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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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würden und auch die in Hamburg erworbene Doktorwürde bei ihnen keine
Anerkennung fände, und daß infolge von alledem eine Anstalt, die nicht vollen
Universitätscharakter besitze, überhaupt keine Studenten herbeiziehen würde.

Sein Projekt ist demgemäß die Schaffung einer Universität ohne theo¬
logische und medizinische, dafür mit einer kolonialwissenschaftlichcn Fakultät als
eigentlichem Kern, um den sich die beiden anderen, die philosophisch-natur¬
wissenschaftliche und die juristische, zu lagern hätten. Zu den Aufgaben dieser
Universität soll auch die Fortführung der Lehrtätigkeit des bisherigen Allgemeinen
Vorlesungswesens, seiner Fortbildungskurse für Kaufleute, Juristen, Lehrer und
Lehrerinnen, Ärzte, Theologen und seiner jedermann zugänglichen allgemein
bildenden Vorlesungskurse gehören. Und nicht etwa nur starke Fundamente sind
hier für einen beabsichtigten großartigen Neubau bereits gelegt; vielmehr fehlen
einem in seinen einzelnen Stockwerken und Gemächern schon weitgediehenen und
zum Teil schon einzigartig ausgestatteten Hause nur noch die Anbauten und
die Bekrömmg.

Was aber jene inneren Gegensätze in bezug auf die Ausführung des Ab¬
schlusses betrifft, so stehen wir vor einem Kampf mit unendlich weiterem als
dem lokalen Hintergrund. Es sind geradezu zwei Geistesströmungen unseres
Zeitalters, die hier ihre Kräfte messen: der kaufmännisch-praktische Sinn der
Neuzeit, der, wenn auch in seiner edelsten und bedeutendsten Verkörperung und
bei aller wahrhaft idealen Opferwilligkeit auch von seiner Seite, doch allzu leicht
geneigt ist, die Wissenschaft nur soweit in Anspruch zu nehmen, als sie für das
reale Leben der Gegenwart einen mit Händen greifbaren Gewinn abzuwerfen
scheint, der aber in durchaus erklärlicher, etwas laienhafter Verkennung der
Dinge gerade dabei Gefahr läuft, zu unpraktischen Resultaten zu gelangen, und
auf der anderen Seite eine idealistische Anschauung im eigentlichen Sinne des
Wortes. Daß diese, so tief sie im Alten, in den innersten historischen Zusammen¬
hängen unseres ganzen Geistes- und Bildungslebens verwurzelt ist, dennoch des
offenen Blickes für die modernsten Forderungen nicht ermangelt, daß sie evolutio-
nistischer Art ist, das zeigt die Betonung nicht nur jener Lehrtätigkeiten all-
genreiner Natur, in denen Hamburg richtungweisend allen deutschen Städten
voranschritt, sondern ganz besonders die Gründung und die nunmehr projektierte
Eingliederung des Kolonialinstituts in die Universität als deren Eckstein. In
der Tat wird damit der neuen Anstalt ein ganz besonderer Charakter aufgeprägt.
Aber zur vollen Entfaltung vermag er wiederum nur zu kommen in der Ver¬
bindung mit der alten Eigenart unseres gesamten Universitätswesens. Mit ihm
im Bunde kann die neue Gründung Unermeßliches leisten: von der alten Quelle
unserer innersten Geisteskraft, um die uns das Ausland je und je beneidet hat.
fortdauernd getränkt, nimmt sie zugleich neue, vor einem Menschenalter noch
kaum geahnte Ziele auf, die wiederum ihre belebende Rückwirkung auf die alten
Gebiete nicht verfehlen werden, wie Seewind und Wellenschlag das Blut des
Btnnenländers um so kräftiger durch alle Adern treiben.


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würden und auch die in Hamburg erworbene Doktorwürde bei ihnen keine
Anerkennung fände, und daß infolge von alledem eine Anstalt, die nicht vollen
Universitätscharakter besitze, überhaupt keine Studenten herbeiziehen würde.

Sein Projekt ist demgemäß die Schaffung einer Universität ohne theo¬
logische und medizinische, dafür mit einer kolonialwissenschaftlichcn Fakultät als
eigentlichem Kern, um den sich die beiden anderen, die philosophisch-natur¬
wissenschaftliche und die juristische, zu lagern hätten. Zu den Aufgaben dieser
Universität soll auch die Fortführung der Lehrtätigkeit des bisherigen Allgemeinen
Vorlesungswesens, seiner Fortbildungskurse für Kaufleute, Juristen, Lehrer und
Lehrerinnen, Ärzte, Theologen und seiner jedermann zugänglichen allgemein
bildenden Vorlesungskurse gehören. Und nicht etwa nur starke Fundamente sind
hier für einen beabsichtigten großartigen Neubau bereits gelegt; vielmehr fehlen
einem in seinen einzelnen Stockwerken und Gemächern schon weitgediehenen und
zum Teil schon einzigartig ausgestatteten Hause nur noch die Anbauten und
die Bekrömmg.

Was aber jene inneren Gegensätze in bezug auf die Ausführung des Ab¬
schlusses betrifft, so stehen wir vor einem Kampf mit unendlich weiterem als
dem lokalen Hintergrund. Es sind geradezu zwei Geistesströmungen unseres
Zeitalters, die hier ihre Kräfte messen: der kaufmännisch-praktische Sinn der
Neuzeit, der, wenn auch in seiner edelsten und bedeutendsten Verkörperung und
bei aller wahrhaft idealen Opferwilligkeit auch von seiner Seite, doch allzu leicht
geneigt ist, die Wissenschaft nur soweit in Anspruch zu nehmen, als sie für das
reale Leben der Gegenwart einen mit Händen greifbaren Gewinn abzuwerfen
scheint, der aber in durchaus erklärlicher, etwas laienhafter Verkennung der
Dinge gerade dabei Gefahr läuft, zu unpraktischen Resultaten zu gelangen, und
auf der anderen Seite eine idealistische Anschauung im eigentlichen Sinne des
Wortes. Daß diese, so tief sie im Alten, in den innersten historischen Zusammen¬
hängen unseres ganzen Geistes- und Bildungslebens verwurzelt ist, dennoch des
offenen Blickes für die modernsten Forderungen nicht ermangelt, daß sie evolutio-
nistischer Art ist, das zeigt die Betonung nicht nur jener Lehrtätigkeiten all-
genreiner Natur, in denen Hamburg richtungweisend allen deutschen Städten
voranschritt, sondern ganz besonders die Gründung und die nunmehr projektierte
Eingliederung des Kolonialinstituts in die Universität als deren Eckstein. In
der Tat wird damit der neuen Anstalt ein ganz besonderer Charakter aufgeprägt.
Aber zur vollen Entfaltung vermag er wiederum nur zu kommen in der Ver¬
bindung mit der alten Eigenart unseres gesamten Universitätswesens. Mit ihm
im Bunde kann die neue Gründung Unermeßliches leisten: von der alten Quelle
unserer innersten Geisteskraft, um die uns das Ausland je und je beneidet hat.
fortdauernd getränkt, nimmt sie zugleich neue, vor einem Menschenalter noch
kaum geahnte Ziele auf, die wiederum ihre belebende Rückwirkung auf die alten
Gebiete nicht verfehlen werden, wie Seewind und Wellenschlag das Blut des
Btnnenländers um so kräftiger durch alle Adern treiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/167>, abgerufen am 27.06.2024.