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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

des vormärzlichen Österreichs in seiner Entwicklung gehemmt worden war, nun, da
bessere Zeiten angebrochen schienen, verärgert und grollend abseits stand. Auch
in diesem Verhalten von Grillparzer und Hebbel zeigt sich, daß jener wie in
der Dichtung so im Leben den Abschluß einer vergangenen Periode bedeutet,
während dieser den Beginn einer neuen Zeit kennzeichnet. Hebbel hat von
Wien aus an die Allgemeine Zeitung eine lange Reihe von Berichten gesandt/)
die, mag auch manches heute durch inzwischen bekannt gewordene Akten als
irrig erwiesen sein, doch ein ganz besonders wertvolles Blatt im Lebenswerk
des Dichters bedeuten; und zwar darum, weil er sich als ein Mann erweist,
der, mit persönlichem Mut für seine Anschauung eintritt, auch da, wo er weiß,
daß er sich oben wie unten Feinde und Gegner schafft. Der literarische Reiz
dieser Briefe liegt in der großartigen Objektivierung, die dem Dichter gelungen
ist, mitten in dem Kampfe selbst, in dem er mithandelnd und anleitend stand.
Der Kernpunkt seiner Darlegungen ist: Notwendigkeit einer konstitutionellen
monarchischen Verfassung und unbedingter Preßfreiheit; auf der anderen Seite, als
dies Ziel, soweit es im Augenblick möglich schien, erreicht ist, ebenso unbedingte
Bekämpfung aller ultraradikalen Elemente, und es gehörte gewiß noch mehr
Mut dazu, sich nach dem Sieg der Revolution offen als Gegner der Radikalen
zu bekennen, als vorher so mitten in der Revolution zu stehen, daß an des
Dichters Seite das erste Opfer fiel. Die in den politischen Berichten aus¬
gesprochenen Anschauungen decken sich vollständig mit denen, welche Hebbel
vorher und nachher in seinen Dramen festgelegt hat, in der großartigen Ver¬
herrlichung des unbedingten Staatsprinzips in der Agnes Bernauer, den wunder¬
vollen Ausführungen des Kandaules in Gnges und sein Ring, in Herodes und
Marianne. Diese beweisen, daß die geschichtsphilosophische Auffassung des
Dichters auch den Kämpfen der Gegenwart gegenüber durchaus standhält.

Die unbeirrbar klare Stellung, die Hebbel während aller Wandlungen des
Revolutionsjahres eingenommen hat, und seine Fähigkeit, inmitten der tollsten
Zustände stets das Allgemeinste im Auge zu behalten, charakterisiert sich am
besten durch die Zusammenstellung einiger programmatischer Sätze seiner Berichte.
In seinem ersten Bericht vom 15. März kann er freudigen Herzens melden, mit wie
geringem Blutvergießen die Erfolge erzielt wurden durch die Bereitwilligkeit des
Kaisers, die wichtigsten Punkte, die Errichtung einer Nationalgarde, die Auf¬
hebung der Zensur, die alsbaldige Veröffentlichung eines Preßgesetzes und die
Zusammenberufung von beratenden Provinzialständen zu gewähren.

Am 24. März kann er berichten, wie gut der Österreicher sich in die neuen
Verhältnisse zu finden scheint, und er protestiert dagegen, daß nun, nachdem
diese alle einenden Wünsche erfüllt worden sind, die einzelnen Stände sich von



*) Friedjung bezeichnet sie als "wichtige Quellen". Sie sind abgedruckt im 10. Bande
von R, M. Werners historisch-kritischer Ausgabe (B. Behrs Verlag, Berlin), die jetzt als
säkular-Ausgabe in revidierter Gestalt erscheint. Sie bildet die Grundlage jeder ernsteren
Beschäftigung mit dem Dichter.
Friedrich Hebbel als Politiker

des vormärzlichen Österreichs in seiner Entwicklung gehemmt worden war, nun, da
bessere Zeiten angebrochen schienen, verärgert und grollend abseits stand. Auch
in diesem Verhalten von Grillparzer und Hebbel zeigt sich, daß jener wie in
der Dichtung so im Leben den Abschluß einer vergangenen Periode bedeutet,
während dieser den Beginn einer neuen Zeit kennzeichnet. Hebbel hat von
Wien aus an die Allgemeine Zeitung eine lange Reihe von Berichten gesandt/)
die, mag auch manches heute durch inzwischen bekannt gewordene Akten als
irrig erwiesen sein, doch ein ganz besonders wertvolles Blatt im Lebenswerk
des Dichters bedeuten; und zwar darum, weil er sich als ein Mann erweist,
der, mit persönlichem Mut für seine Anschauung eintritt, auch da, wo er weiß,
daß er sich oben wie unten Feinde und Gegner schafft. Der literarische Reiz
dieser Briefe liegt in der großartigen Objektivierung, die dem Dichter gelungen
ist, mitten in dem Kampfe selbst, in dem er mithandelnd und anleitend stand.
Der Kernpunkt seiner Darlegungen ist: Notwendigkeit einer konstitutionellen
monarchischen Verfassung und unbedingter Preßfreiheit; auf der anderen Seite, als
dies Ziel, soweit es im Augenblick möglich schien, erreicht ist, ebenso unbedingte
Bekämpfung aller ultraradikalen Elemente, und es gehörte gewiß noch mehr
Mut dazu, sich nach dem Sieg der Revolution offen als Gegner der Radikalen
zu bekennen, als vorher so mitten in der Revolution zu stehen, daß an des
Dichters Seite das erste Opfer fiel. Die in den politischen Berichten aus¬
gesprochenen Anschauungen decken sich vollständig mit denen, welche Hebbel
vorher und nachher in seinen Dramen festgelegt hat, in der großartigen Ver¬
herrlichung des unbedingten Staatsprinzips in der Agnes Bernauer, den wunder¬
vollen Ausführungen des Kandaules in Gnges und sein Ring, in Herodes und
Marianne. Diese beweisen, daß die geschichtsphilosophische Auffassung des
Dichters auch den Kämpfen der Gegenwart gegenüber durchaus standhält.

Die unbeirrbar klare Stellung, die Hebbel während aller Wandlungen des
Revolutionsjahres eingenommen hat, und seine Fähigkeit, inmitten der tollsten
Zustände stets das Allgemeinste im Auge zu behalten, charakterisiert sich am
besten durch die Zusammenstellung einiger programmatischer Sätze seiner Berichte.
In seinem ersten Bericht vom 15. März kann er freudigen Herzens melden, mit wie
geringem Blutvergießen die Erfolge erzielt wurden durch die Bereitwilligkeit des
Kaisers, die wichtigsten Punkte, die Errichtung einer Nationalgarde, die Auf¬
hebung der Zensur, die alsbaldige Veröffentlichung eines Preßgesetzes und die
Zusammenberufung von beratenden Provinzialständen zu gewähren.

Am 24. März kann er berichten, wie gut der Österreicher sich in die neuen
Verhältnisse zu finden scheint, und er protestiert dagegen, daß nun, nachdem
diese alle einenden Wünsche erfüllt worden sind, die einzelnen Stände sich von



*) Friedjung bezeichnet sie als „wichtige Quellen". Sie sind abgedruckt im 10. Bande
von R, M. Werners historisch-kritischer Ausgabe (B. Behrs Verlag, Berlin), die jetzt als
säkular-Ausgabe in revidierter Gestalt erscheint. Sie bildet die Grundlage jeder ernsteren
Beschäftigung mit dem Dichter.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/30>, abgerufen am 22.12.2024.