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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Inzwischen sind auch meine Kisten angekommen. Ich habe mich behaglich
eingerichtet, und nun bin ich der Zuversicht: es wird, denn es muß werden.

Heute ist Gehaltstag. Da habe ich, der Herr Korrektor, zu dem trotz
meiner achtundzwanzig Jahre jung und alt mit stummer Ehrfurcht emporblickt,
zum erstenmal meinen fürstlichen Lohn, in bar vierhundertfünfundzwanzig Mark
ohne Abzug, für das ganze Vierteljahr vorweg eingestrichen.

An diesem Tage war auch der Herr Bürgermeister wieder einmal allem
Volke sichtbar. Sonst mauert er sich ein, kümmert sich um die Stadtregierung
soviel wie gar nicht, läßt den Stadtsekretär schalten und den ältesten Senator
walten.

Wenn er aber am Ouartalsersten sich kümmerlich über die holprigen
Dämme schleppt und bald diesem, bald jenem ein freundlich Wort gibt, dann
ziehen die Leute ihre Mützen tief herab, stoßen sich hinterher heimlich mit den
Ellenbogen in die Rippen und raunen sich zu: "Hei is'n goden Kirk, man
schad, dat hei hupe."

Er trinkt, das ist wahr. Er gibt ein Königreich für einen, der es mit ihm
tut; und doch bedrückt ihn sein Laster schwer.

Als ich ihm neulich meinen Besuch machte, war kein Loskommen von ihm.
Er ließ sofort eine Masse Bier anfahren, und ohne Umstände begann des Nach¬
mittags um vier Uhr eine regelrechte Zeche.

Der Alkohol löste ihm bald die Zunge. "Ich liebe ein wenig Sprach¬
wasser," meinte er. Und nun erzählte er mir wie einem alten Bekannten aus
seinen guten Tagen.

Da ist er ein schneidiger junger Referendar gewesen, noch ohne jede
Ahnung von der Gicht, die ihm allmählich mit Knoten über und über die
Glieder besät hat. Die ist ein Erbteil aus dem großen Kriege gegen Frank¬
reich, den er als Leutnant der Reserve mit zum ruhmreichen Abschluß hat
bringen helfen. Dazumal war er noch ein stolzer, ein Schöner, der nur die
Hand auszustrecken brauchte, um an jedem Finger ein Mädel hängen zu haben.

Gefreit hat er schließlich die blonde Annemarie von, großen Rittergut
dahinten irgendwo. -- Das ist gewesen kurz nach seinem Einzug in das Bürger¬
meisteramt zu Trebeldorf.

"Ein gutes Geschöpf war sie, die Annemarie," sagte er, "aber allzu sehr
für die Wirtschaft. -- Ich brauchte eine mir geistesverwandte Frau, und das
war sie nicht. -- Fragen Sie die Trebeldorfer alle. Die werden es bezeugen,
das ich ein Mann von Geist bin. -- Wer hat ihnen an Sedantagen und bei
sonstigen Anlässen je so zündende Reden gehalten wie ich? -- Immer nur
eine kurze geistige Toilette vorher von fünf bis zehn Minuten, und dann Erz-
bereitschaft.

Donnerwetternochmal, habe ich die Gesellschaft im Zügel gehabt! Wie
Sklaven sind sie umstrickt gewesen im Bann meiner Worte. Ströme von
Tränen haben sie vergossen. Selbst der langbeinige, vierschrötige Müller


Briefe aus Trebeldorf

Inzwischen sind auch meine Kisten angekommen. Ich habe mich behaglich
eingerichtet, und nun bin ich der Zuversicht: es wird, denn es muß werden.

Heute ist Gehaltstag. Da habe ich, der Herr Korrektor, zu dem trotz
meiner achtundzwanzig Jahre jung und alt mit stummer Ehrfurcht emporblickt,
zum erstenmal meinen fürstlichen Lohn, in bar vierhundertfünfundzwanzig Mark
ohne Abzug, für das ganze Vierteljahr vorweg eingestrichen.

An diesem Tage war auch der Herr Bürgermeister wieder einmal allem
Volke sichtbar. Sonst mauert er sich ein, kümmert sich um die Stadtregierung
soviel wie gar nicht, läßt den Stadtsekretär schalten und den ältesten Senator
walten.

Wenn er aber am Ouartalsersten sich kümmerlich über die holprigen
Dämme schleppt und bald diesem, bald jenem ein freundlich Wort gibt, dann
ziehen die Leute ihre Mützen tief herab, stoßen sich hinterher heimlich mit den
Ellenbogen in die Rippen und raunen sich zu: „Hei is'n goden Kirk, man
schad, dat hei hupe."

Er trinkt, das ist wahr. Er gibt ein Königreich für einen, der es mit ihm
tut; und doch bedrückt ihn sein Laster schwer.

Als ich ihm neulich meinen Besuch machte, war kein Loskommen von ihm.
Er ließ sofort eine Masse Bier anfahren, und ohne Umstände begann des Nach¬
mittags um vier Uhr eine regelrechte Zeche.

