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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Grundsätze moderner Ringinszenierimg

intime Zimmer des Gegenwartmenschen führt, können wir hier bis zu den letzten
Konsequenzen durchführen. Die heißen: jedes für die Handlung nicht absolut
unentbehrliche Ding bleibt fort. Was aber dableibt, tritt, soweit es klein und
unbedeutend ist, so in den Hintergrund, wird so zart angedeutet, daß es nicht
ablenkt. Soweit es aber groß ist und das Bühnenbild beherrscht, ist es möglichst
einfach in Umriß und Fläche. Große, ruhige Massen mit möglichst ununter¬
brochenem Kolorit. Vor dieser Szenerie stürzt eine Götterwelt majestätischer
zusammen, als inmitten eines unwahren Kleinkrams.

Ich höre einen neuen Einwand. Herr Dr. Alexander Dittmann, der sich
neulich über reaktionäre Bestrebungen in der Bayreuther Ringinszenierung
beklagte, sagt in seiner Revue der letzten Festspiele: "Das Arbeiten mit moderner
Regie im Ring ist freilich eine Sache, die mit äußeister Vorsicht angefaßt
werden muß. Der Ring ist so naturalistisch gedacht, daß zumal jeder Versuch
einer Stilisierung, wie sie den modernen Regiebearbeitungen eines Werkes immer
naheliegt, als aussichtslos gelten muß. Ich sage das, weil angesichts der
außerordentlichen Schwierigkeiten, die eine Inszenierung des Ringes bietet, ver¬
schiedentlich schon das Projekt auftaucht, den Ring in einer stilisierten Szene
zu fassen, und damit szenische Vereinfachungen zu erreichen. Damit ist
es nichts."

So habe ich es nicht gemeint. Ohne Zweifel, naturalistisch will der Ring
inszeniert sein. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß man sich sklavisch an die
kleinste Weisung Wagners halten muß, wie das heute noch Bayreuth tut. Es
ist nicht zu leugnen, daß Wagner in der Komposition seiner Bühnenbilder
(manche, wie das Schlußbild des "Rheingold", sind von wunderbarer Schönheit)
oft unglücklich war, die Massen schlecht verteilte, einen relativ kleinen Raum der
Bühne (nicht nur dekorativ sondern auch dramatisch), wie den Felsengipfel im
dritten Walkürenakt, überlud, einen anderen leer und tot ließ. Dazu kommt
eine nur selten unterdrückte Vorliebe für eine Legion von Einzelheiten, Grotten,
Felszacken, Baumstümpfen usw., die heute ruhig auszumerzen sind, ohne daß
man bei der Stilisierung anlangt. Das mag sehr selbstverständlich klingen.
Ist es aber gar nicht. Denn "man" macht es eben nicht so. Am wenigsten
Bayreuth. Dort ist der Trust der Hyperkonservativen noch lange nicht gesprengt.
Bayreuth, dem im übrigen alles gelassen werden soll, was es besitzt, ist auf
diesem Felde von dem Prinzregententheater überholt. Siegfried Wagner, der
so fortschrittlich als Regisseur die "Meistersinger" behandelte, kann im Ring von
den Anschauungen nicht loskommen, nach denen an den persönlichen Anordnungen
Wagners überhaupt nichts geändert werden darf. Das ist bedauerlich und
schadet auf die Dauer in seiner falsch angebrachten Pietät dem Werke des
Meisters in seinem eigenen Reich, das schließlich nicht zu einem Museum seiner
Person werden darf.

Das Prinzregententheater nähert sich heute mit seiner Ringinszenierung den
Grundsätzen, die ich aussprach. Es hat einige wundervolle Bühnenbilder. Die


Grundsätze moderner Ringinszenierimg

intime Zimmer des Gegenwartmenschen führt, können wir hier bis zu den letzten
Konsequenzen durchführen. Die heißen: jedes für die Handlung nicht absolut
unentbehrliche Ding bleibt fort. Was aber dableibt, tritt, soweit es klein und
unbedeutend ist, so in den Hintergrund, wird so zart angedeutet, daß es nicht
ablenkt. Soweit es aber groß ist und das Bühnenbild beherrscht, ist es möglichst
einfach in Umriß und Fläche. Große, ruhige Massen mit möglichst ununter¬
brochenem Kolorit. Vor dieser Szenerie stürzt eine Götterwelt majestätischer
zusammen, als inmitten eines unwahren Kleinkrams.

Ich höre einen neuen Einwand. Herr Dr. Alexander Dittmann, der sich
neulich über reaktionäre Bestrebungen in der Bayreuther Ringinszenierung
beklagte, sagt in seiner Revue der letzten Festspiele: „Das Arbeiten mit moderner
Regie im Ring ist freilich eine Sache, die mit äußeister Vorsicht angefaßt
werden muß. Der Ring ist so naturalistisch gedacht, daß zumal jeder Versuch
einer Stilisierung, wie sie den modernen Regiebearbeitungen eines Werkes immer
naheliegt, als aussichtslos gelten muß. Ich sage das, weil angesichts der
außerordentlichen Schwierigkeiten, die eine Inszenierung des Ringes bietet, ver¬
schiedentlich schon das Projekt auftaucht, den Ring in einer stilisierten Szene
zu fassen, und damit szenische Vereinfachungen zu erreichen. Damit ist
es nichts."

