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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

anderen Dingen: nach der Monumentalität und nach der Idylle. Das ist der
Stil, den Europa -- in Kunst und Leben -- braucht und den es bekommen
wird. Nicht das Monumentale oder das Idyllische, auch nicht ein Mittelding
zwischen beiden, sondern beides zugleich, das Große und das Kleine, die Weite
und die Enge, die Majestät und die Lieblichkeit. So weit spannen wir Heutigen
den Bogen unseres Gefühls.

Die Kunst des Exzentrischen aber mit ihren betäubenden Gerüchen und
üblen Düften, wenn ihre Blätter und Blüten einmal verwelkt sind, wird einen
vortrefflichen Dünger abgeben für eine ganz andere Blume, die wir schon lange
suchen und die aus dem umgegrabenen Boden alsdann leicht und üppig empor¬
wachsen wird: Phantastik nämlich, die gesündere Schwester der Romantik.

In einer Welt aber, die ihren Sinn wiedergefunden haben wird, werden
wir dieses luftige Wesen Phantastik nicht ungern finden -- wir Philister.




Politik und Wirtschaft

^^as neue Jahr hat bisher keine Änderung in der Unsicherheit der
^ Wirtschaftslage gebracht. Die Friedensverhandlungen sind noch
L"5 nicht zum Abschluß gediehen, die Formel, welche die verwickelten
Verhältnisse ans dem Balkan zur Lösung bringen soll, ist noch
nicht gefunden. Daher will der Druck, den die politischen Ver¬
hältnisse auf die Stimmung und die Wirtschaftslage ausüben, nicht weichen.
Nußland und Österreich befinden sich noch immer im Zustand erhöhter Kriegs¬
bereitschaft. Diese Konstellation ist nicht dazu angetan, die wirtschaftliche Unter¬
nehmungslust zu fördern. Das Gefühl der Unsicherheit prägt sich am deut¬
lichsten in dem Auf- und Abschwenken der Börsenkurse aus. Scheinen die
politischen Aussichten besser, so erinnert man sich gern, daß die Konjunktur für
Kohle und Eisen noch keine fühlbare Einbuße erlitten hat und setzt die Kurse
in die Höhe, um bei der ersten ungünstigeren Nachricht sich um so größerer
Mutlosigkeit zu überlassen. Inzwischen zeigt sich auch, daß die große Börsenderoute
doch nicht allenthalben so gut überstanden worden ist, wie es anfänglich den An¬
schein hatte. In den kleineren Städten des Allgäu haben sich Aufsehen erregende
Bankrotte von Privatbankhäusern ereignet. Ähnlich, wie vor einigen Monaten
in der Lausitz und Schlesien, zog ein Zusammenbruch den anderen nach sich.
Das aufgeregte Publikum stürmte die Kassen und brachte so auch Firmen zu


Grenzboten I 1913 13
Politik und Wirtschaft

anderen Dingen: nach der Monumentalität und nach der Idylle. Das ist der
Stil, den Europa — in Kunst und Leben — braucht und den es bekommen
wird. Nicht das Monumentale oder das Idyllische, auch nicht ein Mittelding
zwischen beiden, sondern beides zugleich, das Große und das Kleine, die Weite
und die Enge, die Majestät und die Lieblichkeit. So weit spannen wir Heutigen
den Bogen unseres Gefühls.

Die Kunst des Exzentrischen aber mit ihren betäubenden Gerüchen und
üblen Düften, wenn ihre Blätter und Blüten einmal verwelkt sind, wird einen
vortrefflichen Dünger abgeben für eine ganz andere Blume, die wir schon lange
suchen und die aus dem umgegrabenen Boden alsdann leicht und üppig empor¬
wachsen wird: Phantastik nämlich, die gesündere Schwester der Romantik.

In einer Welt aber, die ihren Sinn wiedergefunden haben wird, werden
wir dieses luftige Wesen Phantastik nicht ungern finden — wir Philister.




