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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Grundsätze moderner Ringinszenierung

Wer das Lebenswerk großer Männer im Innersten kennt, weiß, wie oft
es über die Menschlichkeit seines Schöpfers hinauswächst. Wie oft die Trieb¬
federn kleinlich, gar unsympathisch sind. Wie oft Kleines erstrebt, und Großes
erreicht wurde. Kolumbus sucht einen neuen Handelsweg nach dem anderen
Ende der alten Welt und findet eine neue. Das ist symbolisch. Auf viele
Großtaten der Menschheit kann man es anwenden. Und auf Wagner besonders.

Aus philologischen Studien über die Mythologie der Germanen erwächst
der Plan zum Ring, und schafft ein Werk, das nicht nationalistische, sondern
kosmische Bedeutung hat.

Von diesen: Satz aus läßt sich schon der Schritt tun ins Gebiet der
Inszenierung.

Soll das Werk heute frei sein von allen Schlacken, die Ludwig meint, so
muß das Gewand, in das man es kleidet, frei sein von jenen nationalistischen
Zutaten, die ihm wie kleine Fremdkörper anhaften.

Zunächst muß ich mich nach dieser These mit denen auseinandersetzen, die
des Ringes Bedeutung gerade in dem spezifisch Germanischen sehen, etwa als
vorweggenommene symbolische Krönung der Reichsgründung wie das unschöne
Denkmal auf dem Niederwald. Zugegeben: Wagner selbst, der von dem
germanischen Mythos ausgegangen war, hat sein Werk zu einem Teile ähnlich
aufgefaßt. Seine szenischen Bemerkungen, noch mehr aber die ersten, nach
seinen Angaben hergestellten Dekorationen zum Ring beweisen es.

Und in eben diesem Verquicken der großen Tragödie mit Germanizismen
liegt für uns etwas Ungenießbares. Ich glaube, Ludwigs Antipathie gegen
Wagner liegt zum Teil auf diesem Felde. Er ist darin durchaus Repräsentant
der jungen Generation. Der liegt die Göttertragödie näher, als ihr germa¬
nisches Beiwerk. Sie sucht das rein Ästhetische und empfindet alle natio¬
nalistischen Nebengedanken als störend. Schon aus Opposition zu Wagners
Zeitgenossen, zu denen sie ja heute auf allen Kulturgebieten in schärfsten
Kontrast steht. Wagners Zeit ist dieselbe, wie die Jahre, in denen man unter
dem Hurra der Reichsgründung allen alten Kulturbesitz für Talmi dahingab.
Die Zeit der politischen Höhe ist der Beginn zu Deutschlands kultureller Baisse.
Und unsere Jugend, die heute die Sünden'der Väter auf diesem Gebiete bitter
empfindet, mag nichts sehen und hören, was sie an diese Verluste erinnert.

Sie hat Recht darin. Nicht nur aus diesen subjektiven Gründen, sondern
auch sachlich.

Erstens: die Beziehungen des Ringes zur Germanenmythologie sind rein
formal. Gewiß, es ist die germanische Götterwelt, die hier untergeht und
ganze Akte hindurch ist die Szene am Rhein. Aber die Tragödie selbst ist
von Wagner aus tausend menschlichen Irrungen und Wirrungen aufgebaut,
von denen die Germanensagen nichts wissen. Und eben diese Irrungen und
Wirrungen sind ihre wesentlichen Bestandteile und nicht die Tatsache, daß
Germanengötter untergehen. Vor der gewaltigen Wucht dieser menschlichen


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Grundsätze moderner Ringinszenierung

Wer das Lebenswerk großer Männer im Innersten kennt, weiß, wie oft
es über die Menschlichkeit seines Schöpfers hinauswächst. Wie oft die Trieb¬
federn kleinlich, gar unsympathisch sind. Wie oft Kleines erstrebt, und Großes
erreicht wurde. Kolumbus sucht einen neuen Handelsweg nach dem anderen
Ende der alten Welt und findet eine neue. Das ist symbolisch. Auf viele
Großtaten der Menschheit kann man es anwenden. Und auf Wagner besonders.

Aus philologischen Studien über die Mythologie der Germanen erwächst
der Plan zum Ring, und schafft ein Werk, das nicht nationalistische, sondern
kosmische Bedeutung hat.

Von diesen: Satz aus läßt sich schon der Schritt tun ins Gebiet der
Inszenierung.

Soll das Werk heute frei sein von allen Schlacken, die Ludwig meint, so
muß das Gewand, in das man es kleidet, frei sein von jenen nationalistischen
Zutaten, die ihm wie kleine Fremdkörper anhaften.

Zunächst muß ich mich nach dieser These mit denen auseinandersetzen, die
des Ringes Bedeutung gerade in dem spezifisch Germanischen sehen, etwa als
vorweggenommene symbolische Krönung der Reichsgründung wie das unschöne
Denkmal auf dem Niederwald. Zugegeben: Wagner selbst, der von dem
germanischen Mythos ausgegangen war, hat sein Werk zu einem Teile ähnlich
aufgefaßt. Seine szenischen Bemerkungen, noch mehr aber die ersten, nach
seinen Angaben hergestellten Dekorationen zum Ring beweisen es.