So habe ich es nicht gemeint. Ohne Zweifel, naturalistisch will der Ring
inszeniert sein. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß man sich sklavisch an die
kleinste Weisung Wagners halten muß, wie das heute noch Bayreuth tut. Es
ist nicht zu leugnen, daß Wagner in der Komposition seiner Bühnenbilder
(manche, wie das Schlußbild des „Rheingold", sind von wunderbarer Schönheit)
oft unglücklich war, die Massen schlecht verteilte, einen relativ kleinen Raum der
Bühne (nicht nur dekorativ sondern auch dramatisch), wie den Felsengipfel im
dritten Walkürenakt, überlud, einen anderen leer und tot ließ. Dazu kommt
eine nur selten unterdrückte Vorliebe für eine Legion von Einzelheiten, Grotten,
Felszacken, Baumstümpfen usw., die heute ruhig auszumerzen sind, ohne daß
man bei der Stilisierung anlangt. Das mag sehr selbstverständlich klingen.
Ist es aber gar nicht. Denn „man" macht es eben nicht so. Am wenigsten
Bayreuth. Dort ist der Trust der Hyperkonservativen noch lange nicht gesprengt.
Bayreuth, dem im übrigen alles gelassen werden soll, was es besitzt, ist auf
diesem Felde von dem Prinzregententheater überholt. Siegfried Wagner, der
so fortschrittlich als Regisseur die „Meistersinger" behandelte, kann im Ring von
den Anschauungen nicht loskommen, nach denen an den persönlichen Anordnungen
Wagners überhaupt nichts geändert werden darf. Das ist bedauerlich und
schadet auf die Dauer in seiner falsch angebrachten Pietät dem Werke des
Meisters in seinem eigenen Reich, das schließlich nicht zu einem Museum seiner
Person werden darf.

Das Prinzregententheater nähert sich heute mit seiner Ringinszenierung den
Grundsätzen, die ich aussprach. Es hat einige wundervolle Bühnenbilder. Die


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[0153] Grundsätze moderner Ringinszenierimg intime Zimmer des Gegenwartmenschen führt, können wir hier bis zu den letzten Konsequenzen durchführen. Die heißen: jedes für die Handlung nicht absolut unentbehrliche Ding bleibt fort. Was aber dableibt, tritt, soweit es klein und unbedeutend ist, so in den Hintergrund, wird so zart angedeutet, daß es nicht ablenkt. Soweit es aber groß ist und das Bühnenbild beherrscht, ist es möglichst einfach in Umriß und Fläche. Große, ruhige Massen mit möglichst ununter¬ brochenem Kolorit. Vor dieser Szenerie stürzt eine Götterwelt majestätischer zusammen, als inmitten eines unwahren Kleinkrams. Ich höre einen neuen Einwand. Herr Dr. Alexander Dittmann, der sich neulich über reaktionäre Bestrebungen in der Bayreuther Ringinszenierung beklagte, sagt in seiner Revue der letzten Festspiele: „Das Arbeiten mit moderner Regie im Ring ist freilich eine Sache, die mit äußeister Vorsicht angefaßt werden muß. Der Ring ist so naturalistisch gedacht, daß zumal jeder Versuch einer Stilisierung, wie sie den modernen Regiebearbeitungen eines Werkes immer naheliegt, als aussichtslos gelten muß. Ich sage das, weil angesichts der außerordentlichen Schwierigkeiten, die eine Inszenierung des Ringes bietet, ver¬ schiedentlich schon das Projekt auftaucht, den Ring in einer stilisierten Szene zu fassen, und damit szenische Vereinfachungen zu erreichen. Damit ist es nichts." So habe ich es nicht gemeint. Ohne Zweifel, naturalistisch will der Ring inszeniert sein. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß man sich sklavisch an die kleinste Weisung Wagners halten muß, wie das heute noch Bayreuth tut. Es ist nicht zu leugnen, daß Wagner in der Komposition seiner Bühnenbilder (manche, wie das Schlußbild des „Rheingold", sind von wunderbarer Schönheit) oft unglücklich war, die Massen schlecht verteilte, einen relativ kleinen Raum der Bühne (nicht nur dekorativ sondern auch dramatisch), wie den Felsengipfel im dritten Walkürenakt, überlud, einen anderen leer und tot ließ. Dazu kommt eine nur selten unterdrückte Vorliebe für eine Legion von Einzelheiten, Grotten, Felszacken, Baumstümpfen usw., die heute ruhig auszumerzen sind, ohne daß man bei der Stilisierung anlangt. Das mag sehr selbstverständlich klingen. Ist es aber gar nicht. Denn „man" macht es eben nicht so. Am wenigsten Bayreuth. Dort ist der Trust der Hyperkonservativen noch lange nicht gesprengt. Bayreuth, dem im übrigen alles gelassen werden soll, was es besitzt, ist auf diesem Felde von dem Prinzregententheater überholt. Siegfried Wagner, der so fortschrittlich als Regisseur die „Meistersinger" behandelte, kann im Ring von den Anschauungen nicht loskommen, nach denen an den persönlichen Anordnungen Wagners überhaupt nichts geändert werden darf. Das ist bedauerlich und schadet auf die Dauer in seiner falsch angebrachten Pietät dem Werke des Meisters in seinem eigenen Reich, das schließlich nicht zu einem Museum seiner Person werden darf. Das Prinzregententheater nähert sich heute mit seiner Ringinszenierung den Grundsätzen, die ich aussprach. Es hat einige wundervolle Bühnenbilder. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/153>, abgerufen am 04.07.2024.