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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Carl Jenisch

und meinen philosophischen Standpunkt, einen Theismus im Sinne Hermann
Lotzes, sowohl dem Haeckelschen Monismus wie einem praktisch auf Atheismus
hinauslaufenden Hegeltum gegenüber mit Entschiedenheit vertreten.

Gerade das Studium der Biologie, welche die wunderbarsten, ja die
raffiniertesten Zweckmäßigkeiten aufdeckt, hat mich im Glauben an eine mit
Bewußtsein planmäßig wirkende Weltvernunft befestigt, und daß diese Vernunft
auch in der Menschenwelt walte, konnte meinem geschichtlichen Sinne nicht
zweifelhaft bleiben. Dabei gelangte ich zwar zur Ablehnung der Orthodoxie
aller drei Konfessionen (dem abergläubischen russisch-orientalischen Zeremonien¬
wesen vermag ich den Rang einer vierten christlichen Konfesston nicht ein¬
zuräumen), aber in der Überzeugung von der Göttlichkeit des Christentums
vermochten mich die Irrungen und Wirrungen der Christen nicht wankend zu
machen. Auch dieses kam in meinen Beiträgen zum Ausdruck.

Was sodann den Konfessionsstreit betrifft, so bekämpfte ich zwar den Ultra¬
montanismus und Papalismus, aber nicht etwa im Interesse des deutschen
Vaterlandes und der preußischen Monarchie, sondern lediglich im Interesse der
katholischen Kirche, die ich nach dem Bruch mit ihr lieb behalten hatte und von
deren Unentbehrlichkeit ich überzeugt bin. Ich bekämpfe bis auf den heutigen
Tag jene Richtung, weil ich sehe, daß sie der katholischen Kirche, daß sie dem
katholischen Volke Deutschlands schadet; dagegen liegt mir der Gedanke welten¬
fern, von jener Richtung oder überhaupt von der katholischen Kirche könnte dem
Königreich Preußen, könnte dem Deutschen Reiche Gefahr drohen. Ich sehe gar
keine Möglichkeit, wie Papst und Bischöfe, wie "die Jesuiten" es anfangen
könnten, solchen Schaden anzurichten. Die Einbildungen von Jesuitenränken
gegen das Reich sind eben Einbildungen, ein Stück eingerosteten protestantischen
Aberglaubens. Vier Vorbereitungsjahre und neunzehn Jahre amtlicher Tätigkeit
haben mich in die katholische Denk- und Empfindungsweise, in das Leben und
Wirken der katholischen Geistlichkeit so vollständig eingeweiht, daß mir unmöglich
etwas Wichtiges verborgen bleiben konnte. Ich habe ein paar Dutzend Missions¬
predigten von Jesuiten gehört, einmal Priesterexerzitien mitgemacht, die von
einem Jesuiten geleitet wurden, und diesem Jesuiten gebeichtet, aber in alledem
ist von Politik keine Rede gewesen. Nie habe ich das winzigste Fadenendchen
eines Verschwörungsgespinstes, das übrigens bloß lächerlich, nicht im mindesten
gefährlich gewesen sein würde, zu fassen bekommen. Das einzige, was man
dem katholischen Klerus politisch übelnehmen könnte, ist, daß er dem gro߬
deutschen, nicht demi kleindeutschen Ideal gehuldigt hat. Ich huldige ihm noch
heute, freilich minu8 Habsburgische Spitze. Und haben 1866 nicht alle Süd¬
deutschen, die alten Achtundvierziger, meist atheistische Demokraten, voran, dafür
gekämpft? Möglich, daß die katholischen Geistlichen nicht gerade in den preußischen
Staat und seine Bureaukratie verliebt sind; hätte je solche Liebe bestanden,
dann hätte der Kulturkampf sie austreiben müssen. Aber wer liebt denn sonst
diesen Staat? Die Sozialdemokraten und die Demokraten sicherlich nicht, und


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und meinen philosophischen Standpunkt, einen Theismus im Sinne Hermann
Lotzes, sowohl dem Haeckelschen Monismus wie einem praktisch auf Atheismus
hinauslaufenden Hegeltum gegenüber mit Entschiedenheit vertreten.

