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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Im alte" Serail von Stambul

Palastbeamte kommen und suchen sie zu beruhigen; umsonst. Es werden Säcke
voll goldener Münzen in den Hof heruntergeschüttet; auch das ist vergebens.
Das ganze Heiligtum des Serail wird lebendig. Erschreckte Frauen mit bleichen
Gesichtern zeigen sich hinter den holzvergitterten Fenstern des Harems, und zuletzt
tritt der Sultan selbst, umgeben von seinen Eunuchen, hinter einer Tür hervor.
Er bittet und fleht um das Leben des Unglücklichen; Hohnrufe schallen ihm
entgegen. Und als die Meute Anstalten macht, zum Sturm vorzugehen, knickt
er gebrochen zusammen. Das Opfer wird ausgeliefert und auf der Stelle in
Stücke gerissen. So hat einst Selim der Dritte den ganzen Kreis seiner Minister
diesen Bestien preisgegeben. -- Bei großen Palastrevolutionen drangen die
Janitscharen bis in die Gemächer des Harems vor, alles niedermachend, was
sich ihnen in den Weg stellte. Hier töteten sie die Kinder vor den Augen ihrer
Mütter, zerrten die sich mit Zähnen und Nägeln wehrenden Frauen auf den
Hof hinaus und erdrosselien sie dort. -- Sultane haben sie ein- und abgesetzt,
und erst im Jahre 1826 ist es Mahmud dem Zweiten gelungen, durch ein
furchtbares Massakre diesen Schrecken der Padischahs zu vernichten.

Dem Besucher des innersten Serailhofes fällt die Regellosigkeit in der
Anordnung der Gebäude auf; nirgends ist auf eine harmonische Gruppierung
derselben Rücksicht genommen worden. Neben reizenden Kiosks stehen plumpe
Steinbauten. Man sieht deutlich, daß hier nicht nach einem bestimmten Plan,
sondern nach jeweiliger Laune geschaffen wurde. Zum Paradies wurden diese
Stätten erst durch die wunderschönen Gärten, die mit ihren breitkronigen Pinien-
und dunkelgrünen Orangenhainen sich in Terrassen zum Meer hinunterzogen.

Vom Tor der Glückseligkeit kommend, wird man zunächst in den Thronsaal
(Ars-Odassi) geführt, einem kleinen quadratischen Gebäude mit breitem ringsum
laufenden Säulengang, das den Saal enthält, in dem der Padischah, auf einem
divanartigen Thron zwischen weichen Kissen liegend, die fremden Gesandten
und Würdenträger empfing. Der Raum hat einen prachtvollen, mit goldenen
Arabesken geschmückten Plafond, an den Wänden leuchten herrliche Fayencen.
Hier war es, wo die Leichen der neunzehn Brüder Muhammeds des Tritten
vor den Thron gelegt wurden, als 1595 die Kanonen den Tod ihres Vaters
verkündeten und den neuen Sultan zur Regierung riefen.

Neben dem Thronsaal steht die Bibliothek des Serail, die mehr als drei¬
tausend arabische, persische und türkische Handschriften enthält. Auch zahlreiche
alte griechische und lateinische Manuskripte sollen hier zu finden sein.

Eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Serail ist das kaiserliche Schatzhaus,
in dessen drei, übrigens recht ärmlichen und schlecht beleuchteten Sälen, alle
Kostbarkeiten von vier Jahrhunderten aufgestellt sind, die als Kriegsbeute,
Geschenk oder als schuldiger Tribut nach Konstantinopel wanderten. Was hier
an edlen Steinen, kostbaren Metallen und wertvollen Stoffen aller Art zusammen¬
getragen worden ist, übertrifft die kühnsten Vorstellungen. Es ist nur schade,
daß hin und wieder zwischen Gegenständen von unschätzbarem Wert ganz wert-


