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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Rriefe aus Trebeldorf

Trotzdem ist mir Deine Anfrage begreiflich.

Seit nahezu drei Wochen Hause ich in diesem Rattenloch, und noch habe
ich Dir mit keiner Silbe von meinem Aufstehen und Schlafengehen und von
dem Tageslauf dazwischen eine Kunde gegeben.

Das ist eine Perfidie, eine Nichtsnutzigkeit, eine Miserabiluät ist das, um
so mehr, da ich damit zugleich Deine beiden Karten ohne Antwort gelassen
habe, die inzwischen in meine Hände geflogen sind.

Du durftest mich also für verschollen halten.

Deine Erkundigung nach mir bei der Behörde hat mir nun aber einen
Ruck gegeben.

Du stehst, lieber Cunz, ich bin gewiß und leibhaftig hier. Dafür, daß ich
ein wortbrüchiger Mensch geworden bin, erflehe ich Deine Vergebung.

Was würdest Du vernommen haben, wenn ich mein Wort gehalten hätte?
Klagelieder, nichts als Klagelieder. -- Die wollte ihr Dir nicht in die Ohren
posaunen. Denn der Abstieg in das Melancholische ist Dein Geschmack ganz
und gar nicht.

Heute war der erste schöne Herbsttag seit all der Zeit, die ich hier bin.
Da trieb es mich des Nachmittags hinaus in den Stadtwald. Das ist ein
kleines Gehölz, etwa eine Stunde von Trebeldorf entfernt und in der Hälfte
der Zeit bequem nach allen Richtungen zu durchstreifen. Es ist das einzige
Holz in meilenweiter Runde. Fast zaghaft lugt es über dem fernen Horizont
empor.

Immerhin doch aber etwas.

Das leuchtende Sonnengold durchstrahlte warm und wohlig die reine Luft.
Über den schon in allen Farben schillernden Kronen der Bäume ruhte der klare
blaue Herbstesschein, und es war etwas wie wehmütige Abschiedsweihe über
dem Ganzen in der weltverlorenen Einsamkeit.

Wer weiß, wann solch ein Tag mir wiederkommt! Hier lernt man bescheiden
sein und das Seltene auf innigere Weise genießen. -- Sollte man am Ende
doch hier leben können auf längere Zeit? -- Mein Wald läßt es mich hoffen. --

Im übrigen ist das eine gottverfluchte Gegend. Daß sie mit strotzender
Romantik nicht würde gesegnet sein, darüber waren wir ja einig, als wir am
letzten Abend bei Dir unsere Zukunftspläne spannen und, was vorläufig mich
betraf, hinter dem großen Atlas und deur Konversationslexikon in unserer
Phantasie ein Bild von Trebeldorf und seiner Umgebung zu entwerfen suchten.
So schlimm hatte ich mir die Sache denn aber doch nicht vorgestellt.

Öde und Eintönigkeit nach allen Seiten. Meilenweit ringsum alles Ebene.
Nirgends auch nur die allergeringste Erhebung. Dörfer und einzelne Gehöfte
spärlich verstreut und schüchtern beinahe in grauer Weite die Dächer erhebend.
Zu den beiden Toren hinaus je eine Chaussee. Rechts eine Baumreihe, links
eine Baumreihe, links Torfmoore, rechts Torfmoore, soweit der Blick trägt.
Nur selten dazwischen ein größeres Ackerstück.


Rriefe aus Trebeldorf

Trotzdem ist mir Deine Anfrage begreiflich.

Seit nahezu drei Wochen Hause ich in diesem Rattenloch, und noch habe
ich Dir mit keiner Silbe von meinem Aufstehen und Schlafengehen und von
dem Tageslauf dazwischen eine Kunde gegeben.

Das ist eine Perfidie, eine Nichtsnutzigkeit, eine Miserabiluät ist das, um
so mehr, da ich damit zugleich Deine beiden Karten ohne Antwort gelassen
habe, die inzwischen in meine Hände geflogen sind.

Du durftest mich also für verschollen halten.

Deine Erkundigung nach mir bei der Behörde hat mir nun aber einen
Ruck gegeben.

Du stehst, lieber Cunz, ich bin gewiß und leibhaftig hier. Dafür, daß ich
ein wortbrüchiger Mensch geworden bin, erflehe ich Deine Vergebung.

Was würdest Du vernommen haben, wenn ich mein Wort gehalten hätte?
Klagelieder, nichts als Klagelieder. — Die wollte ihr Dir nicht in die Ohren
posaunen. Denn der Abstieg in das Melancholische ist Dein Geschmack ganz
und gar nicht.

Heute war der erste schöne Herbsttag seit all der Zeit, die ich hier bin.
Da trieb es mich des Nachmittags hinaus in den Stadtwald. Das ist ein
kleines Gehölz, etwa eine Stunde von Trebeldorf entfernt und in der Hälfte
der Zeit bequem nach allen Richtungen zu durchstreifen. Es ist das einzige
Holz in meilenweiter Runde. Fast zaghaft lugt es über dem fernen Horizont
empor.

Immerhin doch aber etwas.

Das leuchtende Sonnengold durchstrahlte warm und wohlig die reine Luft.
Über den schon in allen Farben schillernden Kronen der Bäume ruhte der klare
blaue Herbstesschein, und es war etwas wie wehmütige Abschiedsweihe über
dem Ganzen in der weltverlorenen Einsamkeit.

Wer weiß, wann solch ein Tag mir wiederkommt! Hier lernt man bescheiden
sein und das Seltene auf innigere Weise genießen. — Sollte man am Ende
doch hier leben können auf längere Zeit? — Mein Wald läßt es mich hoffen. —

Im übrigen ist das eine gottverfluchte Gegend. Daß sie mit strotzender
Romantik nicht würde gesegnet sein, darüber waren wir ja einig, als wir am
letzten Abend bei Dir unsere Zukunftspläne spannen und, was vorläufig mich
betraf, hinter dem großen Atlas und deur Konversationslexikon in unserer
Phantasie ein Bild von Trebeldorf und seiner Umgebung zu entwerfen suchten.
So schlimm hatte ich mir die Sache denn aber doch nicht vorgestellt.

Öde und Eintönigkeit nach allen Seiten. Meilenweit ringsum alles Ebene.
Nirgends auch nur die allergeringste Erhebung. Dörfer und einzelne Gehöfte
spärlich verstreut und schüchtern beinahe in grauer Weite die Dächer erhebend.
Zu den beiden Toren hinaus je eine Chaussee. Rechts eine Baumreihe, links
eine Baumreihe, links Torfmoore, rechts Torfmoore, soweit der Blick trägt.
Nur selten dazwischen ein größeres Ackerstück.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/185>, abgerufen am 20.09.2024.