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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

ehrenvoll es für eine Partei war, daß das Oberhaupt des Staates aus ihren
Reihen hervorging, so wenig stand damit die wirkliche politische Bedeutung des
Vorgangs im Einklang. Denn den wirklichen Politikern und ihren Drahtziehern
war es doch am letzten Ende recht gleichgültig, wer im Elysöe repräsentierte
und alle die formellen Pflichten und großen und kleinen Lasten auf sich nahm,
die zur Würde und Ordnung eines großen Staatswesens gehören, aber mit
dem Besitz der wahren Macht und der entscheidenden Einflüsse in der Republik
wenig zu tun haben. Nun erleben wir jetzt, abweichend von allem sonst Ge¬
wohnten, folgendes Schauspiel: Nach vielem Hin und Her wird der Minister¬
präsident Poincarö als Kandidat für die Präsidentschaft aufgestellt, während
von den anderen, ursprünglich genannten Bewerbern einer nach dem andern
von der Bildfläche verschwindet. Jetzt tritt als einziger Gegner Poincarös Herr
Pans, der bisherige Ackerbauminister, auf, ein Mann, an dessen Würdigkeit
man nicht zu zweifeln braucht, der aber zweifellos an dem politischen Himmel
Frankreichs bisher niemals zu den Sternen erster Größe gehört hatte. Dieser
Gegenkandidat wird nun von den alten radikalen Führern, Combes und Cle-
menceau, unterstützt, während Poincarö mit einer Heftigkeit bekämpft wird, die
in den Parteianschauungen keine genügende Erklärung findet. Aber der Mehrheit
der Nationalversammlung erscheint der Ausgang der Sache so selbstverständlich,
daß sie sich an den üblichen Probeabstimmungen vor der entscheidenden Wahl
nur lässig beteiligt. Diesen Umstand benützt Clemenceau, um noch in elfter
Stunde bei Poincarö feierlich, von seinen einflußreichsten Parteifreunden begleitet,
zu erscheinen und ihn mit dem Hinweis einzuschüchtern, daß seine Wahl ja doch
aussichtslos sei! Und als Poincarö selbstverständlich diesen plumpen Versuch
zurückweist, tritt Clemenceau derart gegen ihn auf, daß es zu einer Heraus¬
forderung zum Zweikampf kommt und der Streit nur mit knapper Not beigelegt
wird. Man sieht also, daß diese Wahl unter ungewöhnlichen Umständen vor
sich ging. Ungewöhnlich war es, daß ein ehrgeiziger und tatkräftiger Mann
von dem bedeutungsvollen Posten des Ministerpräsidenten, des eigentlichen Staats¬
leiters, aus die zwar ehrenvolle, aber weniger bedeutende Stellung des Prä¬
sidenten der Republik erstrebte; ungewöhnlich war es, daß er sogleich eine
Mehrheit fand, die zum Teil durch kein näheres politisches Parteiinteresse mit
ihm verbunden war; ungewöhnlich war es, daß sein unbedeutender Gegen¬
kandidat von den angesehensten und erfahrensten Führern der Opposition mit
einem Fanatismus unterstützt wurde, als ob es sich um Sein oder Nichtsein
ihrer Partei und nicht um das gerade parteipolitisch bedeutungsloseste Amt der
Republik gehandelt hätte.

Die Erklärung ist von der französischen Presse schon vorher deutlich genug
gegeben worden. Sie hat keinen Hehl daraus gemacht, daß eine starke Stimmung
dahin geht, der Stellung des Präsidenten der Republik einen größeren Einfluß
einzuräumen als bisher, und dazu erschien allen Parteien die Persönlichkeit
Poincarös mehr als jede andere geeignet. Sie erschien es auch der Opposition,


Der Präsident der französischen Republik

ehrenvoll es für eine Partei war, daß das Oberhaupt des Staates aus ihren
Reihen hervorging, so wenig stand damit die wirkliche politische Bedeutung des
Vorgangs im Einklang. Denn den wirklichen Politikern und ihren Drahtziehern
war es doch am letzten Ende recht gleichgültig, wer im Elysöe repräsentierte
und alle die formellen Pflichten und großen und kleinen Lasten auf sich nahm,
die zur Würde und Ordnung eines großen Staatswesens gehören, aber mit
dem Besitz der wahren Macht und der entscheidenden Einflüsse in der Republik
wenig zu tun haben. Nun erleben wir jetzt, abweichend von allem sonst Ge¬
wohnten, folgendes Schauspiel: Nach vielem Hin und Her wird der Minister¬
präsident Poincarö als Kandidat für die Präsidentschaft aufgestellt, während
von den anderen, ursprünglich genannten Bewerbern einer nach dem andern
von der Bildfläche verschwindet. Jetzt tritt als einziger Gegner Poincarös Herr
Pans, der bisherige Ackerbauminister, auf, ein Mann, an dessen Würdigkeit
man nicht zu zweifeln braucht, der aber zweifellos an dem politischen Himmel
Frankreichs bisher niemals zu den Sternen erster Größe gehört hatte. Dieser
Gegenkandidat wird nun von den alten radikalen Führern, Combes und Cle-
menceau, unterstützt, während Poincarö mit einer Heftigkeit bekämpft wird, die
in den Parteianschauungen keine genügende Erklärung findet. Aber der Mehrheit
der Nationalversammlung erscheint der Ausgang der Sache so selbstverständlich,
daß sie sich an den üblichen Probeabstimmungen vor der entscheidenden Wahl
nur lässig beteiligt. Diesen Umstand benützt Clemenceau, um noch in elfter
Stunde bei Poincarö feierlich, von seinen einflußreichsten Parteifreunden begleitet,
zu erscheinen und ihn mit dem Hinweis einzuschüchtern, daß seine Wahl ja doch
aussichtslos sei! Und als Poincarö selbstverständlich diesen plumpen Versuch
zurückweist, tritt Clemenceau derart gegen ihn auf, daß es zu einer Heraus¬
forderung zum Zweikampf kommt und der Streit nur mit knapper Not beigelegt
wird. Man sieht also, daß diese Wahl unter ungewöhnlichen Umständen vor
sich ging. Ungewöhnlich war es, daß ein ehrgeiziger und tatkräftiger Mann
von dem bedeutungsvollen Posten des Ministerpräsidenten, des eigentlichen Staats¬
leiters, aus die zwar ehrenvolle, aber weniger bedeutende Stellung des Prä¬
sidenten der Republik erstrebte; ungewöhnlich war es, daß er sogleich eine
Mehrheit fand, die zum Teil durch kein näheres politisches Parteiinteresse mit
ihm verbunden war; ungewöhnlich war es, daß sein unbedeutender Gegen¬
kandidat von den angesehensten und erfahrensten Führern der Opposition mit
einem Fanatismus unterstützt wurde, als ob es sich um Sein oder Nichtsein
ihrer Partei und nicht um das gerade parteipolitisch bedeutungsloseste Amt der
Republik gehandelt hätte.

