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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die hamburgische Universitätsvorlage

Zeit aufwärts: 1906 brachte im Zusammenhang mit dem Anwachsen der Fort¬
bildungskurse für bestimmte Berufszweige die Begründung ständiger Professuren
und die Einrichtung von Seminaren. 1907 wurde von einer Anzahl patrio¬
tischer und weitblickender Hamburger die sogenannte Wissenschaftliche Stiftung
ins Leben gerufen. 1908 wurde das Kolonialinstitut eingerichtet, in dem sich
nach Vereinbarung mit dem Neichskolonialamt "alle wissenschaftlichen und wirt¬
schaftlichen kolonialen Bestrebungen konzentrieren sollen", und dem Allgemeinen
Vorlesungswesen angegliedert.

Das alles erfuhr in der Folge unter der genialen Leitung des Senators
Dr. von Meile seinen weiteren Ausbau und erhielt auch in dem von Edmund
Siemers dem hamburgischen Staate geschenkten Vorlesungsgebäude seine würdige,
zentrale Heimstätte. Mit solchen hochsinnigen Stiftungen und Legaten einzelner
Mäzene vereinigten sich die reichen Bewilligungen, die Senat und Bürgerschaft
Jahr für Jahr der Wissenschaft zuteil werden ließen. Aus großzügiger Anlage
war alles organisch fortgewachsen.

Der natürliche Abschluß dieser ganzen Entwicklung ist nichts anderes als
die Ausgestaltung zur Universität. Aber gerade diese Wiederaufnahme alter
Bestrebungen auf ganz neuer Grundlage stieß, wie jene zu ihrer Zeit, auf
gewisse zähe Widerstände innerhalb des hamburgischen Gemeinwesens, und nichts
ist interessanter, als das letzte Stadium dieses harten Kampfes zu verfolgen
und die jetzt noch bestehende verschiedene Auffassung des großen Endzieles aus
einem Vergleich des bürgerschaftlichen Ausschußberichtes mit dem Senatsantrag
zu rekonstruieren. Auch jener Ausschuß hatte bereits 1910 die Notwendigkeit
der Gewinnung studentischer Hörer für eine ersprießliche weitere Tätigkeit der
hamburgischen Professoren anerkannt. Aber er hat es dabei nur auf Studenten
älterer Semester abgesehen und im wesentlichen lediglich die Ausgestaltung des
Kolonialinstituts, d. h. die fast ausschließliche Pflege der "kolonialen Wissen¬
schaften" im Auge. Der Senat dagegen weist Punkt für Punkt diese Auffassung
als eine ideell wie materiell unhaltbare zurück. Er spricht mit überzeugender
Kraft von dem Widersinn einer prinzipiellen Scheidung der Studentenschaft in
ältere und jüngere Semester wie einer grundsätzlichen Zerreißung des wissen¬
schaftlichen Gesamtgebietes in koloniale und allgemeine Disziplinen. Er weist
auf den zugrunde liegenden Irrtum hin, daß Hamburg ohne Hinterland sei
und deshalb bei der Unmöglichkeit, im hamburgischen Staat eine größere Anzahl
akademisch Gebildeter anzustellen, nur junge Semester ohne Examensabsichten
die neue Universität besuchen würden; er bekämpft die geheime Sorge, daß
umgekehrt der geborene Hamburger damit nur um so stärker an seine heimat¬
liche Scholle gefesselt und so geistig vom übrigen Deutschland nur desto schärfer
abgetrennt werde. Er bringt unwiderleglich -- auf Grund seiner Verhandlungen
mit der preußischen Regierung -- zum Bewußtsein, daß die von den Gegnern
angestrebte Kolonialakademie oder Überseehochschule eine bloße Fachschule wäre,
daß ihren Besuchern in den übrigen Bundesstaaten keine Semester angerechnet


Die hamburgische Universitätsvorlage

Zeit aufwärts: 1906 brachte im Zusammenhang mit dem Anwachsen der Fort¬
bildungskurse für bestimmte Berufszweige die Begründung ständiger Professuren
und die Einrichtung von Seminaren. 1907 wurde von einer Anzahl patrio¬
tischer und weitblickender Hamburger die sogenannte Wissenschaftliche Stiftung
ins Leben gerufen. 1908 wurde das Kolonialinstitut eingerichtet, in dem sich
nach Vereinbarung mit dem Neichskolonialamt „alle wissenschaftlichen und wirt¬
schaftlichen kolonialen Bestrebungen konzentrieren sollen", und dem Allgemeinen
Vorlesungswesen angegliedert.

Das alles erfuhr in der Folge unter der genialen Leitung des Senators
Dr. von Meile seinen weiteren Ausbau und erhielt auch in dem von Edmund
Siemers dem hamburgischen Staate geschenkten Vorlesungsgebäude seine würdige,
zentrale Heimstätte. Mit solchen hochsinnigen Stiftungen und Legaten einzelner
Mäzene vereinigten sich die reichen Bewilligungen, die Senat und Bürgerschaft
Jahr für Jahr der Wissenschaft zuteil werden ließen. Aus großzügiger Anlage
war alles organisch fortgewachsen.

