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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

entgegengesetzte Einflüsse geltend. Denn hier traten Monarchisten und konser¬
vative Republikaner, alle die Elemente, die sonst auf die republikanische Gesetz¬
gebung wenig Einfluß übten, weil sie unter sich selten einig waren, als
geschlossene Masse neben die nichtradikale republikanische Minderheit und
bildeten dadurch 'eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Diese Ver¬
hältnisse waren für die Entwicklung der Präsidentengewalt nicht günstig.
Sie hoben die Präsidenten nicht über die Parteien hinaus, sondern schufen nur
einen ständigen Mißklang zwischen der Exekutive, d. h. dem Ministerium,
und der höchsten Repräsentation des Staates. In diesem Widerstreit aber
mußten sich die durch die Kammermehrheit gestützten, radikalen Ministerpräsi¬
denten in der Regel als die Stärkeren erweisen. Am schärfsten trat dies hervor
in der Krisis, die Casimir-Perier zum Rücktritt von der Präsidentschaft, die er
nur sieben Monate geführt hatte, veranlaßte. Er und sein Vorgänger Carnot
waren den Radikalen schon deshalb unangenehm, weil sie ihre hervorragende
Stellung vor allem dem Umstand verdankten, daß sie Träger eines großen
Namens waren, der den republikanischen Massen Respekt einflößte, ohne daß
ihre wirkliche politische Gesinnung einer Feuerprobe unterworfen wurde. Die
Auswahl dieser Männer erschien den Radikalen als ein Trick der "Reaktionäre",
wodurch sie sich die Majorisierung der Radikalen bei der Präsidentenwahl
erleichterten. Die demokratischen Republikaner hatten dann wenigstens die
Genugtuung, daß der Rücktritt von Casimir - Perier in seinen Nachwirkungen
einen neuen Herrn von ganz anderer Art in das Elys6e brachte, nämlich in
Felix Faure zum erstenmal einen Vertreter des erwerbstätigen Bürgertums.
Nur schade, daß die feierliche Haltung und die fürstlichen Allüren, die der sonst
harmlose Mann angenommen hatte, seit er sich mit dem Selbstherrscher aller
Reußen verbrüdern durfte, die gallische Spottlust allzusehr herausforderten und
ihn gleichfalls zu einem Sorgenkinde des Radikalismus machten. Auch Faure
war kein Staatsleiter, der der Präsidentenwürde wirkliche Bedeutung geben
konnte.

Schon hatte um diese Zeit der Dreyfushandel die Gemüter in Bewegung
gesetzt, und ganz neue Gesichtspunkte fingen an, das öffentliche Leben in Frank¬
reich zu beherrschen. Die alte Prinzipienfrage, ob konservative, ob demokratische
Republik, blieb plötzlich, sozusagen, am Wege liegen. Man hatte die Entdeckung
gemacht, daß unter dem Deckmantel der Parteifragen die ganze Republik das
Opfer rein materieller Interessen geworden sei, daß kapitalistische Gruppen mit
ihren persönlichen Rücksichten und Machenschaften den Staat regierten, daß diese
aber in Wahrheit abhängig seien von internationalen Beziehungen, die die
Sicherheit des Vaterlandes bedrohten und die nationale Existenz in Frage stellten.
So sammelten sich gegenüber den Vertretern des herrschenden Systems die
Nationalisten und alle, die sich wirtschaftlich und sozial benachteiligt glaubten,
in einem besonderen Heerlager, das die streitbarsten Elemente zusammenführte:
die Armee und ihre besonderen Anhänger, denen die Formen des modernen


Der Präsident der französischen Republik

entgegengesetzte Einflüsse geltend. Denn hier traten Monarchisten und konser¬
vative Republikaner, alle die Elemente, die sonst auf die republikanische Gesetz¬
gebung wenig Einfluß übten, weil sie unter sich selten einig waren, als
geschlossene Masse neben die nichtradikale republikanische Minderheit und
bildeten dadurch 'eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Diese Ver¬
hältnisse waren für die Entwicklung der Präsidentengewalt nicht günstig.
Sie hoben die Präsidenten nicht über die Parteien hinaus, sondern schufen nur
einen ständigen Mißklang zwischen der Exekutive, d. h. dem Ministerium,
und der höchsten Repräsentation des Staates. In diesem Widerstreit aber
mußten sich die durch die Kammermehrheit gestützten, radikalen Ministerpräsi¬
denten in der Regel als die Stärkeren erweisen. Am schärfsten trat dies hervor
in der Krisis, die Casimir-Perier zum Rücktritt von der Präsidentschaft, die er
nur sieben Monate geführt hatte, veranlaßte. Er und sein Vorgänger Carnot
waren den Radikalen schon deshalb unangenehm, weil sie ihre hervorragende
Stellung vor allem dem Umstand verdankten, daß sie Träger eines großen
Namens waren, der den republikanischen Massen Respekt einflößte, ohne daß
ihre wirkliche politische Gesinnung einer Feuerprobe unterworfen wurde. Die
Auswahl dieser Männer erschien den Radikalen als ein Trick der „Reaktionäre",
wodurch sie sich die Majorisierung der Radikalen bei der Präsidentenwahl
erleichterten. Die demokratischen Republikaner hatten dann wenigstens die
Genugtuung, daß der Rücktritt von Casimir - Perier in seinen Nachwirkungen
einen neuen Herrn von ganz anderer Art in das Elys6e brachte, nämlich in
Felix Faure zum erstenmal einen Vertreter des erwerbstätigen Bürgertums.
Nur schade, daß die feierliche Haltung und die fürstlichen Allüren, die der sonst
harmlose Mann angenommen hatte, seit er sich mit dem Selbstherrscher aller
Reußen verbrüdern durfte, die gallische Spottlust allzusehr herausforderten und
ihn gleichfalls zu einem Sorgenkinde des Radikalismus machten. Auch Faure
war kein Staatsleiter, der der Präsidentenwürde wirkliche Bedeutung geben
konnte.

