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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

schichte der Jungfrau von Orleans. In sehr kurzer Zeit für einen bestimmten
Zweck aus pekuniären Gründen geschrieben, darf ich ihnen keinen höheren Wert
beimessen und habe ihnen meinen Namen entzogen: ich ward durch Judith so
erschöpft, daß ich nichts besseres vornehmen konnte und unter dem Visier eines
Dr. I. Franz Geschichtsschreiber fürs Volk wurde." Im Tatsächlichen sind diese
Schriften naturgemäß durchaus unselbständig und stützen sich vor allem aus
Schiller. Aber in ihnen verleugnet sich doch nicht die geschichtsphilosophische
Auffassung des Dichters, die schon damals fest ausgeprägt in ihm lag. Er
verlangt von der Geschichte den Beweis, daß alles notwendig sei. So sucht
er für jedes historische Ereignis den leitenden Gedanken, der den Verlauf der
Ereignisse rechtfertigen mußte. Für den dreißigjährigen Krieg ist dieser
leitende Gesichtspunkt: "die Reformation war nötig gewesen, um die geistige
Freiheit der Menschheit zurückzugeben, der darauf folgende Krieg war not¬
wendig, um der Wahrheit aufs neue die Stellung ihrer Unvertilgbarkeit
anzuweisen." Wir sehen hierin Gedanken, die dann in Hebbels Dramen häufig
wiederkehren.

Noch unmittelbarer ist der Zusammenhang zwischen dem Geschichts¬
schreiber und dem Dichter in der Jungfrau von Orleans. Der Dichter schrieb
damals sein erstes Drama, und das treibende Moment der Judith ist auch
das treibende Moment der Jungfrau von Orleans. Die Lage der Welt ist
so, daß die Gottheit persönlich eingreifen muß, was sie nur durch ein Wunder
tun kann. Gott muß dieses Wunder tun. um Frankreich für den Ausgangs¬
punkt der Revolution zu erhalten. Die Jungfrau ist also ein "von Gott emanzi¬
piertes" Weib; das gleiche gilt von der Judith.

Acht Jahre später sehen wir, wie Hebbel gereist und durch seine Ehe
mit Christine Enghaus auf eigenem festen Boden stehend, durch Reisen in
Frankreich und Italien in seinen Anschauungen gefestigter, eine welthistorische
Zeit selbst mit Bewußtsein erlebt. Der Dichter hatte durch seine bis dahin
erschienenen Dramen: "Maria Magdalene", "Julia", "Trauerspiel auf Sizilien"
auf die Brüchigkeit unserer Gesellschaftsordnung selbst wieder und wieder hin¬
gewiesen, und er sah die Revolution als etwas unbedingt notwendiges an.
Schon bei Ausbruch der Februarrevolution in Paris wußte er, daß dies nur
der Anfang einer allgemeinen europäischen Revolution sein konnte und hielt es
für seine Pflicht, vor dem bevorstehenden Umsturz aller Dinge seine eigenen
Privatangelegenheiten zu ordnen, insbesondere seine letzte Schuld dem
Freunde Gurlitt gegenüber zu begleichen. Als es dann in den Märztagen
auch in Wien zur Revolution kam, stand Hebbel in der vordersten Reihe. Er
wußte, daß das Volk zu reif geworden war, um noch länger absolut regiert
zu werden: das Metternichsche System hatte abgewirtschaftet, die geistige Freiheit
war nicht länger zu unterdrücken.

Das Verhalten Hebbels im Revolutionsjahr steht in einem entscheidenden
Gegensatz zu dem Verhalten Grillparzers, der, obwohl er selbst unter dem Druck


Grenzboten I 1918 2
Friedrich Hebbel als Politiker

schichte der Jungfrau von Orleans. In sehr kurzer Zeit für einen bestimmten
Zweck aus pekuniären Gründen geschrieben, darf ich ihnen keinen höheren Wert
beimessen und habe ihnen meinen Namen entzogen: ich ward durch Judith so
erschöpft, daß ich nichts besseres vornehmen konnte und unter dem Visier eines
Dr. I. Franz Geschichtsschreiber fürs Volk wurde." Im Tatsächlichen sind diese
Schriften naturgemäß durchaus unselbständig und stützen sich vor allem aus
Schiller. Aber in ihnen verleugnet sich doch nicht die geschichtsphilosophische
Auffassung des Dichters, die schon damals fest ausgeprägt in ihm lag. Er
verlangt von der Geschichte den Beweis, daß alles notwendig sei. So sucht
er für jedes historische Ereignis den leitenden Gedanken, der den Verlauf der
Ereignisse rechtfertigen mußte. Für den dreißigjährigen Krieg ist dieser
leitende Gesichtspunkt: „die Reformation war nötig gewesen, um die geistige
Freiheit der Menschheit zurückzugeben, der darauf folgende Krieg war not¬
wendig, um der Wahrheit aufs neue die Stellung ihrer Unvertilgbarkeit
anzuweisen." Wir sehen hierin Gedanken, die dann in Hebbels Dramen häufig
wiederkehren.

Noch unmittelbarer ist der Zusammenhang zwischen dem Geschichts¬
schreiber und dem Dichter in der Jungfrau von Orleans. Der Dichter schrieb
damals sein erstes Drama, und das treibende Moment der Judith ist auch
das treibende Moment der Jungfrau von Orleans. Die Lage der Welt ist
so, daß die Gottheit persönlich eingreifen muß, was sie nur durch ein Wunder
tun kann. Gott muß dieses Wunder tun. um Frankreich für den Ausgangs¬
punkt der Revolution zu erhalten. Die Jungfrau ist also ein „von Gott emanzi¬
piertes" Weib; das gleiche gilt von der Judith.