Die Erklärung ist von der französischen Presse schon vorher deutlich genug
gegeben worden. Sie hat keinen Hehl daraus gemacht, daß eine starke Stimmung
dahin geht, der Stellung des Präsidenten der Republik einen größeren Einfluß
einzuräumen als bisher, und dazu erschien allen Parteien die Persönlichkeit
Poincarös mehr als jede andere geeignet. Sie erschien es auch der Opposition,


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[0312] Der Präsident der französischen Republik ehrenvoll es für eine Partei war, daß das Oberhaupt des Staates aus ihren Reihen hervorging, so wenig stand damit die wirkliche politische Bedeutung des Vorgangs im Einklang. Denn den wirklichen Politikern und ihren Drahtziehern war es doch am letzten Ende recht gleichgültig, wer im Elysöe repräsentierte und alle die formellen Pflichten und großen und kleinen Lasten auf sich nahm, die zur Würde und Ordnung eines großen Staatswesens gehören, aber mit dem Besitz der wahren Macht und der entscheidenden Einflüsse in der Republik wenig zu tun haben. Nun erleben wir jetzt, abweichend von allem sonst Ge¬ wohnten, folgendes Schauspiel: Nach vielem Hin und Her wird der Minister¬ präsident Poincarö als Kandidat für die Präsidentschaft aufgestellt, während von den anderen, ursprünglich genannten Bewerbern einer nach dem andern von der Bildfläche verschwindet. Jetzt tritt als einziger Gegner Poincarös Herr Pans, der bisherige Ackerbauminister, auf, ein Mann, an dessen Würdigkeit man nicht zu zweifeln braucht, der aber zweifellos an dem politischen Himmel Frankreichs bisher niemals zu den Sternen erster Größe gehört hatte. Dieser Gegenkandidat wird nun von den alten radikalen Führern, Combes und Cle- menceau, unterstützt, während Poincarö mit einer Heftigkeit bekämpft wird, die in den Parteianschauungen keine genügende Erklärung findet. Aber der Mehrheit der Nationalversammlung erscheint der Ausgang der Sache so selbstverständlich, daß sie sich an den üblichen Probeabstimmungen vor der entscheidenden Wahl nur lässig beteiligt. Diesen Umstand benützt Clemenceau, um noch in elfter Stunde bei Poincarö feierlich, von seinen einflußreichsten Parteifreunden begleitet, zu erscheinen und ihn mit dem Hinweis einzuschüchtern, daß seine Wahl ja doch aussichtslos sei! Und als Poincarö selbstverständlich diesen plumpen Versuch zurückweist, tritt Clemenceau derart gegen ihn auf, daß es zu einer Heraus¬ forderung zum Zweikampf kommt und der Streit nur mit knapper Not beigelegt wird. Man sieht also, daß diese Wahl unter ungewöhnlichen Umständen vor sich ging. Ungewöhnlich war es, daß ein ehrgeiziger und tatkräftiger Mann von dem bedeutungsvollen Posten des Ministerpräsidenten, des eigentlichen Staats¬ leiters, aus die zwar ehrenvolle, aber weniger bedeutende Stellung des Prä¬ sidenten der Republik erstrebte; ungewöhnlich war es, daß er sogleich eine Mehrheit fand, die zum Teil durch kein näheres politisches Parteiinteresse mit ihm verbunden war; ungewöhnlich war es, daß sein unbedeutender Gegen¬ kandidat von den angesehensten und erfahrensten Führern der Opposition mit einem Fanatismus unterstützt wurde, als ob es sich um Sein oder Nichtsein ihrer Partei und nicht um das gerade parteipolitisch bedeutungsloseste Amt der Republik gehandelt hätte. Die Erklärung ist von der französischen Presse schon vorher deutlich genug gegeben worden. Sie hat keinen Hehl daraus gemacht, daß eine starke Stimmung dahin geht, der Stellung des Präsidenten der Republik einen größeren Einfluß einzuräumen als bisher, und dazu erschien allen Parteien die Persönlichkeit Poincarös mehr als jede andere geeignet. Sie erschien es auch der Opposition,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/312>, abgerufen am 02.10.2024.