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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Blutig revolutionäre Gedanken können einen packen, wenn man den Blick
nach der anderen Seite schweifen läßt über so manchen Strohkopf, der Jahr
um Jahr auf einer höheren Schule die Bänke drückt. Der Vater hales aus.
Er hat die Geduld und das Portemonnaie. So wird gesessen und gedruckst
und durchgeschleppt und weitergeschoben, quälig von Stufe zu Stufe. Schließlich
dann der große Erfolg mit der Berechtigung, des Kaisers Ehrenrock nur ein
einziges Jahr tragen zu brauchen.

Meinetwegen das immerhin noch. Wenns nur die Hirnverlassensten nicht
immer wären, die sich nachher aufpusten, den Kopf in den Nacken werfen und
die Nase am höchsten tragen! Als ob sie vor den übrigen etwas anderes
voraus hätten als die sinnlose Bevorzugung durch ein blind waltendes GeschickI
Doch ich vergesse mich.

Von meinem Idyll sollst Du hören.

Paul Ewert ist also der Aufgewecktesten einer. Es ist erstaunlich, mit
welchem Hunger er alles und jedes ergreift. Du solltest ihn sehen, wie er
dasitzt mit seinen neugierklugen Augen, solltest die klaren und verständigen
Fragen hören, mit denen er mich nicht selten in Verlegenheit jagt. -- In alle
Gründe des Wissens späht er mutig hinein. Er verträgt kein Dunkel.

Weiß der Himmel, wo nur der Junge die Bücher alle aufstöbert hier in
Trebeldorf. Aber er trifft sie mit sicherem Spürsinn und wählt sie mit eigenem
Geschick. Überall findet er Nahrung für sein kleines Köpfchen, in das er
mühelos alles wohlgeordnet hineinbringt.

Schon ist er mit seinem Schiller befreundet wie kaum ein Gleichaltriger
auf dem Gymnasium. Den deklamiert der kleine Mann, abgesehen natürlich von
einigen Trübungen durch den hier herrschenden Dialekt, mit bezaubernder Anmut.

Besonders gern liest er geographische Bücher, Reiseschilderungen und der¬
gleichen, und es ist bald kein so entlegener Erdenwinkel mehr, den er nicht
aufgespürt hätte und sich in greifbarer Vorstellung zu gestalten wüßte.

Und nun erst die kleinen physikalischen Apparate alle, die er rin den
bescheidensten Mitteln zusammengebaut hat! Es ist lächerlich, die Dinger in
ihrer Anspruchslosigkeit anzuschauen, aber sie arbeiten ausnahmslos mit einer
Selbstverständlichkeit, als könne das gar nicht anders sein.

Und was wird aus ihm? -- Ein Torfbauer wie der Vater. Er denkt
auch garnicht daran, daß es einmal höher hinaufgehen könne. -- Welch eine
Fülle von geistiger Kraft liegt dann auch hier wieder auf Brandland!

Die täglich gleichförmige Arbeit wird über sein Dasein kommen, auch
etwas Sorge und Not vielleicht.^ Sie werden diesen Geist umspinnen, und
damit wird auch diesem Leben der Weg gezeichnet sein. Er wird sich besinnen
in späteren Jahren, daß er in der Knabenzeit in der Reihe der kleinen Geistes¬
helden stand, und daß seine Lehrer, der Korrektor zumal, ihn lieb hatten.

Paul Ewert ist nun seit vier Tagen krank. Sein Vater hat mir einen
Brief geschrieben:


Briefe aus Trebeldorf

Blutig revolutionäre Gedanken können einen packen, wenn man den Blick
nach der anderen Seite schweifen läßt über so manchen Strohkopf, der Jahr
um Jahr auf einer höheren Schule die Bänke drückt. Der Vater hales aus.
Er hat die Geduld und das Portemonnaie. So wird gesessen und gedruckst
und durchgeschleppt und weitergeschoben, quälig von Stufe zu Stufe. Schließlich
dann der große Erfolg mit der Berechtigung, des Kaisers Ehrenrock nur ein
einziges Jahr tragen zu brauchen.

Meinetwegen das immerhin noch. Wenns nur die Hirnverlassensten nicht
immer wären, die sich nachher aufpusten, den Kopf in den Nacken werfen und
die Nase am höchsten tragen! Als ob sie vor den übrigen etwas anderes
voraus hätten als die sinnlose Bevorzugung durch ein blind waltendes GeschickI
Doch ich vergesse mich.

Von meinem Idyll sollst Du hören.

Paul Ewert ist also der Aufgewecktesten einer. Es ist erstaunlich, mit
welchem Hunger er alles und jedes ergreift. Du solltest ihn sehen, wie er
dasitzt mit seinen neugierklugen Augen, solltest die klaren und verständigen
Fragen hören, mit denen er mich nicht selten in Verlegenheit jagt. — In alle
Gründe des Wissens späht er mutig hinein. Er verträgt kein Dunkel.

Weiß der Himmel, wo nur der Junge die Bücher alle aufstöbert hier in
Trebeldorf. Aber er trifft sie mit sicherem Spürsinn und wählt sie mit eigenem
Geschick. Überall findet er Nahrung für sein kleines Köpfchen, in das er
mühelos alles wohlgeordnet hineinbringt.

