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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Erschließung Lhinas

Tonnen Kohlen jährlich zu fördern; japanische Hotels und japanische Lager-
hänser begleiten seine Bahnlinien; tausende und abertausende von japanischen
Händlern sorgen für den Absatz japanischer Erzeugnisse und suchen die fremden
Kaufleute aus dem Geschäft zu drängen; in Mulden und Fuschnn haben die
Japaner weitläufige Stadtanlagen geschaffen; viele Millionen Den japanischen
Kapitals sind in der Mandschurei investiert. Wie lange mag es noch dauern,
bis die Japaner, die sich heute schon als die Herren des Landes fühlen, die
rechtmäßigen Beherrscher der Mandschurei sein werden? Japan erwartet mit
unverhohlener Spannung den Moment, der ihm gestattet, ohne allzu schwer¬
wiegende Verwicklungen befürchten zu müssen, die Südmandschurei seinem
Staatsgebiet einzuverleiben. Es hofft dabei auf die Hilfe seines Verbündeten,
England. Dieses hat sich zwar im vergangenen Jahr gegenüber einem der¬
artigen Wunsche Japans kühl bis ans Herz hinan gezeigt. Der Grund für
dieses Verhalten lag aber nicht in der grundsätzlichen Mißbilligung der
japanischen Politik, sondern einzig darin, daß es den Zeitpunkt für ungeeignet
hielt. Sofern nur seine eigenen Absichten gefördert werden, wird es zu
gegebener Zeit sich der Ambitionen seiner japanischen Freunde zu erinnern wissen
und deren Hoffnung nicht enttäuschen.

Englands Wünsche richten sich seit Jahren auf Tibet, auf dessen völlige
Loslösung von China es systematisch hingearbeitet hat. Das englische Ver¬
halten hat gewiß nicht dazu beigetragen, die chinesischen Sympathien sür das
Inselreich zu stärken. Aber welche Mittel stehen China denn zur Verfügung,
die Durchführung der englischen Vorsätze zu verhindern? So gut wie keine!
Um so weniger, da es England gebraucht und in vielfacher Beziehung von
ihm abhängig ist. Auch diesem Gegner gegenüber wird China sich daher
in das Unvermeidliche fügen müssen.

Wie die Dinge liegen, können wir in die Verhältnisse nicht eingreifen.
Wir brauchen es aber auch meines Erachtens nicht. Denn ich bezweifle, daß
diese Gebiete im Augenblick oder auch nur in absehbarer Zeit ein nennens¬
wertes politisches oder wirtschaftliches Interesse für uns haben werden. Ganz
anders müssen wir jedoch den chinesischen Kernlanden, den achtzehn Provinzen,
gegenüberstehen.

China hat, wie einst Japan, seit Jahren erkannt, daß seine wenn auch auf
einer alten, so doch stagnierten Kultur beruhende Stellung in der Welt unhaltbar
geworden war. Es sah nur zwei Möglichkeiten vor sich: entweder mehr noch
als bisher schon ein willenloses Objekt der Interessen westeuropäisch-amerikanischer
Staaten zu werden oder aber als willenbegabtes Subjekt in das politische
und wirtschaftliche Getriebe der Welt einzugreifen. Angespornt durch das Bei¬
spiel des benachbarten vor wenigen Jahrzehnten noch fast unbeachteten, dann
zur Weltmacht gewordenen Jnselreiches entschied es sich für das letztere und
damit für den Bruch mit der chinesischen Kultur. An die Stelle der über Bord
geworfenen Vergangenheit will es eine neue Zukunft setzen, deren Fundament


Deutschland und die Erschließung Lhinas

Tonnen Kohlen jährlich zu fördern; japanische Hotels und japanische Lager-
hänser begleiten seine Bahnlinien; tausende und abertausende von japanischen
Händlern sorgen für den Absatz japanischer Erzeugnisse und suchen die fremden
Kaufleute aus dem Geschäft zu drängen; in Mulden und Fuschnn haben die
Japaner weitläufige Stadtanlagen geschaffen; viele Millionen Den japanischen
Kapitals sind in der Mandschurei investiert. Wie lange mag es noch dauern,
bis die Japaner, die sich heute schon als die Herren des Landes fühlen, die
rechtmäßigen Beherrscher der Mandschurei sein werden? Japan erwartet mit
unverhohlener Spannung den Moment, der ihm gestattet, ohne allzu schwer¬
wiegende Verwicklungen befürchten zu müssen, die Südmandschurei seinem
Staatsgebiet einzuverleiben. Es hofft dabei auf die Hilfe seines Verbündeten,
England. Dieses hat sich zwar im vergangenen Jahr gegenüber einem der¬
artigen Wunsche Japans kühl bis ans Herz hinan gezeigt. Der Grund für
dieses Verhalten lag aber nicht in der grundsätzlichen Mißbilligung der
japanischen Politik, sondern einzig darin, daß es den Zeitpunkt für ungeeignet
hielt. Sofern nur seine eigenen Absichten gefördert werden, wird es zu
gegebener Zeit sich der Ambitionen seiner japanischen Freunde zu erinnern wissen
und deren Hoffnung nicht enttäuschen.