Und in eben diesem Verquicken der großen Tragödie mit Germanizismen
liegt für uns etwas Ungenießbares. Ich glaube, Ludwigs Antipathie gegen
Wagner liegt zum Teil auf diesem Felde. Er ist darin durchaus Repräsentant
der jungen Generation. Der liegt die Göttertragödie näher, als ihr germa¬
nisches Beiwerk. Sie sucht das rein Ästhetische und empfindet alle natio¬
nalistischen Nebengedanken als störend. Schon aus Opposition zu Wagners
Zeitgenossen, zu denen sie ja heute auf allen Kulturgebieten in schärfsten
Kontrast steht. Wagners Zeit ist dieselbe, wie die Jahre, in denen man unter
dem Hurra der Reichsgründung allen alten Kulturbesitz für Talmi dahingab.
Die Zeit der politischen Höhe ist der Beginn zu Deutschlands kultureller Baisse.
Und unsere Jugend, die heute die Sünden'der Väter auf diesem Gebiete bitter
empfindet, mag nichts sehen und hören, was sie an diese Verluste erinnert.

Sie hat Recht darin. Nicht nur aus diesen subjektiven Gründen, sondern
auch sachlich.

Erstens: die Beziehungen des Ringes zur Germanenmythologie sind rein
formal. Gewiß, es ist die germanische Götterwelt, die hier untergeht und
ganze Akte hindurch ist die Szene am Rhein. Aber die Tragödie selbst ist
von Wagner aus tausend menschlichen Irrungen und Wirrungen aufgebaut,
von denen die Germanensagen nichts wissen. Und eben diese Irrungen und
Wirrungen sind ihre wesentlichen Bestandteile und nicht die Tatsache, daß
Germanengötter untergehen. Vor der gewaltigen Wucht dieser menschlichen


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[0151] Grundsätze moderner Ringinszenierung Wer das Lebenswerk großer Männer im Innersten kennt, weiß, wie oft es über die Menschlichkeit seines Schöpfers hinauswächst. Wie oft die Trieb¬ federn kleinlich, gar unsympathisch sind. Wie oft Kleines erstrebt, und Großes erreicht wurde. Kolumbus sucht einen neuen Handelsweg nach dem anderen Ende der alten Welt und findet eine neue. Das ist symbolisch. Auf viele Großtaten der Menschheit kann man es anwenden. Und auf Wagner besonders. Aus philologischen Studien über die Mythologie der Germanen erwächst der Plan zum Ring, und schafft ein Werk, das nicht nationalistische, sondern kosmische Bedeutung hat. Von diesen: Satz aus läßt sich schon der Schritt tun ins Gebiet der Inszenierung. Soll das Werk heute frei sein von allen Schlacken, die Ludwig meint, so muß das Gewand, in das man es kleidet, frei sein von jenen nationalistischen Zutaten, die ihm wie kleine Fremdkörper anhaften. Zunächst muß ich mich nach dieser These mit denen auseinandersetzen, die des Ringes Bedeutung gerade in dem spezifisch Germanischen sehen, etwa als vorweggenommene symbolische Krönung der Reichsgründung wie das unschöne Denkmal auf dem Niederwald. Zugegeben: Wagner selbst, der von dem germanischen Mythos ausgegangen war, hat sein Werk zu einem Teile ähnlich aufgefaßt. Seine szenischen Bemerkungen, noch mehr aber die ersten, nach seinen Angaben hergestellten Dekorationen zum Ring beweisen es. Und in eben diesem Verquicken der großen Tragödie mit Germanizismen liegt für uns etwas Ungenießbares. Ich glaube, Ludwigs Antipathie gegen Wagner liegt zum Teil auf diesem Felde. Er ist darin durchaus Repräsentant der jungen Generation. Der liegt die Göttertragödie näher, als ihr germa¬ nisches Beiwerk. Sie sucht das rein Ästhetische und empfindet alle natio¬ nalistischen Nebengedanken als störend. Schon aus Opposition zu Wagners Zeitgenossen, zu denen sie ja heute auf allen Kulturgebieten in schärfsten Kontrast steht. Wagners Zeit ist dieselbe, wie die Jahre, in denen man unter dem Hurra der Reichsgründung allen alten Kulturbesitz für Talmi dahingab. Die Zeit der politischen Höhe ist der Beginn zu Deutschlands kultureller Baisse. Und unsere Jugend, die heute die Sünden'der Väter auf diesem Gebiete bitter empfindet, mag nichts sehen und hören, was sie an diese Verluste erinnert. Sie hat Recht darin. Nicht nur aus diesen subjektiven Gründen, sondern auch sachlich. Erstens: die Beziehungen des Ringes zur Germanenmythologie sind rein formal. Gewiß, es ist die germanische Götterwelt, die hier untergeht und ganze Akte hindurch ist die Szene am Rhein. Aber die Tragödie selbst ist von Wagner aus tausend menschlichen Irrungen und Wirrungen aufgebaut, von denen die Germanensagen nichts wissen. Und eben diese Irrungen und Wirrungen sind ihre wesentlichen Bestandteile und nicht die Tatsache, daß Germanengötter untergehen. Vor der gewaltigen Wucht dieser menschlichen 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/151>, abgerufen am 29.06.2024.