Schon ist er mit seinem Schiller befreundet wie kaum ein Gleichaltriger
auf dem Gymnasium. Den deklamiert der kleine Mann, abgesehen natürlich von
einigen Trübungen durch den hier herrschenden Dialekt, mit bezaubernder Anmut.

Besonders gern liest er geographische Bücher, Reiseschilderungen und der¬
gleichen, und es ist bald kein so entlegener Erdenwinkel mehr, den er nicht
aufgespürt hätte und sich in greifbarer Vorstellung zu gestalten wüßte.

Und nun erst die kleinen physikalischen Apparate alle, die er rin den
bescheidensten Mitteln zusammengebaut hat! Es ist lächerlich, die Dinger in
ihrer Anspruchslosigkeit anzuschauen, aber sie arbeiten ausnahmslos mit einer
Selbstverständlichkeit, als könne das gar nicht anders sein.

Und was wird aus ihm? — Ein Torfbauer wie der Vater. Er denkt
auch garnicht daran, daß es einmal höher hinaufgehen könne. — Welch eine
Fülle von geistiger Kraft liegt dann auch hier wieder auf Brandland!

Die täglich gleichförmige Arbeit wird über sein Dasein kommen, auch
etwas Sorge und Not vielleicht.^ Sie werden diesen Geist umspinnen, und
damit wird auch diesem Leben der Weg gezeichnet sein. Er wird sich besinnen
in späteren Jahren, daß er in der Knabenzeit in der Reihe der kleinen Geistes¬
helden stand, und daß seine Lehrer, der Korrektor zumal, ihn lieb hatten.

Paul Ewert ist nun seit vier Tagen krank. Sein Vater hat mir einen
Brief geschrieben:


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[0285] Briefe aus Trebeldorf Blutig revolutionäre Gedanken können einen packen, wenn man den Blick nach der anderen Seite schweifen läßt über so manchen Strohkopf, der Jahr um Jahr auf einer höheren Schule die Bänke drückt. Der Vater hales aus. Er hat die Geduld und das Portemonnaie. So wird gesessen und gedruckst und durchgeschleppt und weitergeschoben, quälig von Stufe zu Stufe. Schließlich dann der große Erfolg mit der Berechtigung, des Kaisers Ehrenrock nur ein einziges Jahr tragen zu brauchen. Meinetwegen das immerhin noch. Wenns nur die Hirnverlassensten nicht immer wären, die sich nachher aufpusten, den Kopf in den Nacken werfen und die Nase am höchsten tragen! Als ob sie vor den übrigen etwas anderes voraus hätten als die sinnlose Bevorzugung durch ein blind waltendes GeschickI Doch ich vergesse mich. Von meinem Idyll sollst Du hören. Paul Ewert ist also der Aufgewecktesten einer. Es ist erstaunlich, mit welchem Hunger er alles und jedes ergreift. Du solltest ihn sehen, wie er dasitzt mit seinen neugierklugen Augen, solltest die klaren und verständigen Fragen hören, mit denen er mich nicht selten in Verlegenheit jagt. — In alle Gründe des Wissens späht er mutig hinein. Er verträgt kein Dunkel. Weiß der Himmel, wo nur der Junge die Bücher alle aufstöbert hier in Trebeldorf. Aber er trifft sie mit sicherem Spürsinn und wählt sie mit eigenem Geschick. Überall findet er Nahrung für sein kleines Köpfchen, in das er mühelos alles wohlgeordnet hineinbringt. Schon ist er mit seinem Schiller befreundet wie kaum ein Gleichaltriger auf dem Gymnasium. Den deklamiert der kleine Mann, abgesehen natürlich von einigen Trübungen durch den hier herrschenden Dialekt, mit bezaubernder Anmut. Besonders gern liest er geographische Bücher, Reiseschilderungen und der¬ gleichen, und es ist bald kein so entlegener Erdenwinkel mehr, den er nicht aufgespürt hätte und sich in greifbarer Vorstellung zu gestalten wüßte. Und nun erst die kleinen physikalischen Apparate alle, die er rin den bescheidensten Mitteln zusammengebaut hat! Es ist lächerlich, die Dinger in ihrer Anspruchslosigkeit anzuschauen, aber sie arbeiten ausnahmslos mit einer Selbstverständlichkeit, als könne das gar nicht anders sein. Und was wird aus ihm? — Ein Torfbauer wie der Vater. Er denkt auch garnicht daran, daß es einmal höher hinaufgehen könne. — Welch eine Fülle von geistiger Kraft liegt dann auch hier wieder auf Brandland! Die täglich gleichförmige Arbeit wird über sein Dasein kommen, auch etwas Sorge und Not vielleicht.^ Sie werden diesen Geist umspinnen, und damit wird auch diesem Leben der Weg gezeichnet sein. Er wird sich besinnen in späteren Jahren, daß er in der Knabenzeit in der Reihe der kleinen Geistes¬ helden stand, und daß seine Lehrer, der Korrektor zumal, ihn lieb hatten. Paul Ewert ist nun seit vier Tagen krank. Sein Vater hat mir einen Brief geschrieben:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/285>, abgerufen am 22.12.2024.