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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Serail von Stambul

lose Dinge sich finden, wie Musikdosen oder Standuhren, die einem die Illusion,
im Märchenlande zu sein, gründlich zerstören können.

Besonders interessant sind die historisch denkwürdigen Stücke dieses
Schatzes, wie z. B. ein massiv goldener Thron, der ganz mit Edelsteinen
und Perlen übersät ist, das Beutestück Selims des Ersten, das er 1514
aus einem Krieg gegen Persien heimbrachte, serner Harnische und Waffenstücke
berühmter Sultane, und nicht zu vergessen die Staatsgewänder aller Herrscher,
von Muhammed dem Zweiten bis zu Mahmud dem Zweiten, aus den kost¬
barsten Brokat- und Seidenstoffen gefertigt, jedes mit Gürtel, Dolch und
diamantner Aigrette.

Der dem Schatzhaus gegenüberliegende "Saal des- heiligen Gewandes"
wird dem Besucher des Serail nicht geöffnet. Er birgt die größten Heiligtümer
des Islam: einen Mantel des Propheten, das heilige Banner, seinen Bart und
einen Zahn. Einmal im Jahr, am fünfzehnten Tag des Fastenmonats Ramasan,
kommt der Sultan nach dem alten Serai, um den heiligen Mantel zu küssen,
eine Handlung, die mit großer Feierlichkeit vor sich geht.

Wer das Schatzhaus verläßt, folgt einem der führenden Beamten durch
schöne Gärten mit kühlenden Fontänen nach einem von Abd-ni-Medschid im
modernen Stil erbauten Marmorkiosk, von dessen Terrasse die großartigste
Rur.dsicht sich auftut: Zu Füßen drei gewaltige Meeresstraßen, die Marmara,
der Bosporus und das Goldene Horn, auf welchen die großen Schiffe wie
winziges Spielzeug sich hin- und herbewegen, in der Ferne die bunten Küsten
von Asien und am Horizont des Olumps weiße Firnen. Was ist schließlich
alles Menschenwerk gegen solche Wunder? Und wenn es selbst der Bagdad¬
kiosk wäre!

Dieses schönste Schmuckstück des Serail liegt, von den übrigen Gebäuden
getrennt, in einer lauschigen Ecke des großen Gartens. Zu dem kleinen in
Form eines Achtecks gebauten Lustschloß führen breite Marmorstufen empor.
Murad der Vierte ließ es zum Andenken an den Feldzug gegen Bagdad
errichten und schuf damit ein Meisterstück orientalischer Kunst.

Der durch eine Galerie geschützte Kuppelbau enthält im Innern einen
großen Raum, dessen gedämpftes Licht durch die bunten Scheiben der hohen
Fenster hereinflutet. Die Kuppel ist mit Malereien -- auf Gazellenhaut auf¬
getragen -- bedeckt. Alle Wände leuchten im Schmuck herrlicher Fayencen,
Türen und Nischen bestehen aus kostbarem Holz mit Perlmutter- und Elfenbein-
cinlagen, und den Boden decken schwellende Teppiche. Im verschwiegensten
Winkel dieses Saales müßte man auf einem Divan hocken und den Erzählungen
aus Tausend und einer Nacht lauschen, dann würden sie erst lebenl -- Von
der Galerie des Bagdadkiosk sieht man auf einen einsamen Garten hinunter,
in dem die sogenannte Gotensäule steht, die wahrscheinlich Theodosius der Große
zum Andenken an den Sieg über die Goten bei Risch aufstellen ließ und als
das älteste Denkmal Konstantinopels gilt.


Im alten Serail von Stambul

lose Dinge sich finden, wie Musikdosen oder Standuhren, die einem die Illusion,
im Märchenlande zu sein, gründlich zerstören können.

Besonders interessant sind die historisch denkwürdigen Stücke dieses
Schatzes, wie z. B. ein massiv goldener Thron, der ganz mit Edelsteinen
und Perlen übersät ist, das Beutestück Selims des Ersten, das er 1514
aus einem Krieg gegen Persien heimbrachte, serner Harnische und Waffenstücke
berühmter Sultane, und nicht zu vergessen die Staatsgewänder aller Herrscher,
von Muhammed dem Zweiten bis zu Mahmud dem Zweiten, aus den kost¬
barsten Brokat- und Seidenstoffen gefertigt, jedes mit Gürtel, Dolch und
diamantner Aigrette.

Der dem Schatzhaus gegenüberliegende „Saal des- heiligen Gewandes"
wird dem Besucher des Serail nicht geöffnet. Er birgt die größten Heiligtümer
des Islam: einen Mantel des Propheten, das heilige Banner, seinen Bart und
einen Zahn. Einmal im Jahr, am fünfzehnten Tag des Fastenmonats Ramasan,
kommt der Sultan nach dem alten Serai, um den heiligen Mantel zu küssen,
eine Handlung, die mit großer Feierlichkeit vor sich geht.

Wer das Schatzhaus verläßt, folgt einem der führenden Beamten durch
schöne Gärten mit kühlenden Fontänen nach einem von Abd-ni-Medschid im
modernen Stil erbauten Marmorkiosk, von dessen Terrasse die großartigste
Rur.dsicht sich auftut: Zu Füßen drei gewaltige Meeresstraßen, die Marmara,
der Bosporus und das Goldene Horn, auf welchen die großen Schiffe wie
winziges Spielzeug sich hin- und herbewegen, in der Ferne die bunten Küsten
von Asien und am Horizont des Olumps weiße Firnen. Was ist schließlich
alles Menschenwerk gegen solche Wunder? Und wenn es selbst der Bagdad¬
kiosk wäre!

Dieses schönste Schmuckstück des Serail liegt, von den übrigen Gebäuden
getrennt, in einer lauschigen Ecke des großen Gartens. Zu dem kleinen in
Form eines Achtecks gebauten Lustschloß führen breite Marmorstufen empor.
Murad der Vierte ließ es zum Andenken an den Feldzug gegen Bagdad
errichten und schuf damit ein Meisterstück orientalischer Kunst.

Der durch eine Galerie geschützte Kuppelbau enthält im Innern einen
großen Raum, dessen gedämpftes Licht durch die bunten Scheiben der hohen
Fenster hereinflutet. Die Kuppel ist mit Malereien — auf Gazellenhaut auf¬
getragen — bedeckt. Alle Wände leuchten im Schmuck herrlicher Fayencen,
Türen und Nischen bestehen aus kostbarem Holz mit Perlmutter- und Elfenbein-
cinlagen, und den Boden decken schwellende Teppiche. Im verschwiegensten
Winkel dieses Saales müßte man auf einem Divan hocken und den Erzählungen
aus Tausend und einer Nacht lauschen, dann würden sie erst lebenl — Von
der Galerie des Bagdadkiosk sieht man auf einen einsamen Garten hinunter,
in dem die sogenannte Gotensäule steht, die wahrscheinlich Theodosius der Große
zum Andenken an den Sieg über die Goten bei Risch aufstellen ließ und als
das älteste Denkmal Konstantinopels gilt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/148>, abgerufen am 02.07.2024.