Der Alkohol löste ihm bald die Zunge. „Ich liebe ein wenig Sprach¬
wasser," meinte er. Und nun erzählte er mir wie einem alten Bekannten aus
seinen guten Tagen.

Da ist er ein schneidiger junger Referendar gewesen, noch ohne jede
Ahnung von der Gicht, die ihm allmählich mit Knoten über und über die
Glieder besät hat. Die ist ein Erbteil aus dem großen Kriege gegen Frank¬
reich, den er als Leutnant der Reserve mit zum ruhmreichen Abschluß hat
bringen helfen. Dazumal war er noch ein stolzer, ein Schöner, der nur die
Hand auszustrecken brauchte, um an jedem Finger ein Mädel hängen zu haben.

Gefreit hat er schließlich die blonde Annemarie von, großen Rittergut
dahinten irgendwo. — Das ist gewesen kurz nach seinem Einzug in das Bürger¬
meisteramt zu Trebeldorf.

„Ein gutes Geschöpf war sie, die Annemarie," sagte er, „aber allzu sehr
für die Wirtschaft. — Ich brauchte eine mir geistesverwandte Frau, und das
war sie nicht. — Fragen Sie die Trebeldorfer alle. Die werden es bezeugen,
das ich ein Mann von Geist bin. — Wer hat ihnen an Sedantagen und bei
sonstigen Anlässen je so zündende Reden gehalten wie ich? — Immer nur
eine kurze geistige Toilette vorher von fünf bis zehn Minuten, und dann Erz-
bereitschaft.

Donnerwetternochmal, habe ich die Gesellschaft im Zügel gehabt! Wie
Sklaven sind sie umstrickt gewesen im Bann meiner Worte. Ströme von
Tränen haben sie vergossen. Selbst der langbeinige, vierschrötige Müller


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[0187] Briefe aus Trebeldorf Inzwischen sind auch meine Kisten angekommen. Ich habe mich behaglich eingerichtet, und nun bin ich der Zuversicht: es wird, denn es muß werden. Heute ist Gehaltstag. Da habe ich, der Herr Korrektor, zu dem trotz meiner achtundzwanzig Jahre jung und alt mit stummer Ehrfurcht emporblickt, zum erstenmal meinen fürstlichen Lohn, in bar vierhundertfünfundzwanzig Mark ohne Abzug, für das ganze Vierteljahr vorweg eingestrichen. An diesem Tage war auch der Herr Bürgermeister wieder einmal allem Volke sichtbar. Sonst mauert er sich ein, kümmert sich um die Stadtregierung soviel wie gar nicht, läßt den Stadtsekretär schalten und den ältesten Senator walten. Wenn er aber am Ouartalsersten sich kümmerlich über die holprigen Dämme schleppt und bald diesem, bald jenem ein freundlich Wort gibt, dann ziehen die Leute ihre Mützen tief herab, stoßen sich hinterher heimlich mit den Ellenbogen in die Rippen und raunen sich zu: „Hei is'n goden Kirk, man schad, dat hei hupe." Er trinkt, das ist wahr. Er gibt ein Königreich für einen, der es mit ihm tut; und doch bedrückt ihn sein Laster schwer. Als ich ihm neulich meinen Besuch machte, war kein Loskommen von ihm. Er ließ sofort eine Masse Bier anfahren, und ohne Umstände begann des Nach¬ mittags um vier Uhr eine regelrechte Zeche. Der Alkohol löste ihm bald die Zunge. „Ich liebe ein wenig Sprach¬ wasser," meinte er. Und nun erzählte er mir wie einem alten Bekannten aus seinen guten Tagen. Da ist er ein schneidiger junger Referendar gewesen, noch ohne jede Ahnung von der Gicht, die ihm allmählich mit Knoten über und über die Glieder besät hat. Die ist ein Erbteil aus dem großen Kriege gegen Frank¬ reich, den er als Leutnant der Reserve mit zum ruhmreichen Abschluß hat bringen helfen. Dazumal war er noch ein stolzer, ein Schöner, der nur die Hand auszustrecken brauchte, um an jedem Finger ein Mädel hängen zu haben. Gefreit hat er schließlich die blonde Annemarie von, großen Rittergut dahinten irgendwo. — Das ist gewesen kurz nach seinem Einzug in das Bürger¬ meisteramt zu Trebeldorf. „Ein gutes Geschöpf war sie, die Annemarie," sagte er, „aber allzu sehr für die Wirtschaft. — Ich brauchte eine mir geistesverwandte Frau, und das war sie nicht. — Fragen Sie die Trebeldorfer alle. Die werden es bezeugen, das ich ein Mann von Geist bin. — Wer hat ihnen an Sedantagen und bei sonstigen Anlässen je so zündende Reden gehalten wie ich? — Immer nur eine kurze geistige Toilette vorher von fünf bis zehn Minuten, und dann Erz- bereitschaft. Donnerwetternochmal, habe ich die Gesellschaft im Zügel gehabt! Wie Sklaven sind sie umstrickt gewesen im Bann meiner Worte. Ströme von Tränen haben sie vergossen. Selbst der langbeinige, vierschrötige Müller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/187>, abgerufen am 24.08.2024.