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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Er aber war seines großen Erfolges sicher. Er wollte glänzen und ver¬
langte sein Publikum. Die Flügeltüren zwischen der Gaststube und dem Hinter¬
zimmer wurden weit aufgetan, und in ihnen stand Kopf an Kopf gedrängt
das Heer der Schaulustigen. Ich fügte mich mit Widerstreben in die Komödie.
Als ich mich auf den Zauberstuhl gesetzt hatte, gab er mir einen großen Teller.
Den sollte ich in beide Hände nehmen, fest drücken, immer starr auf die weiße
Fläche sehen und an weiter nichts denken.

Dann strich er mit seinen zitterigen Händen von meinem Scheitel herab
zu beiden Seiten ganz nach der Art eines Hypnotiseurs. Er war mit heiligem
Eifer bei der Sache. Ihm brach der Schweiß aus.

Ich weiß gar nicht, ob ich ernsthaft gewillt war, mich einschläfern zu
lassen. Jedenfalls raunte mir aus der Schar der Zuschauer eine Stimme zu,
ich solle ihm den Gefallen tun.

Ich tat es.

Nach kurzer Weile nahm er den Teller aus meinen Händen und wandte
sich leise triumphierend nach der Flügeltür: "Jetzt habe ich ihn."

Mit scharfer Kommandostimme sprach er mich an:

"Stehen Sie auf!"

Ich stand auf.

"Folgen Sie mir!"

Ich folgte ihm. Er ging rückwärts mir voran und sah unentwegt starr
in meine Augen. Ich tappte vorsichtig Schritt sür Schritt.

"Jetzt kommt eine breite Schwelle."

Ich hob das rechte Bein zu einem mächtigen Schritt und überwand
glücklich die Niesenschwelle. Kaum bewahrte ich den für die würdige Situation
nötigen Ernst.

"Stehen Sie!"

Ich stand.

"Sprechen Sie mir laut, langsam und vernehmlich nach: .Ich heiße
Philippine Wille/"

-- "Ich heiße Philippine Wille." --

"Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne eine
Moschee in Hammerfest."

-- "Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne
eine Moschee in Hammerfest." --

"Mein Sohn ist der Papst von Judäa."

-- "Mein Sohn ist der Papst von Judäa." --

"Er hat den Cholerabazillus erfunden,"

-- "Er hat den Cholerabazillus erfunden," --

"und ist zweitausendvierhundertsiebenundsechzig Jahre alt,"

-- "und ist zweitausendsiebenhundertvierundsechzig" --

-- "vierhundertsiebenundsechzig! Zum Donnerwetter!"


Briefe aus Trebeldorf

Er aber war seines großen Erfolges sicher. Er wollte glänzen und ver¬
langte sein Publikum. Die Flügeltüren zwischen der Gaststube und dem Hinter¬
zimmer wurden weit aufgetan, und in ihnen stand Kopf an Kopf gedrängt
das Heer der Schaulustigen. Ich fügte mich mit Widerstreben in die Komödie.
Als ich mich auf den Zauberstuhl gesetzt hatte, gab er mir einen großen Teller.
Den sollte ich in beide Hände nehmen, fest drücken, immer starr auf die weiße
Fläche sehen und an weiter nichts denken.

Dann strich er mit seinen zitterigen Händen von meinem Scheitel herab
zu beiden Seiten ganz nach der Art eines Hypnotiseurs. Er war mit heiligem
Eifer bei der Sache. Ihm brach der Schweiß aus.

Ich weiß gar nicht, ob ich ernsthaft gewillt war, mich einschläfern zu
lassen. Jedenfalls raunte mir aus der Schar der Zuschauer eine Stimme zu,
ich solle ihm den Gefallen tun.

Ich tat es.

Nach kurzer Weile nahm er den Teller aus meinen Händen und wandte
sich leise triumphierend nach der Flügeltür: „Jetzt habe ich ihn."

Mit scharfer Kommandostimme sprach er mich an:

„Stehen Sie auf!"

Ich stand auf.

„Folgen Sie mir!"

Ich folgte ihm. Er ging rückwärts mir voran und sah unentwegt starr
in meine Augen. Ich tappte vorsichtig Schritt sür Schritt.

„Jetzt kommt eine breite Schwelle."

Ich hob das rechte Bein zu einem mächtigen Schritt und überwand
glücklich die Niesenschwelle. Kaum bewahrte ich den für die würdige Situation
nötigen Ernst.

„Stehen Sie!"

Ich stand.

„Sprechen Sie mir laut, langsam und vernehmlich nach: .Ich heiße
Philippine Wille/"

— „Ich heiße Philippine Wille." —

„Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne eine
Moschee in Hammerfest."

— „Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne
eine Moschee in Hammerfest." —

„Mein Sohn ist der Papst von Judäa."

— „Mein Sohn ist der Papst von Judäa." —

„Er hat den Cholerabazillus erfunden,"

— „Er hat den Cholerabazillus erfunden," —

„und ist zweitausendvierhundertsiebenundsechzig Jahre alt,"

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[0241] Briefe aus Trebeldorf Er aber war seines großen Erfolges sicher. Er wollte glänzen und ver¬ langte sein Publikum. Die Flügeltüren zwischen der Gaststube und dem Hinter¬ zimmer wurden weit aufgetan, und in ihnen stand Kopf an Kopf gedrängt das Heer der Schaulustigen. Ich fügte mich mit Widerstreben in die Komödie. Als ich mich auf den Zauberstuhl gesetzt hatte, gab er mir einen großen Teller. Den sollte ich in beide Hände nehmen, fest drücken, immer starr auf die weiße Fläche sehen und an weiter nichts denken. Dann strich er mit seinen zitterigen Händen von meinem Scheitel herab zu beiden Seiten ganz nach der Art eines Hypnotiseurs. Er war mit heiligem Eifer bei der Sache. Ihm brach der Schweiß aus. Ich weiß gar nicht, ob ich ernsthaft gewillt war, mich einschläfern zu lassen. Jedenfalls raunte mir aus der Schar der Zuschauer eine Stimme zu, ich solle ihm den Gefallen tun. Ich tat es. Nach kurzer Weile nahm er den Teller aus meinen Händen und wandte sich leise triumphierend nach der Flügeltür: „Jetzt habe ich ihn." Mit scharfer Kommandostimme sprach er mich an: „Stehen Sie auf!" Ich stand auf. „Folgen Sie mir!" Ich folgte ihm. Er ging rückwärts mir voran und sah unentwegt starr in meine Augen. Ich tappte vorsichtig Schritt sür Schritt. „Jetzt kommt eine breite Schwelle." Ich hob das rechte Bein zu einem mächtigen Schritt und überwand glücklich die Niesenschwelle. Kaum bewahrte ich den für die würdige Situation nötigen Ernst. „Stehen Sie!" Ich stand. „Sprechen Sie mir laut, langsam und vernehmlich nach: .Ich heiße Philippine Wille/" — „Ich heiße Philippine Wille." — „Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne eine Moschee in Hammerfest." — „Ich bin die schönste unter den Hebammen der Sahara und bewohne eine Moschee in Hammerfest." — „Mein Sohn ist der Papst von Judäa." — „Mein Sohn ist der Papst von Judäa." — „Er hat den Cholerabazillus erfunden," — „Er hat den Cholerabazillus erfunden," — „und ist zweitausendvierhundertsiebenundsechzig Jahre alt," — „und ist zweitausendsiebenhundertvierundsechzig" — — „vierhundertsiebenundsechzig! Zum Donnerwetter!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/241>, abgerufen am 22.12.2024.