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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Verwundert blicke ich ihn an und will zu sprechen beginnen, da weiten
sich seine Augen unheimlich; sie quellen aus ihren Höhlen heraus; er starrt mir
in das bange Gesicht und macht: "Pschtl Pfahl! -- Nicht sprechen! -- Ich
kriege Sie noch!"

All ihr gerechten Götter! -- Was war denn das? -- Sollte etwa? --
Doch nicht das Delirium?

Mich überlief es. Der Senator und der Apotheker sahen sich ruhig an,
als sei ihnen das rätselhafte Gebaren kein Geheimnis mehr. Ich mußte sprechen.

"Schade," sagte der Bürgermeister, "wirklich schade, daß Sie was gesagt
haben. Ich hatte Sie ja beinahe so weit."

"Ja, aber was ist denn?" fragte ich.

"Hat man Ihnen noch nicht erzählt davon? -- Ich hypnotisiere. --
Wir hatten nämlich vor zwei Jahren mal den Hypnotiseur Hansen in Trebel¬
dorf. Von dem hab ich's gelernt. -- Es gelingt nur so selten. Die Kerle
sind alle so störrisch und ungeschickt.

Ich suche ein Medium. Seit anderthalb Jahren schon suche ich durch ganz
Trebeldorf vergeblich nach einem Medium. -- Jetzt endlich! Sie sind eins.--
Die andern geben sich nicht hin. Weiche, gemütvolle Seelen müssen es sein.
Sie sind mein Medium. Ich habe das gleich an ihrem Auge gesehen. Ich
habe gefühlt, wie eine Kraft von mir gewichen ist und übergeströmt auf Sie.
-- Ich kriege Sie noch."

Ich lachte laut auf.

"Lachen Sie nicht, lieber Korrektor! Lachen Sie ja nicht! -- Bei Holz¬
berg heute Abend im Hinterzimmer, da geht es gewiß und wahrhaftig. Sie
werden es erleben." --

Auf der Rückfahrt dunkelte es sacht.

Der unheimliche Mensch -- er saß neben mir -- fingerte und krauelte
an meinem Rockärmel herunter: "Ich kriege Sie doch noch. Sie sind mein
Medium. -- Ach, wenn meine Elfe -- Musch noch lebte, meine schöne, stolze
Elfe -- Musch! -- Die wäre auch eins gewesen. -- Ganz gewiß, das wäre
sie. -- Die konnte ihren Blick so unentwegt auf einem Punkt festhalten. Merk¬
würdig, immer gerade, wenn sie gelbe Seide sah, schöne gelbe, glatte Seide.

-- Meine Elfe -- Musch!" --

Wir waren wieder angelangt vor dem Hotel, und ich suchte den Bürger¬
meister direkt in seine Wohnung zu lotsen, auf daß nicht die wüste Vormittags¬
szene ihre Fortsetzung fände am Abend; ich versprach, ihm Gesellschaft zu leisten
in seinem Hause, bis er sich müde fühlen würde.

Vergeblich. Er mußte wieder in das Hotel. Und da ging es denn richtig
los. Er glaubte mich nun mal entdeckt zu haben.

Ich mochte ihm seine kindische Freude nicht verderben und war zu einer
hypnotischen Sitzung unter vier Augen allenfalls bereit.


Briefe aus Trebeldorf

Verwundert blicke ich ihn an und will zu sprechen beginnen, da weiten
sich seine Augen unheimlich; sie quellen aus ihren Höhlen heraus; er starrt mir
in das bange Gesicht und macht: „Pschtl Pfahl! — Nicht sprechen! — Ich
kriege Sie noch!"

All ihr gerechten Götter! — Was war denn das? — Sollte etwa? —
Doch nicht das Delirium?

Mich überlief es. Der Senator und der Apotheker sahen sich ruhig an,
als sei ihnen das rätselhafte Gebaren kein Geheimnis mehr. Ich mußte sprechen.

„Schade," sagte der Bürgermeister, „wirklich schade, daß Sie was gesagt
haben. Ich hatte Sie ja beinahe so weit."

„Ja, aber was ist denn?" fragte ich.

„Hat man Ihnen noch nicht erzählt davon? — Ich hypnotisiere. —
Wir hatten nämlich vor zwei Jahren mal den Hypnotiseur Hansen in Trebel¬
dorf. Von dem hab ich's gelernt. — Es gelingt nur so selten. Die Kerle
sind alle so störrisch und ungeschickt.

Ich suche ein Medium. Seit anderthalb Jahren schon suche ich durch ganz
Trebeldorf vergeblich nach einem Medium. — Jetzt endlich! Sie sind eins.—
Die andern geben sich nicht hin. Weiche, gemütvolle Seelen müssen es sein.
Sie sind mein Medium. Ich habe das gleich an ihrem Auge gesehen. Ich
habe gefühlt, wie eine Kraft von mir gewichen ist und übergeströmt auf Sie.
— Ich kriege Sie noch."

Ich lachte laut auf.

„Lachen Sie nicht, lieber Korrektor! Lachen Sie ja nicht! — Bei Holz¬
berg heute Abend im Hinterzimmer, da geht es gewiß und wahrhaftig. Sie
werden es erleben." —

Auf der Rückfahrt dunkelte es sacht.

Der unheimliche Mensch — er saß neben mir — fingerte und krauelte
an meinem Rockärmel herunter: „Ich kriege Sie doch noch. Sie sind mein
Medium. — Ach, wenn meine Elfe — Musch noch lebte, meine schöne, stolze
Elfe — Musch! — Die wäre auch eins gewesen. — Ganz gewiß, das wäre
sie. — Die konnte ihren Blick so unentwegt auf einem Punkt festhalten. Merk¬
würdig, immer gerade, wenn sie gelbe Seide sah, schöne gelbe, glatte Seide.

— Meine Elfe — Musch!" —

Wir waren wieder angelangt vor dem Hotel, und ich suchte den Bürger¬
meister direkt in seine Wohnung zu lotsen, auf daß nicht die wüste Vormittags¬
szene ihre Fortsetzung fände am Abend; ich versprach, ihm Gesellschaft zu leisten
in seinem Hause, bis er sich müde fühlen würde.

Vergeblich. Er mußte wieder in das Hotel. Und da ging es denn richtig
los. Er glaubte mich nun mal entdeckt zu haben.

Ich mochte ihm seine kindische Freude nicht verderben und war zu einer
hypnotischen Sitzung unter vier Augen allenfalls bereit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/240>, abgerufen am 29.06.2024.