Im alte» Serail von Stambul

Palastbeamte kommen und suchen sie zu beruhigen; umsonst. Es werden Säcke
voll goldener Münzen in den Hof heruntergeschüttet; auch das ist vergebens.
Das ganze Heiligtum des Serail wird lebendig. Erschreckte Frauen mit bleichen
Gesichtern zeigen sich hinter den holzvergitterten Fenstern des Harems, und zuletzt
tritt der Sultan selbst, umgeben von seinen Eunuchen, hinter einer Tür hervor.
Er bittet und fleht um das Leben des Unglücklichen; Hohnrufe schallen ihm
entgegen. Und als die Meute Anstalten macht, zum Sturm vorzugehen, knickt
er gebrochen zusammen. Das Opfer wird ausgeliefert und auf der Stelle in
Stücke gerissen. So hat einst Selim der Dritte den ganzen Kreis seiner Minister
diesen Bestien preisgegeben. — Bei großen Palastrevolutionen drangen die
Janitscharen bis in die Gemächer des Harems vor, alles niedermachend, was
sich ihnen in den Weg stellte. Hier töteten sie die Kinder vor den Augen ihrer
Mütter, zerrten die sich mit Zähnen und Nägeln wehrenden Frauen auf den
Hof hinaus und erdrosselien sie dort. — Sultane haben sie ein- und abgesetzt,
und erst im Jahre 1826 ist es Mahmud dem Zweiten gelungen, durch ein
furchtbares Massakre diesen Schrecken der Padischahs zu vernichten.

Dem Besucher des innersten Serailhofes fällt die Regellosigkeit in der
Anordnung der Gebäude auf; nirgends ist auf eine harmonische Gruppierung
derselben Rücksicht genommen worden. Neben reizenden Kiosks stehen plumpe
Steinbauten. Man sieht deutlich, daß hier nicht nach einem bestimmten Plan,
sondern nach jeweiliger Laune geschaffen wurde. Zum Paradies wurden diese
Stätten erst durch die wunderschönen Gärten, die mit ihren breitkronigen Pinien-
und dunkelgrünen Orangenhainen sich in Terrassen zum Meer hinunterzogen.

Vom Tor der Glückseligkeit kommend, wird man zunächst in den Thronsaal
(Ars-Odassi) geführt, einem kleinen quadratischen Gebäude mit breitem ringsum
laufenden Säulengang, das den Saal enthält, in dem der Padischah, auf einem
divanartigen Thron zwischen weichen Kissen liegend, die fremden Gesandten
und Würdenträger empfing. Der Raum hat einen prachtvollen, mit goldenen
Arabesken geschmückten Plafond, an den Wänden leuchten herrliche Fayencen.
Hier war es, wo die Leichen der neunzehn Brüder Muhammeds des Tritten
vor den Thron gelegt wurden, als 1595 die Kanonen den Tod ihres Vaters
verkündeten und den neuen Sultan zur Regierung riefen.

Neben dem Thronsaal steht die Bibliothek des Serail, die mehr als drei¬
tausend arabische, persische und türkische Handschriften enthält. Auch zahlreiche
alte griechische und lateinische Manuskripte sollen hier zu finden sein.

Eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Serail ist das kaiserliche Schatzhaus,
in dessen drei, übrigens recht ärmlichen und schlecht beleuchteten Sälen, alle
Kostbarkeiten von vier Jahrhunderten aufgestellt sind, die als Kriegsbeute,
Geschenk oder als schuldiger Tribut nach Konstantinopel wanderten. Was hier
an edlen Steinen, kostbaren Metallen und wertvollen Stoffen aller Art zusammen¬
getragen worden ist, übertrifft die kühnsten Vorstellungen. Es ist nur schade,
daß hin und wieder zwischen Gegenständen von unschätzbarem Wert ganz wert-


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[0147] Im alte» Serail von Stambul Palastbeamte kommen und suchen sie zu beruhigen; umsonst. Es werden Säcke voll goldener Münzen in den Hof heruntergeschüttet; auch das ist vergebens. Das ganze Heiligtum des Serail wird lebendig. Erschreckte Frauen mit bleichen Gesichtern zeigen sich hinter den holzvergitterten Fenstern des Harems, und zuletzt tritt der Sultan selbst, umgeben von seinen Eunuchen, hinter einer Tür hervor. Er bittet und fleht um das Leben des Unglücklichen; Hohnrufe schallen ihm entgegen. Und als die Meute Anstalten macht, zum Sturm vorzugehen, knickt er gebrochen zusammen. Das Opfer wird ausgeliefert und auf der Stelle in Stücke gerissen. So hat einst Selim der Dritte den ganzen Kreis seiner Minister diesen Bestien preisgegeben. — Bei großen Palastrevolutionen drangen die Janitscharen bis in die Gemächer des Harems vor, alles niedermachend, was sich ihnen in den Weg stellte. Hier töteten sie die Kinder vor den Augen ihrer Mütter, zerrten die sich mit Zähnen und Nägeln wehrenden Frauen auf den Hof hinaus und erdrosselien sie dort. — Sultane haben sie ein- und abgesetzt, und erst im Jahre 1826 ist es Mahmud dem Zweiten gelungen, durch ein furchtbares Massakre diesen Schrecken der Padischahs zu vernichten. