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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Aus den Mooren steigen um diese Jahreszeit schon am Spätnachmittage
immer die grauen Nebel auf und hüllen das ganze Städtchen mit seinen Be¬
wohnern in einen undurchdringlichen Schleier.

Unser schmales Flüßchen trägt nur vereinzelte Torf- und Ziegelkähne. Eine
Eisenbahn ist erst im Bau.

Man ist also abgeschnitten von der großen Welt und muß versuchen zu
leben unter den Dreitausend, so gut es eben gehen will.

Ob mir's gelingt? Gar oft hast Du mein Anpassungsvermögen gerühmt,
Ob aber in diesem Ort nicht alle natürliche Anlage und jeder gute Wille ver¬
loren ist, muß sich noch ausweisen.

Bisher sind mir von den wenigen Seelen nicht gar viele bekannt geworden,
und es will mir gefährlich erscheinen, sich mit dem einen oder dem anderen
voreilig zu befreunden. Das ganze Nest ist gespalten in mindestens zwei große
Parteien. Wer des einen Freund ist, ist glattweg des anderen Gegner. Auf
Herz, Nieren und Gehirn wird nicht erst lange geprüft.



Daß ich Dir's nur gestehe! Ich weiß nicht, ob's nur ein ganz ordinäres
Heimweh ist, aber ich sehne mich zurück nach meiner Großstadt. Ich sehne mich
nach Dir. Ich sehne mich nach dem Theater und nach allen Genüssen der
Kunst, an die wir beide unsere Seelen hingegeben haben in herrlichen Stunden.
Ich sehne mich nach der offenen, weiten, leuchtenden See.

Da hast Du's nun. Ich wollte von meiner Stimmung nichts verraten.
Jetzt steht es doch da. --

Nimm es für eine augenblickliche Wallung. -- Nun ist es heraus, und
von jetzt ab will ich Dir oft schreiben. --

Wenn nur meine Bücher endlich ankamen! Ich begreife die Trödelei nicht.
Seit drei Wochen sind sie mit den übrigen Sachen unterwegs. Meine Wohnung
ist noch so hohl und öde. Des Abends ziehe ich in die Kneipe, in das Hotel.
Es gibt hier natürlich nur ein einziges.

So, lieber Cunz, da weißt Du vorläufig das Nötigste. Gleich acht Uhr. --
Ich habe mit dem jungen Apotheker eine Partie Billard verabredet. -- Sonder¬
bares Instrument übrigens, dieses Billard! Wenn ich darauf fertig ausgebildet
bin, zähle ich zu den größten Künstlern der Welt.


Leb wohl. Ich grüße Dich in Treuen,Dein Edward.

Trebeldorf, den 1. Oktober 19 . .


Lieber Cunz,

allen heißen Dank für Deinen Trostbrief und vor allem für die Büchersendung,
in der ich zu großer Freude auch meinen geliebten Theodor Storm mit einem
Bande vertreten finde.


Himmel, Herrgott Sakra! -- Da soll der Mensch nicht sentimental werden!
Briefe aus Trebeldorf

Aus den Mooren steigen um diese Jahreszeit schon am Spätnachmittage
immer die grauen Nebel auf und hüllen das ganze Städtchen mit seinen Be¬
wohnern in einen undurchdringlichen Schleier.

Unser schmales Flüßchen trägt nur vereinzelte Torf- und Ziegelkähne. Eine
Eisenbahn ist erst im Bau.

Man ist also abgeschnitten von der großen Welt und muß versuchen zu
leben unter den Dreitausend, so gut es eben gehen will.

Ob mir's gelingt? Gar oft hast Du mein Anpassungsvermögen gerühmt,
Ob aber in diesem Ort nicht alle natürliche Anlage und jeder gute Wille ver¬
loren ist, muß sich noch ausweisen.

Bisher sind mir von den wenigen Seelen nicht gar viele bekannt geworden,
und es will mir gefährlich erscheinen, sich mit dem einen oder dem anderen
voreilig zu befreunden. Das ganze Nest ist gespalten in mindestens zwei große
Parteien. Wer des einen Freund ist, ist glattweg des anderen Gegner. Auf
Herz, Nieren und Gehirn wird nicht erst lange geprüft.



Daß ich Dir's nur gestehe! Ich weiß nicht, ob's nur ein ganz ordinäres
Heimweh ist, aber ich sehne mich zurück nach meiner Großstadt. Ich sehne mich
nach Dir. Ich sehne mich nach dem Theater und nach allen Genüssen der
Kunst, an die wir beide unsere Seelen hingegeben haben in herrlichen Stunden.
Ich sehne mich nach der offenen, weiten, leuchtenden See.

