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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Grundsätze moderner Ringinszenierung

Konflikte, vor ihrem Jubel und Jauchzen und Jammer verblaßt der Glanz des
nationalistischen. Wagner selbst hat das nicht, oder wenigstens nicht genügend
erkannt und war auf diese Weise kleiner als sein Werk.

Versteht mich im folgenden recht. Ich will nicht an den Fundamenten
von Wagners Werken rütteln, das mir die größte Bereicherung dünkt, die
deutsches Leben seit acht Jahrzehnten erfahren hat. Im Gegenteil: ich will
mithelfen, es seinen innersten Werten näherzubringen. Und dazu gehört auch
die Kritik, wo sie vonnöten ist.

Deshalb muß es heute ehrlich bekannt werden, daß Wagner mit seinen
szenischen Bemerkungen (denen manche wunderbare Schönheit nicht abzusprechen
ist) nicht nur im Mythologischen steckenblieb, sondern oft auch im Kleinlichen.

Man nehme einmal die szenische Vorschrift zum ersten Walkürenakt: eine
das Dach stützende Esche mit zahlreichem, sich in den Erdboden verlierenden
Wurzelwerk. Wände aus rohbehauenem Holzwerk, hier und da mit Decken
behängen. Ein Herd, ein Rauchfang, ein Vorratsspeicher mit tausend Kleinig¬
keiten, eine Treppe, die hinaufführt. Eine Eingangstür mit nota bene schlichtem
Holzriegel. Eine zweite Tür. Ein Tisch mit breiter Bank an der Wand und
hölzernen Schemeln usw.

Führt man das alles mit Maß und Geschmack genau aus (die Original¬
vorschrift ist noch viel komplizierter), so erhält man ein Gemach, das voller
verwirrender Einzelheiten ist. Ein Zimmer, das den Wandtafeln gleicht, an
denen wir als Schüler uns eine Vorstellung von germanischem Hausrat machen
sollten. Dessen Wände aber doch tiefsten menschlichen Jammer und jubelndes
Jauchzen widertönen sollen.

Es kann aber noch schlimmer werden. Pointiert man gar auf das Bieder-
Deutsche, auf das (auch von Wagner oft unterstrichene) "Rohgezimmerte", auf
das Zottige und Rauhbeinige, so langt man mit dem Bühnenbilde ungefähr
bei der altdeutschen Bierstube der achtziger Jahre an, in der die vorige
Generation sich ihren beträchtlichen Leibesumfang antrank. Und das sind
Wirkungen, die Wagner nicht beabsichtigte, und mit denen sein Werk nichts zu
schaffen hat.

Wir haben nicht nur ein künstlerisches Recht darauf, uns von den szenischen
Bemerkungen Wagners zu emanzipieren: es gibt auch schließlich keine historisch¬
philologischen Waffen gegen diese Bestrebungen. Denn von den Dingen, mit
denen sich die Germanenwelt umgab, von Wohnung, Hausrat und Kleidung ist
uns so gut wie nichts Zuverlässiges überkommen.

Aber wir kommen auch ohne dies letzte Argument aus: Wir haben das
gute Recht, eine Tragödie, in der wir mehr das Menschliche als das Mytho¬
logische sehen, nach den allgemeinen Gesichtspunkten des Schönen zu gestalten
und erst in der letzten Linie das Rationalistische vorsichtig anzudeuten.

Damit ist die erste Grundlage geschaffen für die moderne Inszenierung des
Ringes. Was wir heute in jedem Drama beginnen, das uns nicht in das


Grundsätze moderner Ringinszenierung

Konflikte, vor ihrem Jubel und Jauchzen und Jammer verblaßt der Glanz des
nationalistischen. Wagner selbst hat das nicht, oder wenigstens nicht genügend
erkannt und war auf diese Weise kleiner als sein Werk.

Versteht mich im folgenden recht. Ich will nicht an den Fundamenten
von Wagners Werken rütteln, das mir die größte Bereicherung dünkt, die
deutsches Leben seit acht Jahrzehnten erfahren hat. Im Gegenteil: ich will
mithelfen, es seinen innersten Werten näherzubringen. Und dazu gehört auch
die Kritik, wo sie vonnöten ist.

Deshalb muß es heute ehrlich bekannt werden, daß Wagner mit seinen
szenischen Bemerkungen (denen manche wunderbare Schönheit nicht abzusprechen
ist) nicht nur im Mythologischen steckenblieb, sondern oft auch im Kleinlichen.

Man nehme einmal die szenische Vorschrift zum ersten Walkürenakt: eine
das Dach stützende Esche mit zahlreichem, sich in den Erdboden verlierenden
Wurzelwerk. Wände aus rohbehauenem Holzwerk, hier und da mit Decken
behängen. Ein Herd, ein Rauchfang, ein Vorratsspeicher mit tausend Kleinig¬
keiten, eine Treppe, die hinaufführt. Eine Eingangstür mit nota bene schlichtem
Holzriegel. Eine zweite Tür. Ein Tisch mit breiter Bank an der Wand und
hölzernen Schemeln usw.

