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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

es kaum erwähnt zu werden braucht. Wer die Dinge nach unseren deutschen
Begriffen beurteilen wollte, würde es wahrscheinlich sehr natürlich finden, daß
eine Persönlichkeit, die sich in den vorbereitenden Berufen für eine öffentliche
Wirksamkeit im großen besonders bewährt hat und dann Deputierter, Minister
und Ministerpräsident gewesen ist, nun auch als der Nächstberufene angesehen
wird, um den Sprung zum Staatsoberhaupt zu machen. Indessen zeigt eine
nähere Betrachtung der französischen Verhältnisse, daß eine solche Schlußfolgerung
nicht ohne weiteres zutreffen würde. Es zeigt sich bei den Präsidentenwahlen
im Gegenteil eine gewisse Neigung, gerade die Politiker, die am meisten und
unmittelbarsten im Vordergrunde stehen und die bereits als Führer der aktiven
Staatspolitik bekannt geworden sind, zunächst einmal nicht auf den höchsten
Posten der Republik zu stellen. Auch Loubet und Falliöres waren natürlich
Minister gewesen, aber zwischen dieser Zeit und ihrer Wahl zum Präsidenten
lagen stillere Jahre; erst von dem politisch neutralen Amt des Senatspräsidenten
holte man sie zur höchsten Würde der Republik. Bei Casimir-Perier lagen die
Verhältnisse etwas anders; er war soeben erst vom Ministerpräsidium zurück¬
getreten und hätte wohl noch längere Zeit im Hintergrunde verharren müssen,
wenn nicht die Ermordung Camoes unerwartet eine außergewöhnliche Lage
geschaffen hätte. Wenn jetzt der aktive Ministerpräsident zum Präsidenten der
Republik berufen worden ist, so ist das also eher eine Ausnahme von der
Regel als das Gegenteil, und man ist wohl berechtigt, nach den besonderen
Gründen zu fragen. Diese werden allerdings hauptsächlich in der besonderen
Lage der Republik zu suchen sein, aber mit demselben Recht darf man die
Tatsache dieser Präsidentenwahl wohl auch als einen Beweis ansehen, daß Herr
Poincarö in einer ungemein verwickelten und an Hindernissen reichen Lage sehr
klug und geschickt operiert haben muß, und das darf man ihm, abgesehen von
allen Glücksumständen und Zufällen, auf der Kreditseite seines persönlichen
politischen Kontos hundelt.

Eine unbefangene Beurteilung wird also viel zugunsten des neuen Prä¬
sidenten anführen können, soweit seine Persönlichkeit, das rein Menschliche in
Frage kommt, und die internationale Höflichkeit legt uns keinen Zwang auf,
wenn wir das ruhig feststellen und anerkennen. Wie sich aber die Persönlichkeit
des neuen Staatsoberhauptes von Frankreich politisch betätigen wird, das ist
eine offene Frage und muß besonders für uns Deutsche eine solche bleiben.
Denn hier spielt unser vaterländisches Interesse mit, und wir können diese
Frage nicht von einem allgemeinen Standpunkt, sondern nur vom deutschen
Standpunkte aus beantworten. Und da ist es besser, wenn wir kühl abwarten,
wie sich Herr Poincare zu den Aufgaben seines neuen Amtes stellen wird, als
wenn wir uns vorschnell gewisse Vorstellungen einprägen, die sich nachher als
unzutreffend erweisen. Wie es auch kommen mag, für uns wird es in jedem
Falle nützlicher sein, uns nach keiner Richtung enttäuschen und überraschen zu
lassen. Wenn im Auslande neue Männer ans Ruder kommen, sei es als


Der Präsident der französischen Republik

es kaum erwähnt zu werden braucht. Wer die Dinge nach unseren deutschen
Begriffen beurteilen wollte, würde es wahrscheinlich sehr natürlich finden, daß
eine Persönlichkeit, die sich in den vorbereitenden Berufen für eine öffentliche
Wirksamkeit im großen besonders bewährt hat und dann Deputierter, Minister
und Ministerpräsident gewesen ist, nun auch als der Nächstberufene angesehen
wird, um den Sprung zum Staatsoberhaupt zu machen. Indessen zeigt eine
nähere Betrachtung der französischen Verhältnisse, daß eine solche Schlußfolgerung
nicht ohne weiteres zutreffen würde. Es zeigt sich bei den Präsidentenwahlen
im Gegenteil eine gewisse Neigung, gerade die Politiker, die am meisten und
unmittelbarsten im Vordergrunde stehen und die bereits als Führer der aktiven
Staatspolitik bekannt geworden sind, zunächst einmal nicht auf den höchsten
Posten der Republik zu stellen. Auch Loubet und Falliöres waren natürlich
Minister gewesen, aber zwischen dieser Zeit und ihrer Wahl zum Präsidenten
lagen stillere Jahre; erst von dem politisch neutralen Amt des Senatspräsidenten
holte man sie zur höchsten Würde der Republik. Bei Casimir-Perier lagen die
Verhältnisse etwas anders; er war soeben erst vom Ministerpräsidium zurück¬
getreten und hätte wohl noch längere Zeit im Hintergrunde verharren müssen,
wenn nicht die Ermordung Camoes unerwartet eine außergewöhnliche Lage
geschaffen hätte. Wenn jetzt der aktive Ministerpräsident zum Präsidenten der
Republik berufen worden ist, so ist das also eher eine Ausnahme von der
Regel als das Gegenteil, und man ist wohl berechtigt, nach den besonderen
Gründen zu fragen. Diese werden allerdings hauptsächlich in der besonderen
Lage der Republik zu suchen sein, aber mit demselben Recht darf man die
Tatsache dieser Präsidentenwahl wohl auch als einen Beweis ansehen, daß Herr
Poincarö in einer ungemein verwickelten und an Hindernissen reichen Lage sehr
klug und geschickt operiert haben muß, und das darf man ihm, abgesehen von
allen Glücksumständen und Zufällen, auf der Kreditseite seines persönlichen
politischen Kontos hundelt.

