Ehrlichkeit für
sich habe. Nun erst brachten die Wahlen eine republikanische Mehrheit, die
den Monarchisten jede Hoffnung raubte. Erst seit der Wahl Grewys zum
Präsidenten besteht in Wahrheit die dritte Republik.

Damit rückte die Frage in den Vordergrund, welche Form diese Republik,
die nun selbst aufgehört hatte, bloße Form zu sein und ein Prinzip geworden
war, haben sollte. Sollte es die sogenannte konservative Republik sein, die
sich von der parlamentarischen Monarchie nur dadurch unterschied, daß sie auch
die höchste Gewalt im Staate ausschließlich dem Willen des souveränen Volks
unterwarf? Oder sollte die neue Republik die Verwirklichung der Demokratie
sein, die Ernst machte mit dem alten Schlachtruf der großen Revolution:
»I^iberts! LMljtöl ^l-aterrut6!"? Es wurde das Verhängnis der Republik,
daß es zu einer ehrlichen und vollständigen Auseinandersetzung dieser beiden
Prinzipien nicht kam. Die Geschichte der beständig wechselnden Ministerien
Zeigt zwar in dieser Zeit die zunehmende Demokratisierung des Staats. Aber
bei den Wahlen für die höchste Stelle ini Staate machten sich auf das stärkste


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[0313] Der Präsident der französischen Republik und eben darum wurde Poincare wütender bekämpft als je einer seiner Vor¬ gänger. Es entsteht nun die Frage: Was soll und kann eigentlich mit der Präsidentschaft Poincarös anders werden als früher? Es ist die eigentümlich verworrene Lage der Parteien, die die Besonderheit der gegenwärtigen politischen Verhältnisse Frankreichs ausmacht. Um das zu erläutern, wird ein kurzer Rückblick notwendig sein. Stellung und Rechte des Präsidenten der Republik beruhen zurzeit auf der Verfassung von 1875. Sie stammen also aus jener merkwürdigen Übergangszeit, als die Kammer eine monarchische Mehrheit hatte und es nur durch die Uneinigkeit der Monarchisten und die persönlichen Verhältnisse der verschiedenen Prätendenten verhindert wurde, daß Frankreich zur Monarchie zurückkehrte. Die Republik, für die man sich vorläufig entschieden hatte, sollte nur die neutrale Form sein, die den Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten Zeit und Ruhe gewähren sollte, um sich zu einigen und zu organisieren. In Wahrheit war sie wohl mehr der Schleier, der die Unfähigkeit und den Mangel an Initiative bei diesen Monarchisten zudecken sollte, bis vielleicht bessere Zeiten kamen. Das war die Zeit der Präsidentschaft Mac Masons, der aus seinem Bekenntnis zu einer konstitutionellen Monarchie im Sinne der Orleans nie ein Hehl gemacht hatte, der aber zum Unglück für die französischen Monarchisten persönlich zu wenig ehrgeizig, zu geradsinnig und zu wenig politisch veranlagt war, um die ihm zugedachte Rolle mit Glück spielen zu können oder gar die Initiative zu einem Staatsstreich zu finden. Die Sache kam also anders: der alte Marschall fühlte die UnHaltbarkeit seiner Stellung und trat zurück, ohne den Ablauf seiner Amtszeit abzuwarten; das französische Volk aber hatte inzwischen die Erfahrung gemacht, daß die nun einmal zu Recht bestehende Form der Republik zurzeit den einzigen und relativ besten Schutz gegen Intrigen und unerwünschte Um¬ wälzungen bildete und daß sie wenigstens die verfassungsmäßige Ehrlichkeit für sich habe. Nun erst brachten die Wahlen eine republikanische Mehrheit, die den Monarchisten jede Hoffnung raubte. Erst seit der Wahl Grewys zum Präsidenten besteht in Wahrheit die dritte Republik. Damit rückte die Frage in den Vordergrund, welche Form diese Republik, die nun selbst aufgehört hatte, bloße Form zu sein und ein Prinzip geworden war, haben sollte. Sollte es die sogenannte konservative Republik sein, die sich von der parlamentarischen Monarchie nur dadurch unterschied, daß sie auch die höchste Gewalt im Staate ausschließlich dem Willen des souveränen Volks unterwarf? Oder sollte die neue Republik die Verwirklichung der Demokratie sein, die Ernst machte mit dem alten Schlachtruf der großen Revolution: »I^iberts! LMljtöl ^l-aterrut6!"? Es wurde das Verhängnis der Republik, daß es zu einer ehrlichen und vollständigen Auseinandersetzung dieser beiden Prinzipien nicht kam. Die Geschichte der beständig wechselnden Ministerien Zeigt zwar in dieser Zeit die zunehmende Demokratisierung des Staats. Aber bei den Wahlen für die höchste Stelle ini Staate machten sich auf das stärkste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/313>, abgerufen am 22.12.2024.