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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Grundsätze moderner Ringinszenierung

zweite Rheingoldszene: der burggekrönte Felsenzug im Hintergrund, ruhig und
unnahbar. Rechts stürzt der Wiesenhang steil ab, und inmitten seines blumigen
Grundes (nicht im Grunde, wie Wagner vorschreibt, sondern auf dem Hang)
liegt schlafend der Herrscher der Welt des Lichtes. Ein wundervolles Bild.
Die ruhende, vom Konflikt noch ungeminderte Größe des schlafenden Gottes in
dieser mächtigen Natur. Aus dem nebelverhüllten Tal links, das den größeren
Teil des Bühnengrundes einnehmen kann, steigen dann die Riesen, tauchen aus
dem Gewölk hervor, das zur Erde gehört. Vom Hange hinunter steigen Donner
und Froh, diese homerischen Göttermenschen.

Das sind Bilder und Anordnungen, die sehr einfach erscheinen, die aber
doch mehr Mittel voraussetzen, als man glaubt. Mittel zumal, die schon im
Bau der Bühne liegen. Gerade die großartigsten Ringszenen (wie die Erda-
Wotavszene oder die letzte des Rheingoldes) setzen außerordentliche Höhen¬
wirkungen voraus. Die kann man wohl durch ein seitliches Verengen der
Bühnenfront mit Schiebetüren oder Vorhängen (ich schlage sogar ein Einengen
bis zum schmalen Hochformat in mancher Szene vor) unterstützen, wie man
etwa in der Photographie eines untersetzten Menschen durch dasselbe schmale
Hochformat den Eindruck der schlanken Größe erwecken kann. Aber diese Wir¬
kungen sind begrenzt. Und nur Bühnen, die an und für sich hoch sind und
ihre volle Bühnengröße auszunützen vermögen (d. h. den Deckoorhang oben
weglassen können, ohne daß man von den vorderen Parkettsitzen in den Schnür¬
boden sieht), nur so glücklich konstruierte Bühnen werden diese gewaltige Natur
glaubhaft entstehen lassen können. Und eben diese Möglichkeiten besitzt die
Bavreuther Bühne mehr als alle anderen.

Das skrupellose, vor der Stilisierung wohl behütete Streben nach Verein¬
fachung der Bühnenbilder führt zu einem anderen Vorteil: zu der großen Ver¬
einfachung des Requisitenapparates und seiner Verwendung. Das bedeutet mehr
als man denkt: auf diese Weise wickelt sich die ganze maschinelle Arbeit kürzer,
einfacher und billiger ab. Man erspart manche Verwandlung und kommt, wenn
man z. B. den letzten Walkürenakt, Wagners schwächste Bildkomposition, radikal
behandelt, um so heikle Dinge, wie um den Walkürenritt (bei dem Bayreuth
noch immer Holzpferdchen galoppieren läßt) herum. So kann das ganze
maschinelle Vermögen auf Szenen konzentriert werden, deren technische Probleme
noch ungelöst sind. Auf solche, wie die letzte der Götterdämmerung, an deren
Großartigkeit nicht gerüttelt werden darf.

Im Spiel selbst ist die Gefahr der Stilisierung ungleich schwerer zu ver¬
meiden, als bei der Reform der Inszenierung, und doch gibt es auch im Ring
in dieser Richtung große Gebiete, die der Befruchtung durch moderne Be¬
strebungen harren. Der Regisseur von heute will nicht mehr sein Werk mit
dem Abwickeln der Proben, dem Vorbereiten der Inszenierung vollendet sein
lassen. Er strebt nach einer Emanzipation von seiner scheinbaren Belanglosigkeit
während des Spieles, ähnlich wie sich im neunzehnten Jahrhundert der Orchester-


Grundsätze moderner Ringinszenierung

zweite Rheingoldszene: der burggekrönte Felsenzug im Hintergrund, ruhig und
unnahbar. Rechts stürzt der Wiesenhang steil ab, und inmitten seines blumigen
Grundes (nicht im Grunde, wie Wagner vorschreibt, sondern auf dem Hang)
liegt schlafend der Herrscher der Welt des Lichtes. Ein wundervolles Bild.
Die ruhende, vom Konflikt noch ungeminderte Größe des schlafenden Gottes in
dieser mächtigen Natur. Aus dem nebelverhüllten Tal links, das den größeren
Teil des Bühnengrundes einnehmen kann, steigen dann die Riesen, tauchen aus
dem Gewölk hervor, das zur Erde gehört. Vom Hange hinunter steigen Donner
und Froh, diese homerischen Göttermenschen.

Das sind Bilder und Anordnungen, die sehr einfach erscheinen, die aber
doch mehr Mittel voraussetzen, als man glaubt. Mittel zumal, die schon im
Bau der Bühne liegen. Gerade die großartigsten Ringszenen (wie die Erda-
Wotavszene oder die letzte des Rheingoldes) setzen außerordentliche Höhen¬
wirkungen voraus. Die kann man wohl durch ein seitliches Verengen der
Bühnenfront mit Schiebetüren oder Vorhängen (ich schlage sogar ein Einengen
bis zum schmalen Hochformat in mancher Szene vor) unterstützen, wie man
etwa in der Photographie eines untersetzten Menschen durch dasselbe schmale
Hochformat den Eindruck der schlanken Größe erwecken kann. Aber diese Wir¬
kungen sind begrenzt. Und nur Bühnen, die an und für sich hoch sind und
ihre volle Bühnengröße auszunützen vermögen (d. h. den Deckoorhang oben
weglassen können, ohne daß man von den vorderen Parkettsitzen in den Schnür¬
boden sieht), nur so glücklich konstruierte Bühnen werden diese gewaltige Natur
glaubhaft entstehen lassen können. Und eben diese Möglichkeiten besitzt die
Bavreuther Bühne mehr als alle anderen.

Das skrupellose, vor der Stilisierung wohl behütete Streben nach Verein¬
fachung der Bühnenbilder führt zu einem anderen Vorteil: zu der großen Ver¬
einfachung des Requisitenapparates und seiner Verwendung. Das bedeutet mehr
als man denkt: auf diese Weise wickelt sich die ganze maschinelle Arbeit kürzer,
einfacher und billiger ab. Man erspart manche Verwandlung und kommt, wenn
man z. B. den letzten Walkürenakt, Wagners schwächste Bildkomposition, radikal
behandelt, um so heikle Dinge, wie um den Walkürenritt (bei dem Bayreuth
noch immer Holzpferdchen galoppieren läßt) herum. So kann das ganze
maschinelle Vermögen auf Szenen konzentriert werden, deren technische Probleme
noch ungelöst sind. Auf solche, wie die letzte der Götterdämmerung, an deren
Großartigkeit nicht gerüttelt werden darf.

Im Spiel selbst ist die Gefahr der Stilisierung ungleich schwerer zu ver¬
meiden, als bei der Reform der Inszenierung, und doch gibt es auch im Ring
in dieser Richtung große Gebiete, die der Befruchtung durch moderne Be¬
strebungen harren. Der Regisseur von heute will nicht mehr sein Werk mit
dem Abwickeln der Proben, dem Vorbereiten der Inszenierung vollendet sein
lassen. Er strebt nach einer Emanzipation von seiner scheinbaren Belanglosigkeit
während des Spieles, ähnlich wie sich im neunzehnten Jahrhundert der Orchester-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/154>, abgerufen am 04.07.2024.