Da hast Du's nun. Ich wollte von meiner Stimmung nichts verraten.
Jetzt steht es doch da. —

Nimm es für eine augenblickliche Wallung. — Nun ist es heraus, und
von jetzt ab will ich Dir oft schreiben. —

Wenn nur meine Bücher endlich ankamen! Ich begreife die Trödelei nicht.
Seit drei Wochen sind sie mit den übrigen Sachen unterwegs. Meine Wohnung
ist noch so hohl und öde. Des Abends ziehe ich in die Kneipe, in das Hotel.
Es gibt hier natürlich nur ein einziges.

So, lieber Cunz, da weißt Du vorläufig das Nötigste. Gleich acht Uhr. —
Ich habe mit dem jungen Apotheker eine Partie Billard verabredet. — Sonder¬
bares Instrument übrigens, dieses Billard! Wenn ich darauf fertig ausgebildet
bin, zähle ich zu den größten Künstlern der Welt.


Leb wohl. Ich grüße Dich in Treuen,Dein Edward.

Trebeldorf, den 1. Oktober 19 . .


Lieber Cunz,

allen heißen Dank für Deinen Trostbrief und vor allem für die Büchersendung,
in der ich zu großer Freude auch meinen geliebten Theodor Storm mit einem
Bande vertreten finde.


Himmel, Herrgott Sakra! — Da soll der Mensch nicht sentimental werden!
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[0186] Briefe aus Trebeldorf Aus den Mooren steigen um diese Jahreszeit schon am Spätnachmittage immer die grauen Nebel auf und hüllen das ganze Städtchen mit seinen Be¬ wohnern in einen undurchdringlichen Schleier. Unser schmales Flüßchen trägt nur vereinzelte Torf- und Ziegelkähne. Eine Eisenbahn ist erst im Bau. Man ist also abgeschnitten von der großen Welt und muß versuchen zu leben unter den Dreitausend, so gut es eben gehen will. Ob mir's gelingt? Gar oft hast Du mein Anpassungsvermögen gerühmt, Ob aber in diesem Ort nicht alle natürliche Anlage und jeder gute Wille ver¬ loren ist, muß sich noch ausweisen. Bisher sind mir von den wenigen Seelen nicht gar viele bekannt geworden, und es will mir gefährlich erscheinen, sich mit dem einen oder dem anderen voreilig zu befreunden. Das ganze Nest ist gespalten in mindestens zwei große Parteien. Wer des einen Freund ist, ist glattweg des anderen Gegner. Auf Herz, Nieren und Gehirn wird nicht erst lange geprüft. Daß ich Dir's nur gestehe! Ich weiß nicht, ob's nur ein ganz ordinäres Heimweh ist, aber ich sehne mich zurück nach meiner Großstadt. Ich sehne mich nach Dir. Ich sehne mich nach dem Theater und nach allen Genüssen der Kunst, an die wir beide unsere Seelen hingegeben haben in herrlichen Stunden. Ich sehne mich nach der offenen, weiten, leuchtenden See. Da hast Du's nun. Ich wollte von meiner Stimmung nichts verraten. Jetzt steht es doch da. — Nimm es für eine augenblickliche Wallung. — Nun ist es heraus, und von jetzt ab will ich Dir oft schreiben. — Wenn nur meine Bücher endlich ankamen! Ich begreife die Trödelei nicht. Seit drei Wochen sind sie mit den übrigen Sachen unterwegs. Meine Wohnung ist noch so hohl und öde. Des Abends ziehe ich in die Kneipe, in das Hotel. Es gibt hier natürlich nur ein einziges. So, lieber Cunz, da weißt Du vorläufig das Nötigste. Gleich acht Uhr. — Ich habe mit dem jungen Apotheker eine Partie Billard verabredet. — Sonder¬ bares Instrument übrigens, dieses Billard! Wenn ich darauf fertig ausgebildet bin, zähle ich zu den größten Künstlern der Welt. Leb wohl. Ich grüße Dich in Treuen,Dein Edward. Trebeldorf, den 1. Oktober 19 . . Lieber Cunz, allen heißen Dank für Deinen Trostbrief und vor allem für die Büchersendung, in der ich zu großer Freude auch meinen geliebten Theodor Storm mit einem Bande vertreten finde. Himmel, Herrgott Sakra! — Da soll der Mensch nicht sentimental werden!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/186>, abgerufen am 22.07.2024.