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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Verufsvormundschaft als Grganisationsform
des Ainderschutzes
Professor Dr. Chr. I, "lumker vonin

er Name der Verufsvormundschaft ist kaum ein Jahrzehnt alt,
die Einrichtung selbst dagegen blickt in ihren letzten Wurzeln auf
eine jahrhundertelange Entwicklung zurück. Ein kurzer Rückblick
auf diese Entwicklung wird uns am ehesten verstehen lehren,
worin das innere Wesen und damit auch die Aufgabe der Berufs¬
vormundschaft in unserer Zeit liegt. Wir alle erinnern uns der Jugendgerichte
und der Bewunderung, die man deshalb England und Amerika entgegengebracht
hat, als ob diese beiden Staaten dadurch einen sonderlichen Vorsprung in der
Kinderfürsorge vor uns gewonnen hätten. Allein man verkennt hierbei, daß
England und Amerika eine Vormundschaft in unserem Sinne überhaupt fast
nicht oder nur dort kennen, wo Geld und Vermögen vorhanden ist. Der
eigentliche Fürsorgecharakter der Vormundschaft, den bei uns auch die Einzel¬
vormundschaft trotz all ihrer starken Mängel an sich trägt, fehlt dort, so daß
sie bei vermögenslosen Kindern wegfällt. Viele Kinder, die von unserer Vor¬
mundschaft doch einigermaßen geschützt werden, müssen drüben diesen Schutz
entbehren; ihre Gefährdung und Verwahrlosung muß sich daher dort viel weiter
ausdehnen und gefährlichere Formen annehmen. Deshalb sucht die Jugend¬
gerichtsbewegung diesem Mangel abzuhelfen und zunächst vom Strafgesetz aus
das Maß von Kinderschutz zu erreichen, das auf dem Kontinent durch die
Vormundschaft meistens schon gewährt war.

Wenn Reicher bei seiner letzten amerikanischen Reise den Eindruck gewann,
daß der probation otticor sich allmählich zum Berufsvormund ausgestalte, so
zeugt das dafür, daß mit der Verufsvormundschaft eine höhere Stufe erreicht
ist, als mit den Jugendgerichten.

Seit dem Ausgang des Mittelalters hat in den mitteleuropäischen Staaten
allgemein die Ansicht bestanden, daß Waisenkinder und überhaupt Kinder, die
einer öffentlichen Fürsorge bedürfen, selbstverständlich unter die elterliche Gewalt
derjenigen Institution gelangen, die sich dieser hilfsbedürftigen Kinder annimmt.
Diese Schutzgewalt der Waisenhäuser und Erziehungsbehörden gesetzlich zu fixieren.




Die Verufsvormundschaft als Grganisationsform
des Ainderschutzes
Professor Dr. Chr. I, «lumker vonin

er Name der Verufsvormundschaft ist kaum ein Jahrzehnt alt,
die Einrichtung selbst dagegen blickt in ihren letzten Wurzeln auf
eine jahrhundertelange Entwicklung zurück. Ein kurzer Rückblick
auf diese Entwicklung wird uns am ehesten verstehen lehren,
worin das innere Wesen und damit auch die Aufgabe der Berufs¬
vormundschaft in unserer Zeit liegt. Wir alle erinnern uns der Jugendgerichte
und der Bewunderung, die man deshalb England und Amerika entgegengebracht
hat, als ob diese beiden Staaten dadurch einen sonderlichen Vorsprung in der
Kinderfürsorge vor uns gewonnen hätten. Allein man verkennt hierbei, daß
England und Amerika eine Vormundschaft in unserem Sinne überhaupt fast
nicht oder nur dort kennen, wo Geld und Vermögen vorhanden ist. Der
eigentliche Fürsorgecharakter der Vormundschaft, den bei uns auch die Einzel¬
vormundschaft trotz all ihrer starken Mängel an sich trägt, fehlt dort, so daß
sie bei vermögenslosen Kindern wegfällt. Viele Kinder, die von unserer Vor¬
mundschaft doch einigermaßen geschützt werden, müssen drüben diesen Schutz
entbehren; ihre Gefährdung und Verwahrlosung muß sich daher dort viel weiter
ausdehnen und gefährlichere Formen annehmen. Deshalb sucht die Jugend¬
gerichtsbewegung diesem Mangel abzuhelfen und zunächst vom Strafgesetz aus
das Maß von Kinderschutz zu erreichen, das auf dem Kontinent durch die
Vormundschaft meistens schon gewährt war.

