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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Handle oder stirb I

servitutem gearbeitet worden und der Staat machte zeitweise selbst vor dem
Gemeindeglieder- oder Bürgervermögen nicht Halt. Auch dabei erfolgten
schwere Eingriffe in das Privateigentum, da jeder Miteigentümer, Eigen¬
tümer und Servitutberechtigte antragsberechtigt und die Einwilligung des
zuständigen Fideikommißanwärters oder der Hrjpothekengläubiger nicht er¬
forderlich war. So schuf man kleine, tasterlose, freie, aber auch schutzlose
Besitzer, mobilisierte den Grund und Boden, machte ihn zur Ware, wie
eine bewegliche Sache und legte somit auch zugleich den Keim einerseits für
die Wiederaufsaugung der kleinen Besitzer durch die großen und andererseits
für die Zersplitterung des Grundbesitzes bis zur UnWirtschaftlichkeit. Über-
schuldung sowie eine unerwünschte Unseßhaftigkeit der Landbevölkerung war
eine Folge davon.

Die Reaktion hiergegen konnte nicht ausbleiben; sie setzte bei der Kolonisation
mit Hilfe von Rentengütern ein. Daneben suchte man den Landbesitz wenigstens der
Familie zu erhalten durch Schaffung von Höferrecht und Anerbenrecht, förderte nach
Kräften die Gewährung öffentlichen billigen Kredits, strebte ebenfalls schon seit Friedrich
demi Großen nach Einführung einer Verschuldungsgrenze, führte in dem Bürger¬
lichen Gesetzbuch das Erbbaurecht wieder ein, suchte durch eine Umsatzsteuer
(Jmmobilienstempel) wohl auch die Beweglichkeit des Grundbesitzes zu hemmen
und schließlich wurde die Grundrente unmittelbar durch Einführung einer Reichs¬
wertzuwachssteuer, für die die Bodenreformer die öffentliche Meinung herangebildet
hatten, getroffen. In neuester Zeit will man die Zahl kleiner Besitzer durch
Zerschlagen von Domänen vermehren. Demselben Ziel dient die Urbarmachung
der weiten Moor- und Odländereien.

Neben diesen staatlichen Versuchen stehen die Bestrebungen der Sozial¬
demokratie, die auf Kommunismus in Grund und Boden wie beweglichem
Kapital und auf Reglementierung der gesamten Produktion gerichtet sind.

Auch die Gemeinden sind auf dem Gebiete der Bodenreform nicht untätig
geblieben. Man hat Gemeindemietshäuser gebaut und billig zu vermieten
gesucht. Man hat für die Gemeinden größere Ländereien erworben und sie
in Erbbaurecht aufgetan. Die besonders weitblickend verwaltete Stadt Ulm
hat die im Umkreise der Stadt aufgekauften ausgedehnten Länderstrecken ohne
Erbbaurecht zu freier Verfügung mit Amortisation des Kaufpreises verkauft,
aber unter Statuierung eines hundertjährigen Wiederkaufsrechts zum ursprüng¬
lichen Preise. Andere Gemeinden haben schon längere Zeit die Wertzuwachssteuer
eingeführt, welche den unverdienten Gewinn treffen soll, wie er in dem Unter¬
schiede zwischen Erwerbspreis und Verkaufspreis hervortritt, und die Marine¬
verwaltung hat in Kiautschou auf diesem Gebiete den weitesten Schritt getan,
indem sie den Käufern des von ihr vergebenen Landes die Verpflichtung auf¬
erlegt, im Falle des Weiterverkaufs von der Wertsteigerung 33 ^/z vom Hundert
an sie abzugeben, sich selbst aber ein Vorkaufsrecht zum ursprünglichen Ver¬
kaufspreise vorbehält. Die von vielen Gemeinden eingeführte Grundwertsteuer


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servitutem gearbeitet worden und der Staat machte zeitweise selbst vor dem
Gemeindeglieder- oder Bürgervermögen nicht Halt. Auch dabei erfolgten
schwere Eingriffe in das Privateigentum, da jeder Miteigentümer, Eigen¬
tümer und Servitutberechtigte antragsberechtigt und die Einwilligung des
zuständigen Fideikommißanwärters oder der Hrjpothekengläubiger nicht er¬
forderlich war. So schuf man kleine, tasterlose, freie, aber auch schutzlose
Besitzer, mobilisierte den Grund und Boden, machte ihn zur Ware, wie
eine bewegliche Sache und legte somit auch zugleich den Keim einerseits für
die Wiederaufsaugung der kleinen Besitzer durch die großen und andererseits
für die Zersplitterung des Grundbesitzes bis zur UnWirtschaftlichkeit. Über-
schuldung sowie eine unerwünschte Unseßhaftigkeit der Landbevölkerung war
eine Folge davon.

Die Reaktion hiergegen konnte nicht ausbleiben; sie setzte bei der Kolonisation
mit Hilfe von Rentengütern ein. Daneben suchte man den Landbesitz wenigstens der
Familie zu erhalten durch Schaffung von Höferrecht und Anerbenrecht, förderte nach
Kräften die Gewährung öffentlichen billigen Kredits, strebte ebenfalls schon seit Friedrich
demi Großen nach Einführung einer Verschuldungsgrenze, führte in dem Bürger¬
lichen Gesetzbuch das Erbbaurecht wieder ein, suchte durch eine Umsatzsteuer
(Jmmobilienstempel) wohl auch die Beweglichkeit des Grundbesitzes zu hemmen
und schließlich wurde die Grundrente unmittelbar durch Einführung einer Reichs¬
wertzuwachssteuer, für die die Bodenreformer die öffentliche Meinung herangebildet
hatten, getroffen. In neuester Zeit will man die Zahl kleiner Besitzer durch
Zerschlagen von Domänen vermehren. Demselben Ziel dient die Urbarmachung
der weiten Moor- und Odländereien.

Neben diesen staatlichen Versuchen stehen die Bestrebungen der Sozial¬
demokratie, die auf Kommunismus in Grund und Boden wie beweglichem
Kapital und auf Reglementierung der gesamten Produktion gerichtet sind.

Auch die Gemeinden sind auf dem Gebiete der Bodenreform nicht untätig
geblieben. Man hat Gemeindemietshäuser gebaut und billig zu vermieten
gesucht. Man hat für die Gemeinden größere Ländereien erworben und sie
in Erbbaurecht aufgetan. Die besonders weitblickend verwaltete Stadt Ulm
hat die im Umkreise der Stadt aufgekauften ausgedehnten Länderstrecken ohne
Erbbaurecht zu freier Verfügung mit Amortisation des Kaufpreises verkauft,
aber unter Statuierung eines hundertjährigen Wiederkaufsrechts zum ursprüng¬
lichen Preise. Andere Gemeinden haben schon längere Zeit die Wertzuwachssteuer
eingeführt, welche den unverdienten Gewinn treffen soll, wie er in dem Unter¬
schiede zwischen Erwerbspreis und Verkaufspreis hervortritt, und die Marine¬
verwaltung hat in Kiautschou auf diesem Gebiete den weitesten Schritt getan,
indem sie den Käufern des von ihr vergebenen Landes die Verpflichtung auf¬
erlegt, im Falle des Weiterverkaufs von der Wertsteigerung 33 ^/z vom Hundert
an sie abzugeben, sich selbst aber ein Vorkaufsrecht zum ursprünglichen Ver¬
kaufspreise vorbehält. Die von vielen Gemeinden eingeführte Grundwertsteuer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/15>, abgerufen am 01.07.2024.