Eine unbefangene Beurteilung wird also viel zugunsten des neuen Prä¬
sidenten anführen können, soweit seine Persönlichkeit, das rein Menschliche in
Frage kommt, und die internationale Höflichkeit legt uns keinen Zwang auf,
wenn wir das ruhig feststellen und anerkennen. Wie sich aber die Persönlichkeit
des neuen Staatsoberhauptes von Frankreich politisch betätigen wird, das ist
eine offene Frage und muß besonders für uns Deutsche eine solche bleiben.
Denn hier spielt unser vaterländisches Interesse mit, und wir können diese
Frage nicht von einem allgemeinen Standpunkt, sondern nur vom deutschen
Standpunkte aus beantworten. Und da ist es besser, wenn wir kühl abwarten,
wie sich Herr Poincare zu den Aufgaben seines neuen Amtes stellen wird, als
wenn wir uns vorschnell gewisse Vorstellungen einprägen, die sich nachher als
unzutreffend erweisen. Wie es auch kommen mag, für uns wird es in jedem
Falle nützlicher sein, uns nach keiner Richtung enttäuschen und überraschen zu
lassen. Wenn im Auslande neue Männer ans Ruder kommen, sei es als


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[0310] Der Präsident der französischen Republik es kaum erwähnt zu werden braucht. Wer die Dinge nach unseren deutschen Begriffen beurteilen wollte, würde es wahrscheinlich sehr natürlich finden, daß eine Persönlichkeit, die sich in den vorbereitenden Berufen für eine öffentliche Wirksamkeit im großen besonders bewährt hat und dann Deputierter, Minister und Ministerpräsident gewesen ist, nun auch als der Nächstberufene angesehen wird, um den Sprung zum Staatsoberhaupt zu machen. Indessen zeigt eine nähere Betrachtung der französischen Verhältnisse, daß eine solche Schlußfolgerung nicht ohne weiteres zutreffen würde. Es zeigt sich bei den Präsidentenwahlen im Gegenteil eine gewisse Neigung, gerade die Politiker, die am meisten und unmittelbarsten im Vordergrunde stehen und die bereits als Führer der aktiven Staatspolitik bekannt geworden sind, zunächst einmal nicht auf den höchsten Posten der Republik zu stellen. Auch Loubet und Falliöres waren natürlich Minister gewesen, aber zwischen dieser Zeit und ihrer Wahl zum Präsidenten lagen stillere Jahre; erst von dem politisch neutralen Amt des Senatspräsidenten holte man sie zur höchsten Würde der Republik. Bei Casimir-Perier lagen die Verhältnisse etwas anders; er war soeben erst vom Ministerpräsidium zurück¬ getreten und hätte wohl noch längere Zeit im Hintergrunde verharren müssen, wenn nicht die Ermordung Camoes unerwartet eine außergewöhnliche Lage geschaffen hätte. Wenn jetzt der aktive Ministerpräsident zum Präsidenten der Republik berufen worden ist, so ist das also eher eine Ausnahme von der Regel als das Gegenteil, und man ist wohl berechtigt, nach den besonderen Gründen zu fragen. Diese werden allerdings hauptsächlich in der besonderen Lage der Republik zu suchen sein, aber mit demselben Recht darf man die Tatsache dieser Präsidentenwahl wohl auch als einen Beweis ansehen, daß Herr Poincarö in einer ungemein verwickelten und an Hindernissen reichen Lage sehr klug und geschickt operiert haben muß, und das darf man ihm, abgesehen von allen Glücksumständen und Zufällen, auf der Kreditseite seines persönlichen politischen Kontos hundelt. Eine unbefangene Beurteilung wird also viel zugunsten des neuen Prä¬ sidenten anführen können, soweit seine Persönlichkeit, das rein Menschliche in Frage kommt, und die internationale Höflichkeit legt uns keinen Zwang auf, wenn wir das ruhig feststellen und anerkennen. Wie sich aber die Persönlichkeit des neuen Staatsoberhauptes von Frankreich politisch betätigen wird, das ist eine offene Frage und muß besonders für uns Deutsche eine solche bleiben. Denn hier spielt unser vaterländisches Interesse mit, und wir können diese Frage nicht von einem allgemeinen Standpunkt, sondern nur vom deutschen Standpunkte aus beantworten. Und da ist es besser, wenn wir kühl abwarten, wie sich Herr Poincare zu den Aufgaben seines neuen Amtes stellen wird, als wenn wir uns vorschnell gewisse Vorstellungen einprägen, die sich nachher als unzutreffend erweisen. Wie es auch kommen mag, für uns wird es in jedem Falle nützlicher sein, uns nach keiner Richtung enttäuschen und überraschen zu lassen. Wenn im Auslande neue Männer ans Ruder kommen, sei es als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/310>, abgerufen am 29.06.2024.