Acht Jahre später sehen wir, wie Hebbel gereist und durch seine Ehe
mit Christine Enghaus auf eigenem festen Boden stehend, durch Reisen in
Frankreich und Italien in seinen Anschauungen gefestigter, eine welthistorische
Zeit selbst mit Bewußtsein erlebt. Der Dichter hatte durch seine bis dahin
erschienenen Dramen: „Maria Magdalene", „Julia", „Trauerspiel auf Sizilien"
auf die Brüchigkeit unserer Gesellschaftsordnung selbst wieder und wieder hin¬
gewiesen, und er sah die Revolution als etwas unbedingt notwendiges an.
Schon bei Ausbruch der Februarrevolution in Paris wußte er, daß dies nur
der Anfang einer allgemeinen europäischen Revolution sein konnte und hielt es
für seine Pflicht, vor dem bevorstehenden Umsturz aller Dinge seine eigenen
Privatangelegenheiten zu ordnen, insbesondere seine letzte Schuld dem
Freunde Gurlitt gegenüber zu begleichen. Als es dann in den Märztagen
auch in Wien zur Revolution kam, stand Hebbel in der vordersten Reihe. Er
wußte, daß das Volk zu reif geworden war, um noch länger absolut regiert
zu werden: das Metternichsche System hatte abgewirtschaftet, die geistige Freiheit
war nicht länger zu unterdrücken.

Das Verhalten Hebbels im Revolutionsjahr steht in einem entscheidenden
Gegensatz zu dem Verhalten Grillparzers, der, obwohl er selbst unter dem Druck


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[0029] Friedrich Hebbel als Politiker schichte der Jungfrau von Orleans. In sehr kurzer Zeit für einen bestimmten Zweck aus pekuniären Gründen geschrieben, darf ich ihnen keinen höheren Wert beimessen und habe ihnen meinen Namen entzogen: ich ward durch Judith so erschöpft, daß ich nichts besseres vornehmen konnte und unter dem Visier eines Dr. I. Franz Geschichtsschreiber fürs Volk wurde." Im Tatsächlichen sind diese Schriften naturgemäß durchaus unselbständig und stützen sich vor allem aus Schiller. Aber in ihnen verleugnet sich doch nicht die geschichtsphilosophische Auffassung des Dichters, die schon damals fest ausgeprägt in ihm lag. Er verlangt von der Geschichte den Beweis, daß alles notwendig sei. So sucht er für jedes historische Ereignis den leitenden Gedanken, der den Verlauf der Ereignisse rechtfertigen mußte. Für den dreißigjährigen Krieg ist dieser leitende Gesichtspunkt: „die Reformation war nötig gewesen, um die geistige Freiheit der Menschheit zurückzugeben, der darauf folgende Krieg war not¬ wendig, um der Wahrheit aufs neue die Stellung ihrer Unvertilgbarkeit anzuweisen." Wir sehen hierin Gedanken, die dann in Hebbels Dramen häufig wiederkehren. Noch unmittelbarer ist der Zusammenhang zwischen dem Geschichts¬ schreiber und dem Dichter in der Jungfrau von Orleans. Der Dichter schrieb damals sein erstes Drama, und das treibende Moment der Judith ist auch das treibende Moment der Jungfrau von Orleans. Die Lage der Welt ist so, daß die Gottheit persönlich eingreifen muß, was sie nur durch ein Wunder tun kann. Gott muß dieses Wunder tun. um Frankreich für den Ausgangs¬ punkt der Revolution zu erhalten. Die Jungfrau ist also ein „von Gott emanzi¬ piertes" Weib; das gleiche gilt von der Judith. Acht Jahre später sehen wir, wie Hebbel gereist und durch seine Ehe mit Christine Enghaus auf eigenem festen Boden stehend, durch Reisen in Frankreich und Italien in seinen Anschauungen gefestigter, eine welthistorische Zeit selbst mit Bewußtsein erlebt. Der Dichter hatte durch seine bis dahin erschienenen Dramen: „Maria Magdalene", „Julia", „Trauerspiel auf Sizilien" auf die Brüchigkeit unserer Gesellschaftsordnung selbst wieder und wieder hin¬ gewiesen, und er sah die Revolution als etwas unbedingt notwendiges an. Schon bei Ausbruch der Februarrevolution in Paris wußte er, daß dies nur der Anfang einer allgemeinen europäischen Revolution sein konnte und hielt es für seine Pflicht, vor dem bevorstehenden Umsturz aller Dinge seine eigenen Privatangelegenheiten zu ordnen, insbesondere seine letzte Schuld dem Freunde Gurlitt gegenüber zu begleichen. Als es dann in den Märztagen auch in Wien zur Revolution kam, stand Hebbel in der vordersten Reihe. Er wußte, daß das Volk zu reif geworden war, um noch länger absolut regiert zu werden: das Metternichsche System hatte abgewirtschaftet, die geistige Freiheit war nicht länger zu unterdrücken. Das Verhalten Hebbels im Revolutionsjahr steht in einem entscheidenden Gegensatz zu dem Verhalten Grillparzers, der, obwohl er selbst unter dem Druck Grenzboten I 1918 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/29>, abgerufen am 01.07.2024.