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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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ist, gibt es eine wissenschaftlich einwandfrei begründete Antwort noch nicht;
er gilt aber allgemein als wesentlich. Die Erfahrung lehrt, daß nicht die
gesteigerte Nachfrage allein den Bodenpreis hebt, daß vielmehr auch äußere, mit
dem Boden als solchem nicht zusammenhängende Momente mitwirken, namentlich
Stärke und gute Wirtschaft des Reiches, des Staates und der Gemeinden,
und daß die gemeinschaftliche Gesamtwirkung nur möglich wird durch die für den
Grund und Boden geltenden Rechtsverhältnisse. Die Dinge haben sich schon so
zugespitzt, daß von einer Wohnungsnot gesprochen werden darf, unter der
Mieter und Vermieter in gleicher Weise leiden. Das Wohnen ist eine der
ersten Notwendigkeiten für den Menschen, der dafür zur Verfügung stehende
Grund und Boden ist aber beschränkt, so daß bei der Steigerung der Nach¬
frage hohe und wirtschaftlich unrichtige Grundstückspreise gefordert werden
können und unter dem Druck der Lebensverhältnisse auch bezahlt werden.

Die Zunahme der Bevölkerung bewirkt durch diese Preissteigerung eine Be¬
reicherung eines verhältnismäßig kleinen Teiles von Grundbesitzern in Stadt und
Land über das Maß des Verdienstes hinaus, das durch ihre Arbeit, durch die von
ihnen gezählten Löhne und das aufgewendete Kapital gerechtfertigt sein würde.
Diese Grundrente, die in Form einer Wertsteigerung bei Verkäufen von Grund und
Boden hervortritt und oft nach nicht langer Zeit das Vielfache des Erwerbs¬
preises beträgt, ist somit ein Erzeugnis des Zusammenwirkens der Zunahme der
Bevölkerung mit anderen in der Allgemeinheit vorhandenen politischen und
wirtschaftlichen Faktoren. Deshalb wollen die modernen Bodenreformer sie von
den Grundbesitzern der Allgemeinheit zurückgewinnen.




Die Aufgaben, welche sich die Staatspolitik in bezug auf die Bodenreform
jm weiteren Sinne gesetzt hat, haben zu den verschiedenen Zeiten stark ge¬
wechselt. Ein Überblick über die bisher ergriffenen staatlichen Maßnahmen
zeigt die ungeheure Schwierigkeit der zu bewältigenden Fragen. Der oberste
Zweck war immer, die Intensität der Bodenbewirtschaftung zu fördern.

Die Stein-Hardenbergschen Reformen schritten zur unentgeltlichen Ab¬
schaffung des Obereigentums des Gutsherrn wie des Erbpächters und machten
die bisherigen Einfassen zu freien Eigentümern, unter schwerem Eingriff in das
Privateigentum und indem sie die schwach gewordenen Gebilde historischer Ent¬
wicklung zum Segen des Staates umgestalteten. Um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts wurde diese Regulierung vervollständigt und zugleich werden zahl¬
reiche auf guts- und grundherrlichen Verhältnissen beruhende bäuerliche Lasten
ohne Entschädigung abgelöst, Erbpacht in volles Eigentum verwandelt und für
die Zukunft verboten. Schon seit Friedrich dem Großen ist gleichfalls in freiheit¬
lichen dezentralisierendem Sinne an der Teilung der ländlichen Gemeinheiten,
besonders an Weide- und Forstgemeinschaften, Torfmooren und kulturschädlichen


Handle oder stirb I

ist, gibt es eine wissenschaftlich einwandfrei begründete Antwort noch nicht;
er gilt aber allgemein als wesentlich. Die Erfahrung lehrt, daß nicht die
gesteigerte Nachfrage allein den Bodenpreis hebt, daß vielmehr auch äußere, mit
dem Boden als solchem nicht zusammenhängende Momente mitwirken, namentlich
Stärke und gute Wirtschaft des Reiches, des Staates und der Gemeinden,
und daß die gemeinschaftliche Gesamtwirkung nur möglich wird durch die für den
Grund und Boden geltenden Rechtsverhältnisse. Die Dinge haben sich schon so
zugespitzt, daß von einer Wohnungsnot gesprochen werden darf, unter der
Mieter und Vermieter in gleicher Weise leiden. Das Wohnen ist eine der
ersten Notwendigkeiten für den Menschen, der dafür zur Verfügung stehende
Grund und Boden ist aber beschränkt, so daß bei der Steigerung der Nach¬
frage hohe und wirtschaftlich unrichtige Grundstückspreise gefordert werden
können und unter dem Druck der Lebensverhältnisse auch bezahlt werden.

Die Zunahme der Bevölkerung bewirkt durch diese Preissteigerung eine Be¬
reicherung eines verhältnismäßig kleinen Teiles von Grundbesitzern in Stadt und
Land über das Maß des Verdienstes hinaus, das durch ihre Arbeit, durch die von
ihnen gezählten Löhne und das aufgewendete Kapital gerechtfertigt sein würde.
Diese Grundrente, die in Form einer Wertsteigerung bei Verkäufen von Grund und
Boden hervortritt und oft nach nicht langer Zeit das Vielfache des Erwerbs¬
preises beträgt, ist somit ein Erzeugnis des Zusammenwirkens der Zunahme der
Bevölkerung mit anderen in der Allgemeinheit vorhandenen politischen und
wirtschaftlichen Faktoren. Deshalb wollen die modernen Bodenreformer sie von
den Grundbesitzern der Allgemeinheit zurückgewinnen.




Die Aufgaben, welche sich die Staatspolitik in bezug auf die Bodenreform
jm weiteren Sinne gesetzt hat, haben zu den verschiedenen Zeiten stark ge¬
wechselt. Ein Überblick über die bisher ergriffenen staatlichen Maßnahmen
zeigt die ungeheure Schwierigkeit der zu bewältigenden Fragen. Der oberste
Zweck war immer, die Intensität der Bodenbewirtschaftung zu fördern.

Die Stein-Hardenbergschen Reformen schritten zur unentgeltlichen Ab¬
schaffung des Obereigentums des Gutsherrn wie des Erbpächters und machten
die bisherigen Einfassen zu freien Eigentümern, unter schwerem Eingriff in das
Privateigentum und indem sie die schwach gewordenen Gebilde historischer Ent¬
wicklung zum Segen des Staates umgestalteten. Um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts wurde diese Regulierung vervollständigt und zugleich werden zahl¬
reiche auf guts- und grundherrlichen Verhältnissen beruhende bäuerliche Lasten
ohne Entschädigung abgelöst, Erbpacht in volles Eigentum verwandelt und für
die Zukunft verboten. Schon seit Friedrich dem Großen ist gleichfalls in freiheit¬
lichen dezentralisierendem Sinne an der Teilung der ländlichen Gemeinheiten,
besonders an Weide- und Forstgemeinschaften, Torfmooren und kulturschädlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/14>, abgerufen am 29.06.2024.