Wenn Reicher bei seiner letzten amerikanischen Reise den Eindruck gewann,
daß der probation otticor sich allmählich zum Berufsvormund ausgestalte, so
zeugt das dafür, daß mit der Verufsvormundschaft eine höhere Stufe erreicht
ist, als mit den Jugendgerichten.

Seit dem Ausgang des Mittelalters hat in den mitteleuropäischen Staaten
allgemein die Ansicht bestanden, daß Waisenkinder und überhaupt Kinder, die
einer öffentlichen Fürsorge bedürfen, selbstverständlich unter die elterliche Gewalt
derjenigen Institution gelangen, die sich dieser hilfsbedürftigen Kinder annimmt.
Diese Schutzgewalt der Waisenhäuser und Erziehungsbehörden gesetzlich zu fixieren.


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[0271] [Abbildung] Die Verufsvormundschaft als Grganisationsform des Ainderschutzes Professor Dr. Chr. I, «lumker vonin er Name der Verufsvormundschaft ist kaum ein Jahrzehnt alt, die Einrichtung selbst dagegen blickt in ihren letzten Wurzeln auf eine jahrhundertelange Entwicklung zurück. Ein kurzer Rückblick auf diese Entwicklung wird uns am ehesten verstehen lehren, worin das innere Wesen und damit auch die Aufgabe der Berufs¬ vormundschaft in unserer Zeit liegt. Wir alle erinnern uns der Jugendgerichte und der Bewunderung, die man deshalb England und Amerika entgegengebracht hat, als ob diese beiden Staaten dadurch einen sonderlichen Vorsprung in der Kinderfürsorge vor uns gewonnen hätten. Allein man verkennt hierbei, daß England und Amerika eine Vormundschaft in unserem Sinne überhaupt fast nicht oder nur dort kennen, wo Geld und Vermögen vorhanden ist. Der eigentliche Fürsorgecharakter der Vormundschaft, den bei uns auch die Einzel¬ vormundschaft trotz all ihrer starken Mängel an sich trägt, fehlt dort, so daß sie bei vermögenslosen Kindern wegfällt. Viele Kinder, die von unserer Vor¬ mundschaft doch einigermaßen geschützt werden, müssen drüben diesen Schutz entbehren; ihre Gefährdung und Verwahrlosung muß sich daher dort viel weiter ausdehnen und gefährlichere Formen annehmen. Deshalb sucht die Jugend¬ gerichtsbewegung diesem Mangel abzuhelfen und zunächst vom Strafgesetz aus das Maß von Kinderschutz zu erreichen, das auf dem Kontinent durch die Vormundschaft meistens schon gewährt war. Wenn Reicher bei seiner letzten amerikanischen Reise den Eindruck gewann, daß der probation otticor sich allmählich zum Berufsvormund ausgestalte, so zeugt das dafür, daß mit der Verufsvormundschaft eine höhere Stufe erreicht ist, als mit den Jugendgerichten. Seit dem Ausgang des Mittelalters hat in den mitteleuropäischen Staaten allgemein die Ansicht bestanden, daß Waisenkinder und überhaupt Kinder, die einer öffentlichen Fürsorge bedürfen, selbstverständlich unter die elterliche Gewalt derjenigen Institution gelangen, die sich dieser hilfsbedürftigen Kinder annimmt. Diese Schutzgewalt der Waisenhäuser und Erziehungsbehörden gesetzlich zu fixieren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/271>, abgerufen am 22.07.2024.