Politik und Wirtschaft

^^as neue Jahr hat bisher keine Änderung in der Unsicherheit der
^ Wirtschaftslage gebracht. Die Friedensverhandlungen sind noch
L»5 nicht zum Abschluß gediehen, die Formel, welche die verwickelten
Verhältnisse ans dem Balkan zur Lösung bringen soll, ist noch
nicht gefunden. Daher will der Druck, den die politischen Ver¬
hältnisse auf die Stimmung und die Wirtschaftslage ausüben, nicht weichen.
Nußland und Österreich befinden sich noch immer im Zustand erhöhter Kriegs¬
bereitschaft. Diese Konstellation ist nicht dazu angetan, die wirtschaftliche Unter¬
nehmungslust zu fördern. Das Gefühl der Unsicherheit prägt sich am deut¬
lichsten in dem Auf- und Abschwenken der Börsenkurse aus. Scheinen die
politischen Aussichten besser, so erinnert man sich gern, daß die Konjunktur für
Kohle und Eisen noch keine fühlbare Einbuße erlitten hat und setzt die Kurse
in die Höhe, um bei der ersten ungünstigeren Nachricht sich um so größerer
Mutlosigkeit zu überlassen. Inzwischen zeigt sich auch, daß die große Börsenderoute
doch nicht allenthalben so gut überstanden worden ist, wie es anfänglich den An¬
schein hatte. In den kleineren Städten des Allgäu haben sich Aufsehen erregende
Bankrotte von Privatbankhäusern ereignet. Ähnlich, wie vor einigen Monaten
in der Lausitz und Schlesien, zog ein Zusammenbruch den anderen nach sich.
Das aufgeregte Publikum stürmte die Kassen und brachte so auch Firmen zu


Grenzboten I 1913 13
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[0197] Politik und Wirtschaft anderen Dingen: nach der Monumentalität und nach der Idylle. Das ist der Stil, den Europa — in Kunst und Leben — braucht und den es bekommen wird. Nicht das Monumentale oder das Idyllische, auch nicht ein Mittelding zwischen beiden, sondern beides zugleich, das Große und das Kleine, die Weite und die Enge, die Majestät und die Lieblichkeit. So weit spannen wir Heutigen den Bogen unseres Gefühls. Die Kunst des Exzentrischen aber mit ihren betäubenden Gerüchen und üblen Düften, wenn ihre Blätter und Blüten einmal verwelkt sind, wird einen vortrefflichen Dünger abgeben für eine ganz andere Blume, die wir schon lange suchen und die aus dem umgegrabenen Boden alsdann leicht und üppig empor¬ wachsen wird: Phantastik nämlich, die gesündere Schwester der Romantik. In einer Welt aber, die ihren Sinn wiedergefunden haben wird, werden wir dieses luftige Wesen Phantastik nicht ungern finden — wir Philister. Politik und Wirtschaft ^^as neue Jahr hat bisher keine Änderung in der Unsicherheit der ^ Wirtschaftslage gebracht. Die Friedensverhandlungen sind noch L»5 nicht zum Abschluß gediehen, die Formel, welche die verwickelten Verhältnisse ans dem Balkan zur Lösung bringen soll, ist noch nicht gefunden. Daher will der Druck, den die politischen Ver¬ hältnisse auf die Stimmung und die Wirtschaftslage ausüben, nicht weichen. Nußland und Österreich befinden sich noch immer im Zustand erhöhter Kriegs¬ bereitschaft. Diese Konstellation ist nicht dazu angetan, die wirtschaftliche Unter¬ nehmungslust zu fördern. Das Gefühl der Unsicherheit prägt sich am deut¬ lichsten in dem Auf- und Abschwenken der Börsenkurse aus. Scheinen die politischen Aussichten besser, so erinnert man sich gern, daß die Konjunktur für Kohle und Eisen noch keine fühlbare Einbuße erlitten hat und setzt die Kurse in die Höhe, um bei der ersten ungünstigeren Nachricht sich um so größerer Mutlosigkeit zu überlassen. Inzwischen zeigt sich auch, daß die große Börsenderoute doch nicht allenthalben so gut überstanden worden ist, wie es anfänglich den An¬ schein hatte. In den kleineren Städten des Allgäu haben sich Aufsehen erregende Bankrotte von Privatbankhäusern ereignet. Ähnlich, wie vor einigen Monaten in der Lausitz und Schlesien, zog ein Zusammenbruch den anderen nach sich. Das aufgeregte Publikum stürmte die Kassen und brachte so auch Firmen zu Grenzboten I 1913 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/197>, abgerufen am 22.12.2024.