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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

Herrscher oder als leitende Staatsmänner, so pflegen wir gern mit der Frage
bei der Hand zu sein, ob sie als deutschfreundlich oder deutschfeindlich anzusehen
sind. Ich glaube, es könnte nichts schaden, wenn diese Frage bei uns ebenso
selten gestellt würde, wie die entsprechende Frage im Auslande in bezug auf
deutsche Staatsmänner aufgeworfen wird. Man erspart sich manchen Fehl¬
schluß und manches schiefe Urteil, wenn man im allgemeinen lieber annimmt,
daß das Verhältnis eines ausländischen verantwortlichen Staatsmannes zu unserem
Vaterlande weniger von seiner persönlichen Abneigung oder Zuneigung bestimmt
wird, als von den Rücksichten und Bedingungen, die ihm die politische Lage
auferlegt. Bei französischen Staatsmännern haben wir uns schon daran gewöhnt,
sehr wenig danach zu fragen, wie sie gegen uns gesinnt sind. Wir wissen, daß
wir von allen nicht viel zu erwarten haben. Mögen sie zu uns Deutschen
stehen, wie sie wollen, -- mögen sie vielleicht im Grunde ihres Herzens uns
gerecht werden und im geheimen bedauern, daß Deutsche und Franzosen nicht
Hand in Hand gehen können, oder mögen sie ganz von dem flammenden Haß
der schlimmsten Revanchards erfüllt sein, -- in ihrem Handeln werden sie sich
nicht wesentlich unterscheiden. Denn die Friedfertigen müssen ihre vernünftige
Beurteilung Deutschlands ebenso vorsichtig im Busen verschließen, wie die Hei߬
sporne ihrem auf Revanche gerichteten Ehrgeiz Zügel anlegen müssen. Es hat
sich in der Frage der deutsch-französischen Beziehungen für das Verhalten der
verantwortlichen Machthaber in Frankreich eine gewisse Tradition -- fast möchte
man sagen: ein gewisser Stil-- herausgebildet, eine Form, der sich der einzelne
unwillkürlich unterwirft. Dabei wird es im einzelnen natürlich kleine Unter¬
schiede und verschiedene Schattierungen geben. Herrn Poincarö werden wir
vielleicht nicht unter die in diesem Sinne relativ deutschfreundlichen Präsidenten
stellen dürfen. Wir können das daraus schließen, daß er als Minister des
Auswärtigen selbst da, wo es durch die Lage gar nicht erfordert wurde, schärfer
als irgendeiner seiner Vorgänger die Tripleentente und einen gewissen Gegensatz
zum Dreibund betont hat. Aber ob und wie dies und ähnliches während der
künftigen Präsidentschaft des Herrn Poincare zum Ausdruck kommen wird,
darüber läßt sich noch nichts aussagen.

Nun wurde schon angedeutet, daß diesmal der Präsidentenwahl in Frank¬
reich auch aus anderen Gründen eine besondere Bedeutung beigelegt wurde.
Man erinnere sich der kleinen Episode, die sich kurz vor der Wahl abspielte
und die um ein Haar Herrn Poinccirö genötigt hätte, die neue politische Lage
mit einem Duell zu eröffnen. Hinter diesem uns etwas kurios anmutenden
Ehrenhandel verbarg sich die sehr ernsthafte Tatsache, daß die Radikalen und
Sozialisten trotz der sicheren Voraussicht ihrer Niederlage mit mehr als gewöhn¬
licher Leidenschaft ihren Willen durchzusetzen suchten. Solche Aufregungen hat
es bei den früheren Präsidentenwahlen nicht gegeben. Die Parteien suchten
wohl mit einem gewissen Eifer das Ansehen ihres Kandidaten zu erhöhen und
seine Aussichten zu verbessern, aber es war keine große Erbitterung dabei. So


20*
Der Präsident der französischen Republik

Herrscher oder als leitende Staatsmänner, so pflegen wir gern mit der Frage
bei der Hand zu sein, ob sie als deutschfreundlich oder deutschfeindlich anzusehen
sind. Ich glaube, es könnte nichts schaden, wenn diese Frage bei uns ebenso
selten gestellt würde, wie die entsprechende Frage im Auslande in bezug auf
deutsche Staatsmänner aufgeworfen wird. Man erspart sich manchen Fehl¬
schluß und manches schiefe Urteil, wenn man im allgemeinen lieber annimmt,
daß das Verhältnis eines ausländischen verantwortlichen Staatsmannes zu unserem
Vaterlande weniger von seiner persönlichen Abneigung oder Zuneigung bestimmt
wird, als von den Rücksichten und Bedingungen, die ihm die politische Lage
auferlegt. Bei französischen Staatsmännern haben wir uns schon daran gewöhnt,
sehr wenig danach zu fragen, wie sie gegen uns gesinnt sind. Wir wissen, daß
wir von allen nicht viel zu erwarten haben. Mögen sie zu uns Deutschen
stehen, wie sie wollen, — mögen sie vielleicht im Grunde ihres Herzens uns
gerecht werden und im geheimen bedauern, daß Deutsche und Franzosen nicht
Hand in Hand gehen können, oder mögen sie ganz von dem flammenden Haß
der schlimmsten Revanchards erfüllt sein, — in ihrem Handeln werden sie sich
nicht wesentlich unterscheiden. Denn die Friedfertigen müssen ihre vernünftige
Beurteilung Deutschlands ebenso vorsichtig im Busen verschließen, wie die Hei߬
sporne ihrem auf Revanche gerichteten Ehrgeiz Zügel anlegen müssen. Es hat
sich in der Frage der deutsch-französischen Beziehungen für das Verhalten der
verantwortlichen Machthaber in Frankreich eine gewisse Tradition — fast möchte
man sagen: ein gewisser Stil— herausgebildet, eine Form, der sich der einzelne
unwillkürlich unterwirft. Dabei wird es im einzelnen natürlich kleine Unter¬
schiede und verschiedene Schattierungen geben. Herrn Poincarö werden wir
vielleicht nicht unter die in diesem Sinne relativ deutschfreundlichen Präsidenten
stellen dürfen. Wir können das daraus schließen, daß er als Minister des
Auswärtigen selbst da, wo es durch die Lage gar nicht erfordert wurde, schärfer
als irgendeiner seiner Vorgänger die Tripleentente und einen gewissen Gegensatz
zum Dreibund betont hat. Aber ob und wie dies und ähnliches während der
künftigen Präsidentschaft des Herrn Poincare zum Ausdruck kommen wird,
darüber läßt sich noch nichts aussagen.