Schon hatte um diese Zeit der Dreyfushandel die Gemüter in Bewegung
gesetzt, und ganz neue Gesichtspunkte fingen an, das öffentliche Leben in Frank¬
reich zu beherrschen. Die alte Prinzipienfrage, ob konservative, ob demokratische
Republik, blieb plötzlich, sozusagen, am Wege liegen. Man hatte die Entdeckung
gemacht, daß unter dem Deckmantel der Parteifragen die ganze Republik das
Opfer rein materieller Interessen geworden sei, daß kapitalistische Gruppen mit
ihren persönlichen Rücksichten und Machenschaften den Staat regierten, daß diese
aber in Wahrheit abhängig seien von internationalen Beziehungen, die die
Sicherheit des Vaterlandes bedrohten und die nationale Existenz in Frage stellten.
So sammelten sich gegenüber den Vertretern des herrschenden Systems die
Nationalisten und alle, die sich wirtschaftlich und sozial benachteiligt glaubten,
in einem besonderen Heerlager, das die streitbarsten Elemente zusammenführte:
die Armee und ihre besonderen Anhänger, denen die Formen des modernen


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[0314] Der Präsident der französischen Republik entgegengesetzte Einflüsse geltend. Denn hier traten Monarchisten und konser¬ vative Republikaner, alle die Elemente, die sonst auf die republikanische Gesetz¬ gebung wenig Einfluß übten, weil sie unter sich selten einig waren, als geschlossene Masse neben die nichtradikale republikanische Minderheit und bildeten dadurch 'eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Diese Ver¬ hältnisse waren für die Entwicklung der Präsidentengewalt nicht günstig. Sie hoben die Präsidenten nicht über die Parteien hinaus, sondern schufen nur einen ständigen Mißklang zwischen der Exekutive, d. h. dem Ministerium, und der höchsten Repräsentation des Staates. In diesem Widerstreit aber mußten sich die durch die Kammermehrheit gestützten, radikalen Ministerpräsi¬ denten in der Regel als die Stärkeren erweisen. Am schärfsten trat dies hervor in der Krisis, die Casimir-Perier zum Rücktritt von der Präsidentschaft, die er nur sieben Monate geführt hatte, veranlaßte. Er und sein Vorgänger Carnot waren den Radikalen schon deshalb unangenehm, weil sie ihre hervorragende Stellung vor allem dem Umstand verdankten, daß sie Träger eines großen Namens waren, der den republikanischen Massen Respekt einflößte, ohne daß ihre wirkliche politische Gesinnung einer Feuerprobe unterworfen wurde. Die Auswahl dieser Männer erschien den Radikalen als ein Trick der „Reaktionäre", wodurch sie sich die Majorisierung der Radikalen bei der Präsidentenwahl erleichterten. Die demokratischen Republikaner hatten dann wenigstens die Genugtuung, daß der Rücktritt von Casimir - Perier in seinen Nachwirkungen einen neuen Herrn von ganz anderer Art in das Elys6e brachte, nämlich in Felix Faure zum erstenmal einen Vertreter des erwerbstätigen Bürgertums. Nur schade, daß die feierliche Haltung und die fürstlichen Allüren, die der sonst harmlose Mann angenommen hatte, seit er sich mit dem Selbstherrscher aller Reußen verbrüdern durfte, die gallische Spottlust allzusehr herausforderten und ihn gleichfalls zu einem Sorgenkinde des Radikalismus machten. Auch Faure war kein Staatsleiter, der der Präsidentenwürde wirkliche Bedeutung geben konnte. Schon hatte um diese Zeit der Dreyfushandel die Gemüter in Bewegung gesetzt, und ganz neue Gesichtspunkte fingen an, das öffentliche Leben in Frank¬ reich zu beherrschen. Die alte Prinzipienfrage, ob konservative, ob demokratische Republik, blieb plötzlich, sozusagen, am Wege liegen. Man hatte die Entdeckung gemacht, daß unter dem Deckmantel der Parteifragen die ganze Republik das Opfer rein materieller Interessen geworden sei, daß kapitalistische Gruppen mit ihren persönlichen Rücksichten und Machenschaften den Staat regierten, daß diese aber in Wahrheit abhängig seien von internationalen Beziehungen, die die Sicherheit des Vaterlandes bedrohten und die nationale Existenz in Frage stellten. So sammelten sich gegenüber den Vertretern des herrschenden Systems die Nationalisten und alle, die sich wirtschaftlich und sozial benachteiligt glaubten, in einem besonderen Heerlager, das die streitbarsten Elemente zusammenführte: die Armee und ihre besonderen Anhänger, denen die Formen des modernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/314>, abgerufen am 22.07.2024.