Gerade das Studium der Biologie, welche die wunderbarsten, ja die
raffiniertesten Zweckmäßigkeiten aufdeckt, hat mich im Glauben an eine mit
Bewußtsein planmäßig wirkende Weltvernunft befestigt, und daß diese Vernunft
auch in der Menschenwelt walte, konnte meinem geschichtlichen Sinne nicht
zweifelhaft bleiben. Dabei gelangte ich zwar zur Ablehnung der Orthodoxie
aller drei Konfessionen (dem abergläubischen russisch-orientalischen Zeremonien¬
wesen vermag ich den Rang einer vierten christlichen Konfesston nicht ein¬
zuräumen), aber in der Überzeugung von der Göttlichkeit des Christentums
vermochten mich die Irrungen und Wirrungen der Christen nicht wankend zu
machen. Auch dieses kam in meinen Beiträgen zum Ausdruck.

Was sodann den Konfessionsstreit betrifft, so bekämpfte ich zwar den Ultra¬
montanismus und Papalismus, aber nicht etwa im Interesse des deutschen
Vaterlandes und der preußischen Monarchie, sondern lediglich im Interesse der
katholischen Kirche, die ich nach dem Bruch mit ihr lieb behalten hatte und von
deren Unentbehrlichkeit ich überzeugt bin. Ich bekämpfe bis auf den heutigen
Tag jene Richtung, weil ich sehe, daß sie der katholischen Kirche, daß sie dem
katholischen Volke Deutschlands schadet; dagegen liegt mir der Gedanke welten¬
fern, von jener Richtung oder überhaupt von der katholischen Kirche könnte dem
Königreich Preußen, könnte dem Deutschen Reiche Gefahr drohen. Ich sehe gar
keine Möglichkeit, wie Papst und Bischöfe, wie „die Jesuiten" es anfangen
könnten, solchen Schaden anzurichten. Die Einbildungen von Jesuitenränken
gegen das Reich sind eben Einbildungen, ein Stück eingerosteten protestantischen
Aberglaubens. Vier Vorbereitungsjahre und neunzehn Jahre amtlicher Tätigkeit
haben mich in die katholische Denk- und Empfindungsweise, in das Leben und
Wirken der katholischen Geistlichkeit so vollständig eingeweiht, daß mir unmöglich
etwas Wichtiges verborgen bleiben konnte. Ich habe ein paar Dutzend Missions¬
predigten von Jesuiten gehört, einmal Priesterexerzitien mitgemacht, die von
einem Jesuiten geleitet wurden, und diesem Jesuiten gebeichtet, aber in alledem
ist von Politik keine Rede gewesen. Nie habe ich das winzigste Fadenendchen
eines Verschwörungsgespinstes, das übrigens bloß lächerlich, nicht im mindesten
gefährlich gewesen sein würde, zu fassen bekommen. Das einzige, was man
dem katholischen Klerus politisch übelnehmen könnte, ist, daß er dem gro߬
deutschen, nicht demi kleindeutschen Ideal gehuldigt hat. Ich huldige ihm noch
heute, freilich minu8 Habsburgische Spitze. Und haben 1866 nicht alle Süd¬
deutschen, die alten Achtundvierziger, meist atheistische Demokraten, voran, dafür
gekämpft? Möglich, daß die katholischen Geistlichen nicht gerade in den preußischen
Staat und seine Bureaukratie verliebt sind; hätte je solche Liebe bestanden,
dann hätte der Kulturkampf sie austreiben müssen. Aber wer liebt denn sonst
diesen Staat? Die Sozialdemokraten und die Demokraten sicherlich nicht, und