Nun wurde schon angedeutet, daß diesmal der Präsidentenwahl in Frank¬
reich auch aus anderen Gründen eine besondere Bedeutung beigelegt wurde.
Man erinnere sich der kleinen Episode, die sich kurz vor der Wahl abspielte
und die um ein Haar Herrn Poinccirö genötigt hätte, die neue politische Lage
mit einem Duell zu eröffnen. Hinter diesem uns etwas kurios anmutenden
Ehrenhandel verbarg sich die sehr ernsthafte Tatsache, daß die Radikalen und
Sozialisten trotz der sicheren Voraussicht ihrer Niederlage mit mehr als gewöhn¬
licher Leidenschaft ihren Willen durchzusetzen suchten. Solche Aufregungen hat
es bei den früheren Präsidentenwahlen nicht gegeben. Die Parteien suchten
wohl mit einem gewissen Eifer das Ansehen ihres Kandidaten zu erhöhen und
seine Aussichten zu verbessern, aber es war keine große Erbitterung dabei. So


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[0311] Der Präsident der französischen Republik Herrscher oder als leitende Staatsmänner, so pflegen wir gern mit der Frage bei der Hand zu sein, ob sie als deutschfreundlich oder deutschfeindlich anzusehen sind. Ich glaube, es könnte nichts schaden, wenn diese Frage bei uns ebenso selten gestellt würde, wie die entsprechende Frage im Auslande in bezug auf deutsche Staatsmänner aufgeworfen wird. Man erspart sich manchen Fehl¬ schluß und manches schiefe Urteil, wenn man im allgemeinen lieber annimmt, daß das Verhältnis eines ausländischen verantwortlichen Staatsmannes zu unserem Vaterlande weniger von seiner persönlichen Abneigung oder Zuneigung bestimmt wird, als von den Rücksichten und Bedingungen, die ihm die politische Lage auferlegt. Bei französischen Staatsmännern haben wir uns schon daran gewöhnt, sehr wenig danach zu fragen, wie sie gegen uns gesinnt sind. Wir wissen, daß wir von allen nicht viel zu erwarten haben. Mögen sie zu uns Deutschen stehen, wie sie wollen, — mögen sie vielleicht im Grunde ihres Herzens uns gerecht werden und im geheimen bedauern, daß Deutsche und Franzosen nicht Hand in Hand gehen können, oder mögen sie ganz von dem flammenden Haß der schlimmsten Revanchards erfüllt sein, — in ihrem Handeln werden sie sich nicht wesentlich unterscheiden. Denn die Friedfertigen müssen ihre vernünftige Beurteilung Deutschlands ebenso vorsichtig im Busen verschließen, wie die Hei߬ sporne ihrem auf Revanche gerichteten Ehrgeiz Zügel anlegen müssen. Es hat sich in der Frage der deutsch-französischen Beziehungen für das Verhalten der verantwortlichen Machthaber in Frankreich eine gewisse Tradition — fast möchte man sagen: ein gewisser Stil— herausgebildet, eine Form, der sich der einzelne unwillkürlich unterwirft. Dabei wird es im einzelnen natürlich kleine Unter¬ schiede und verschiedene Schattierungen geben. Herrn Poincarö werden wir vielleicht nicht unter die in diesem Sinne relativ deutschfreundlichen Präsidenten stellen dürfen. Wir können das daraus schließen, daß er als Minister des Auswärtigen selbst da, wo es durch die Lage gar nicht erfordert wurde, schärfer als irgendeiner seiner Vorgänger die Tripleentente und einen gewissen Gegensatz zum Dreibund betont hat. Aber ob und wie dies und ähnliches während der künftigen Präsidentschaft des Herrn Poincare zum Ausdruck kommen wird, darüber läßt sich noch nichts aussagen. Nun wurde schon angedeutet, daß diesmal der Präsidentenwahl in Frank¬ reich auch aus anderen Gründen eine besondere Bedeutung beigelegt wurde. Man erinnere sich der kleinen Episode, die sich kurz vor der Wahl abspielte und die um ein Haar Herrn Poinccirö genötigt hätte, die neue politische Lage mit einem Duell zu eröffnen. Hinter diesem uns etwas kurios anmutenden Ehrenhandel verbarg sich die sehr ernsthafte Tatsache, daß die Radikalen und Sozialisten trotz der sicheren Voraussicht ihrer Niederlage mit mehr als gewöhn¬ licher Leidenschaft ihren Willen durchzusetzen suchten. Solche Aufregungen hat es bei den früheren Präsidentenwahlen nicht gegeben. Die Parteien suchten wohl mit einem gewissen Eifer das Ansehen ihres Kandidaten zu erhöhen und seine Aussichten zu verbessern, aber es war keine große Erbitterung dabei. So 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/311>, abgerufen am 01.07.2024.