Englands Wünsche richten sich seit Jahren auf Tibet, auf dessen völlige
Loslösung von China es systematisch hingearbeitet hat. Das englische Ver¬
halten hat gewiß nicht dazu beigetragen, die chinesischen Sympathien sür das
Inselreich zu stärken. Aber welche Mittel stehen China denn zur Verfügung,
die Durchführung der englischen Vorsätze zu verhindern? So gut wie keine!
Um so weniger, da es England gebraucht und in vielfacher Beziehung von
ihm abhängig ist. Auch diesem Gegner gegenüber wird China sich daher
in das Unvermeidliche fügen müssen.

Wie die Dinge liegen, können wir in die Verhältnisse nicht eingreifen.
Wir brauchen es aber auch meines Erachtens nicht. Denn ich bezweifle, daß
diese Gebiete im Augenblick oder auch nur in absehbarer Zeit ein nennens¬
wertes politisches oder wirtschaftliches Interesse für uns haben werden. Ganz
anders müssen wir jedoch den chinesischen Kernlanden, den achtzehn Provinzen,
gegenüberstehen.

China hat, wie einst Japan, seit Jahren erkannt, daß seine wenn auch auf
einer alten, so doch stagnierten Kultur beruhende Stellung in der Welt unhaltbar
geworden war. Es sah nur zwei Möglichkeiten vor sich: entweder mehr noch
als bisher schon ein willenloses Objekt der Interessen westeuropäisch-amerikanischer
Staaten zu werden oder aber als willenbegabtes Subjekt in das politische
und wirtschaftliche Getriebe der Welt einzugreifen. Angespornt durch das Bei¬
spiel des benachbarten vor wenigen Jahrzehnten noch fast unbeachteten, dann
zur Weltmacht gewordenen Jnselreiches entschied es sich für das letztere und
damit für den Bruch mit der chinesischen Kultur. An die Stelle der über Bord
geworfenen Vergangenheit will es eine neue Zukunft setzen, deren Fundament


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[0171] Deutschland und die Erschließung Lhinas Tonnen Kohlen jährlich zu fördern; japanische Hotels und japanische Lager- hänser begleiten seine Bahnlinien; tausende und abertausende von japanischen Händlern sorgen für den Absatz japanischer Erzeugnisse und suchen die fremden Kaufleute aus dem Geschäft zu drängen; in Mulden und Fuschnn haben die Japaner weitläufige Stadtanlagen geschaffen; viele Millionen Den japanischen Kapitals sind in der Mandschurei investiert. Wie lange mag es noch dauern, bis die Japaner, die sich heute schon als die Herren des Landes fühlen, die rechtmäßigen Beherrscher der Mandschurei sein werden? Japan erwartet mit unverhohlener Spannung den Moment, der ihm gestattet, ohne allzu schwer¬ wiegende Verwicklungen befürchten zu müssen, die Südmandschurei seinem Staatsgebiet einzuverleiben. Es hofft dabei auf die Hilfe seines Verbündeten, England. Dieses hat sich zwar im vergangenen Jahr gegenüber einem der¬ artigen Wunsche Japans kühl bis ans Herz hinan gezeigt. Der Grund für dieses Verhalten lag aber nicht in der grundsätzlichen Mißbilligung der japanischen Politik, sondern einzig darin, daß es den Zeitpunkt für ungeeignet hielt. Sofern nur seine eigenen Absichten gefördert werden, wird es zu gegebener Zeit sich der Ambitionen seiner japanischen Freunde zu erinnern wissen und deren Hoffnung nicht enttäuschen. Englands Wünsche richten sich seit Jahren auf Tibet, auf dessen völlige Loslösung von China es systematisch hingearbeitet hat. Das englische Ver¬ halten hat gewiß nicht dazu beigetragen, die chinesischen Sympathien sür das Inselreich zu stärken. Aber welche Mittel stehen China denn zur Verfügung, die Durchführung der englischen Vorsätze zu verhindern? So gut wie keine! Um so weniger, da es England gebraucht und in vielfacher Beziehung von ihm abhängig ist. Auch diesem Gegner gegenüber wird China sich daher in das Unvermeidliche fügen müssen. Wie die Dinge liegen, können wir in die Verhältnisse nicht eingreifen. Wir brauchen es aber auch meines Erachtens nicht. Denn ich bezweifle, daß diese Gebiete im Augenblick oder auch nur in absehbarer Zeit ein nennens¬ wertes politisches oder wirtschaftliches Interesse für uns haben werden. Ganz anders müssen wir jedoch den chinesischen Kernlanden, den achtzehn Provinzen, gegenüberstehen. China hat, wie einst Japan, seit Jahren erkannt, daß seine wenn auch auf einer alten, so doch stagnierten Kultur beruhende Stellung in der Welt unhaltbar geworden war. Es sah nur zwei Möglichkeiten vor sich: entweder mehr noch als bisher schon ein willenloses Objekt der Interessen westeuropäisch-amerikanischer Staaten zu werden oder aber als willenbegabtes Subjekt in das politische und wirtschaftliche Getriebe der Welt einzugreifen. Angespornt durch das Bei¬ spiel des benachbarten vor wenigen Jahrzehnten noch fast unbeachteten, dann zur Weltmacht gewordenen Jnselreiches entschied es sich für das letztere und damit für den Bruch mit der chinesischen Kultur. An die Stelle der über Bord geworfenen Vergangenheit will es eine neue Zukunft setzen, deren Fundament

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/171>, abgerufen am 21.06.2024.