Führt man das alles mit Maß und Geschmack genau aus (die Original¬
vorschrift ist noch viel komplizierter), so erhält man ein Gemach, das voller
verwirrender Einzelheiten ist. Ein Zimmer, das den Wandtafeln gleicht, an
denen wir als Schüler uns eine Vorstellung von germanischem Hausrat machen
sollten. Dessen Wände aber doch tiefsten menschlichen Jammer und jubelndes
Jauchzen widertönen sollen.

Es kann aber noch schlimmer werden. Pointiert man gar auf das Bieder-
Deutsche, auf das (auch von Wagner oft unterstrichene) „Rohgezimmerte", auf
das Zottige und Rauhbeinige, so langt man mit dem Bühnenbilde ungefähr
bei der altdeutschen Bierstube der achtziger Jahre an, in der die vorige
Generation sich ihren beträchtlichen Leibesumfang antrank. Und das sind
Wirkungen, die Wagner nicht beabsichtigte, und mit denen sein Werk nichts zu
schaffen hat.

Wir haben nicht nur ein künstlerisches Recht darauf, uns von den szenischen
Bemerkungen Wagners zu emanzipieren: es gibt auch schließlich keine historisch¬
philologischen Waffen gegen diese Bestrebungen. Denn von den Dingen, mit
denen sich die Germanenwelt umgab, von Wohnung, Hausrat und Kleidung ist
uns so gut wie nichts Zuverlässiges überkommen.

Aber wir kommen auch ohne dies letzte Argument aus: Wir haben das
gute Recht, eine Tragödie, in der wir mehr das Menschliche als das Mytho¬
logische sehen, nach den allgemeinen Gesichtspunkten des Schönen zu gestalten
und erst in der letzten Linie das Rationalistische vorsichtig anzudeuten.

Damit ist die erste Grundlage geschaffen für die moderne Inszenierung des
Ringes. Was wir heute in jedem Drama beginnen, das uns nicht in das


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[0152] Grundsätze moderner Ringinszenierung Konflikte, vor ihrem Jubel und Jauchzen und Jammer verblaßt der Glanz des nationalistischen. Wagner selbst hat das nicht, oder wenigstens nicht genügend erkannt und war auf diese Weise kleiner als sein Werk. Versteht mich im folgenden recht. Ich will nicht an den Fundamenten von Wagners Werken rütteln, das mir die größte Bereicherung dünkt, die deutsches Leben seit acht Jahrzehnten erfahren hat. Im Gegenteil: ich will mithelfen, es seinen innersten Werten näherzubringen. Und dazu gehört auch die Kritik, wo sie vonnöten ist. Deshalb muß es heute ehrlich bekannt werden, daß Wagner mit seinen szenischen Bemerkungen (denen manche wunderbare Schönheit nicht abzusprechen ist) nicht nur im Mythologischen steckenblieb, sondern oft auch im Kleinlichen. Man nehme einmal die szenische Vorschrift zum ersten Walkürenakt: eine das Dach stützende Esche mit zahlreichem, sich in den Erdboden verlierenden Wurzelwerk. Wände aus rohbehauenem Holzwerk, hier und da mit Decken behängen. Ein Herd, ein Rauchfang, ein Vorratsspeicher mit tausend Kleinig¬ keiten, eine Treppe, die hinaufführt. Eine Eingangstür mit nota bene schlichtem Holzriegel. Eine zweite Tür. Ein Tisch mit breiter Bank an der Wand und hölzernen Schemeln usw. Führt man das alles mit Maß und Geschmack genau aus (die Original¬ vorschrift ist noch viel komplizierter), so erhält man ein Gemach, das voller verwirrender Einzelheiten ist. Ein Zimmer, das den Wandtafeln gleicht, an denen wir als Schüler uns eine Vorstellung von germanischem Hausrat machen sollten. Dessen Wände aber doch tiefsten menschlichen Jammer und jubelndes Jauchzen widertönen sollen. Es kann aber noch schlimmer werden. Pointiert man gar auf das Bieder- Deutsche, auf das (auch von Wagner oft unterstrichene) „Rohgezimmerte", auf das Zottige und Rauhbeinige, so langt man mit dem Bühnenbilde ungefähr bei der altdeutschen Bierstube der achtziger Jahre an, in der die vorige Generation sich ihren beträchtlichen Leibesumfang antrank. Und das sind Wirkungen, die Wagner nicht beabsichtigte, und mit denen sein Werk nichts zu schaffen hat. Wir haben nicht nur ein künstlerisches Recht darauf, uns von den szenischen Bemerkungen Wagners zu emanzipieren: es gibt auch schließlich keine historisch¬ philologischen Waffen gegen diese Bestrebungen. Denn von den Dingen, mit denen sich die Germanenwelt umgab, von Wohnung, Hausrat und Kleidung ist uns so gut wie nichts Zuverlässiges überkommen. Aber wir kommen auch ohne dies letzte Argument aus: Wir haben das gute Recht, eine Tragödie, in der wir mehr das Menschliche als das Mytho¬ logische sehen, nach den allgemeinen Gesichtspunkten des Schönen zu gestalten und erst in der letzten Linie das Rationalistische vorsichtig anzudeuten. Damit ist die erste Grundlage geschaffen für die moderne Inszenierung des Ringes. Was wir heute in jedem Drama beginnen, das uns nicht in das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/152>, abgerufen am 01.07.2024.