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[0269] Carl Jenisch und meinen philosophischen Standpunkt, einen Theismus im Sinne Hermann Lotzes, sowohl dem Haeckelschen Monismus wie einem praktisch auf Atheismus hinauslaufenden Hegeltum gegenüber mit Entschiedenheit vertreten. Gerade das Studium der Biologie, welche die wunderbarsten, ja die raffiniertesten Zweckmäßigkeiten aufdeckt, hat mich im Glauben an eine mit Bewußtsein planmäßig wirkende Weltvernunft befestigt, und daß diese Vernunft auch in der Menschenwelt walte, konnte meinem geschichtlichen Sinne nicht zweifelhaft bleiben. Dabei gelangte ich zwar zur Ablehnung der Orthodoxie aller drei Konfessionen (dem abergläubischen russisch-orientalischen Zeremonien¬ wesen vermag ich den Rang einer vierten christlichen Konfesston nicht ein¬ zuräumen), aber in der Überzeugung von der Göttlichkeit des Christentums vermochten mich die Irrungen und Wirrungen der Christen nicht wankend zu machen. Auch dieses kam in meinen Beiträgen zum Ausdruck. Was sodann den Konfessionsstreit betrifft, so bekämpfte ich zwar den Ultra¬ montanismus und Papalismus, aber nicht etwa im Interesse des deutschen Vaterlandes und der preußischen Monarchie, sondern lediglich im Interesse der katholischen Kirche, die ich nach dem Bruch mit ihr lieb behalten hatte und von deren Unentbehrlichkeit ich überzeugt bin. Ich bekämpfe bis auf den heutigen Tag jene Richtung, weil ich sehe, daß sie der katholischen Kirche, daß sie dem katholischen Volke Deutschlands schadet; dagegen liegt mir der Gedanke welten¬ fern, von jener Richtung oder überhaupt von der katholischen Kirche könnte dem Königreich Preußen, könnte dem Deutschen Reiche Gefahr drohen. Ich sehe gar keine Möglichkeit, wie Papst und Bischöfe, wie „die Jesuiten" es anfangen könnten, solchen Schaden anzurichten. Die Einbildungen von Jesuitenränken gegen das Reich sind eben Einbildungen, ein Stück eingerosteten protestantischen Aberglaubens. Vier Vorbereitungsjahre und neunzehn Jahre amtlicher Tätigkeit haben mich in die katholische Denk- und Empfindungsweise, in das Leben und Wirken der katholischen Geistlichkeit so vollständig eingeweiht, daß mir unmöglich etwas Wichtiges verborgen bleiben konnte. Ich habe ein paar Dutzend Missions¬ predigten von Jesuiten gehört, einmal Priesterexerzitien mitgemacht, die von einem Jesuiten geleitet wurden, und diesem Jesuiten gebeichtet, aber in alledem ist von Politik keine Rede gewesen. Nie habe ich das winzigste Fadenendchen eines Verschwörungsgespinstes, das übrigens bloß lächerlich, nicht im mindesten gefährlich gewesen sein würde, zu fassen bekommen. Das einzige, was man dem katholischen Klerus politisch übelnehmen könnte, ist, daß er dem gro߬ deutschen, nicht demi kleindeutschen Ideal gehuldigt hat. Ich huldige ihm noch heute, freilich minu8 Habsburgische Spitze. Und haben 1866 nicht alle Süd¬ deutschen, die alten Achtundvierziger, meist atheistische Demokraten, voran, dafür gekämpft? Möglich, daß die katholischen Geistlichen nicht gerade in den preußischen Staat und seine Bureaukratie verliebt sind; hätte je solche Liebe bestanden, dann hätte der Kulturkampf sie austreiben müssen. Aber wer liebt denn sonst diesen Staat? Die Sozialdemokraten und die Demokraten sicherlich nicht, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/269>, abgerufen am 24.07.2024.