Der natürliche Abschluß dieser ganzen Entwicklung ist nichts anderes als
die Ausgestaltung zur Universität. Aber gerade diese Wiederaufnahme alter
Bestrebungen auf ganz neuer Grundlage stieß, wie jene zu ihrer Zeit, auf
gewisse zähe Widerstände innerhalb des hamburgischen Gemeinwesens, und nichts
ist interessanter, als das letzte Stadium dieses harten Kampfes zu verfolgen
und die jetzt noch bestehende verschiedene Auffassung des großen Endzieles aus
einem Vergleich des bürgerschaftlichen Ausschußberichtes mit dem Senatsantrag
zu rekonstruieren. Auch jener Ausschuß hatte bereits 1910 die Notwendigkeit
der Gewinnung studentischer Hörer für eine ersprießliche weitere Tätigkeit der
hamburgischen Professoren anerkannt. Aber er hat es dabei nur auf Studenten
älterer Semester abgesehen und im wesentlichen lediglich die Ausgestaltung des
Kolonialinstituts, d. h. die fast ausschließliche Pflege der „kolonialen Wissen¬
schaften" im Auge. Der Senat dagegen weist Punkt für Punkt diese Auffassung
als eine ideell wie materiell unhaltbare zurück. Er spricht mit überzeugender
Kraft von dem Widersinn einer prinzipiellen Scheidung der Studentenschaft in
ältere und jüngere Semester wie einer grundsätzlichen Zerreißung des wissen¬
schaftlichen Gesamtgebietes in koloniale und allgemeine Disziplinen. Er weist
auf den zugrunde liegenden Irrtum hin, daß Hamburg ohne Hinterland sei
und deshalb bei der Unmöglichkeit, im hamburgischen Staat eine größere Anzahl
akademisch Gebildeter anzustellen, nur junge Semester ohne Examensabsichten
die neue Universität besuchen würden; er bekämpft die geheime Sorge, daß
umgekehrt der geborene Hamburger damit nur um so stärker an seine heimat¬
liche Scholle gefesselt und so geistig vom übrigen Deutschland nur desto schärfer
abgetrennt werde. Er bringt unwiderleglich — auf Grund seiner Verhandlungen
mit der preußischen Regierung — zum Bewußtsein, daß die von den Gegnern
angestrebte Kolonialakademie oder Überseehochschule eine bloße Fachschule wäre,
daß ihren Besuchern in den übrigen Bundesstaaten keine Semester angerechnet


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[0166] Die hamburgische Universitätsvorlage Zeit aufwärts: 1906 brachte im Zusammenhang mit dem Anwachsen der Fort¬ bildungskurse für bestimmte Berufszweige die Begründung ständiger Professuren und die Einrichtung von Seminaren. 1907 wurde von einer Anzahl patrio¬ tischer und weitblickender Hamburger die sogenannte Wissenschaftliche Stiftung ins Leben gerufen. 1908 wurde das Kolonialinstitut eingerichtet, in dem sich nach Vereinbarung mit dem Neichskolonialamt „alle wissenschaftlichen und wirt¬ schaftlichen kolonialen Bestrebungen konzentrieren sollen", und dem Allgemeinen Vorlesungswesen angegliedert. Das alles erfuhr in der Folge unter der genialen Leitung des Senators Dr. von Meile seinen weiteren Ausbau und erhielt auch in dem von Edmund Siemers dem hamburgischen Staate geschenkten Vorlesungsgebäude seine würdige, zentrale Heimstätte. Mit solchen hochsinnigen Stiftungen und Legaten einzelner Mäzene vereinigten sich die reichen Bewilligungen, die Senat und Bürgerschaft Jahr für Jahr der Wissenschaft zuteil werden ließen. Aus großzügiger Anlage war alles organisch fortgewachsen. Der natürliche Abschluß dieser ganzen Entwicklung ist nichts anderes als die Ausgestaltung zur Universität. Aber gerade diese Wiederaufnahme alter Bestrebungen auf ganz neuer Grundlage stieß, wie jene zu ihrer Zeit, auf gewisse zähe Widerstände innerhalb des hamburgischen Gemeinwesens, und nichts ist interessanter, als das letzte Stadium dieses harten Kampfes zu verfolgen und die jetzt noch bestehende verschiedene Auffassung des großen Endzieles aus einem Vergleich des bürgerschaftlichen Ausschußberichtes mit dem Senatsantrag zu rekonstruieren. Auch jener Ausschuß hatte bereits 1910 die Notwendigkeit der Gewinnung studentischer Hörer für eine ersprießliche weitere Tätigkeit der hamburgischen Professoren anerkannt. Aber er hat es dabei nur auf Studenten älterer Semester abgesehen und im wesentlichen lediglich die Ausgestaltung des Kolonialinstituts, d. h. die fast ausschließliche Pflege der „kolonialen Wissen¬ schaften" im Auge. Der Senat dagegen weist Punkt für Punkt diese Auffassung als eine ideell wie materiell unhaltbare zurück. Er spricht mit überzeugender Kraft von dem Widersinn einer prinzipiellen Scheidung der Studentenschaft in ältere und jüngere Semester wie einer grundsätzlichen Zerreißung des wissen¬ schaftlichen Gesamtgebietes in koloniale und allgemeine Disziplinen. Er weist auf den zugrunde liegenden Irrtum hin, daß Hamburg ohne Hinterland sei und deshalb bei der Unmöglichkeit, im hamburgischen Staat eine größere Anzahl akademisch Gebildeter anzustellen, nur junge Semester ohne Examensabsichten die neue Universität besuchen würden; er bekämpft die geheime Sorge, daß umgekehrt der geborene Hamburger damit nur um so stärker an seine heimat¬ liche Scholle gefesselt und so geistig vom übrigen Deutschland nur desto schärfer abgetrennt werde. Er bringt unwiderleglich — auf Grund seiner Verhandlungen mit der preußischen Regierung — zum Bewußtsein, daß die von den Gegnern angestrebte Kolonialakademie oder Überseehochschule eine bloße Fachschule wäre, daß ihren Besuchern in den übrigen Bundesstaaten keine Semester angerechnet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/166>, abgerufen am 29.06.2024.