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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Lark Jentsch

eine vertrauliche Umfrage würde sehr weit über deren Kreise hinaus ein sehr
negatives Resultat ergeben. Preußen ist eine Macht, die Respekt einflößt, aber
kein Objekt für schwärmende Liebhaber. Blut und Eisen haben diesen Staat
als eine historische Notwendigkeit geschaffen, und wie er nicht aus Liebe ent¬
standen ist, so wird er auch fürderhin ohne Liebe auskommen. Die deutschen
Katholiken achten und schätzen gleich jedem vernünftigen Menschen den preußischen
Staat, und das Reich, das ihnen die politische Betätigung im weitesten Um¬
fange gewährleistet, das lieben sie. Sie müßten Narren sein, wenn sie sich
nach französischen Zuständen sehnen wollten, und auch österreichisch zu werden
haben sie keine Lust, obwohl sie das Kaiserhaus lieben, das den Katholizismus
glänzend repräsentiert.

Also die ganze politische Polemik gegen den Ultramontanismus und Katho¬
lizismus ist für mich gegenstandslos. Ich halte die drei Kirchen sür individuell,
national und temporell berechtigte, nicht bloß juristisch und staatsrechtlich, sondern
auch ideell-religiös gleichberechtigte Ausgestaltungen des einen Christentums,
halte es für wünschenswert und möglich, daß sie einander als solche anerkennen,
was freilich auf der katholischen Seite die Preisgabe des Dogmas von der allein¬
seligmachenden Kirche voraussetzt, und habe in den Grenzboten für dieses fried¬
liche Sichvertragen gewirkt. Weil der Evangelische Bund eine gegen Rom,
darum auch gegen die deutschen Katholiken geschaffene Kampforganisation ist,
habe ich ihn bekämpft; das ist den Grenzboten natürlich sehr übel genommen
worden.

Mit Grunow habe ich die schwebenden Probleme auch brieflich erörtert,
und dabei sind wir oft hart aneinander, aber nie auseinander geraten. Die
Differenzen bezüglich der Arbeiterfragen würden sich, wenn er länger gelebt hätte,
von selbst gelöst haben, weil sich durch die Besserung der Konjunktur und damit
der Lage der Arbeiter und mit der wachsenden Macht der Sozialdemokratie die
Situation seit den ersten neunziger Jahren gründlich geändert hat, was natürlich
auch meine Stellung, nicht die grundsätzliche, aber die zu den aktuellen Arbeiter¬
fragen ändert. Auch über Gegenstände, die nicht in den Grenzboten behandelt
wurden, haben wir brieflich disputiert, z. B. über die Prostitution; Grunow
hielt an der strengsten christlichen Sexualethik fest, während ich meine, daß die
Gesetze und die öffentlichen Einrichtungen die Menschennatur nehmen müssen,
wie sie nun einmal ist. Während seiner Krankheit und nach seinem betrübend
frühzeitigen Tode erhielt sein Vertreter und nächster Nachfolger, Herr Karl
Weißer, das freundschaftliche Verhältnis, wenn es auch den Charakter der
Intimität verlor, aufrecht, bis die Grenzboten Ende 1909 (zu ihrem Heil) an
den jetzigen Herausgeber übergingen. Die Heranziehung neuer junger Kräfte
war dem Unternehmen nötig, besonders solcher Mitarbeiter, die den politischen
Ereignissen persönlich näherstehen als ein in provinzieller Abgeschiedenheit vege¬
tierender Publizist.----"




Lark Jentsch

eine vertrauliche Umfrage würde sehr weit über deren Kreise hinaus ein sehr
negatives Resultat ergeben. Preußen ist eine Macht, die Respekt einflößt, aber
kein Objekt für schwärmende Liebhaber. Blut und Eisen haben diesen Staat
als eine historische Notwendigkeit geschaffen, und wie er nicht aus Liebe ent¬
standen ist, so wird er auch fürderhin ohne Liebe auskommen. Die deutschen
Katholiken achten und schätzen gleich jedem vernünftigen Menschen den preußischen
Staat, und das Reich, das ihnen die politische Betätigung im weitesten Um¬
fange gewährleistet, das lieben sie. Sie müßten Narren sein, wenn sie sich
nach französischen Zuständen sehnen wollten, und auch österreichisch zu werden
haben sie keine Lust, obwohl sie das Kaiserhaus lieben, das den Katholizismus
glänzend repräsentiert.

Also die ganze politische Polemik gegen den Ultramontanismus und Katho¬
lizismus ist für mich gegenstandslos. Ich halte die drei Kirchen sür individuell,
national und temporell berechtigte, nicht bloß juristisch und staatsrechtlich, sondern
auch ideell-religiös gleichberechtigte Ausgestaltungen des einen Christentums,
halte es für wünschenswert und möglich, daß sie einander als solche anerkennen,
was freilich auf der katholischen Seite die Preisgabe des Dogmas von der allein¬
seligmachenden Kirche voraussetzt, und habe in den Grenzboten für dieses fried¬
liche Sichvertragen gewirkt. Weil der Evangelische Bund eine gegen Rom,
darum auch gegen die deutschen Katholiken geschaffene Kampforganisation ist,
habe ich ihn bekämpft; das ist den Grenzboten natürlich sehr übel genommen
worden.

Mit Grunow habe ich die schwebenden Probleme auch brieflich erörtert,
und dabei sind wir oft hart aneinander, aber nie auseinander geraten. Die
Differenzen bezüglich der Arbeiterfragen würden sich, wenn er länger gelebt hätte,
von selbst gelöst haben, weil sich durch die Besserung der Konjunktur und damit
der Lage der Arbeiter und mit der wachsenden Macht der Sozialdemokratie die
Situation seit den ersten neunziger Jahren gründlich geändert hat, was natürlich
auch meine Stellung, nicht die grundsätzliche, aber die zu den aktuellen Arbeiter¬
fragen ändert. Auch über Gegenstände, die nicht in den Grenzboten behandelt
wurden, haben wir brieflich disputiert, z. B. über die Prostitution; Grunow
hielt an der strengsten christlichen Sexualethik fest, während ich meine, daß die
Gesetze und die öffentlichen Einrichtungen die Menschennatur nehmen müssen,
wie sie nun einmal ist. Während seiner Krankheit und nach seinem betrübend
frühzeitigen Tode erhielt sein Vertreter und nächster Nachfolger, Herr Karl
Weißer, das freundschaftliche Verhältnis, wenn es auch den Charakter der
Intimität verlor, aufrecht, bis die Grenzboten Ende 1909 (zu ihrem Heil) an
den jetzigen Herausgeber übergingen. Die Heranziehung neuer junger Kräfte
war dem Unternehmen nötig, besonders solcher Mitarbeiter, die den politischen
Ereignissen persönlich näherstehen als ein in provinzieller Abgeschiedenheit vege¬
tierender Publizist.----"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/270>, abgerufen am 22.12.2024.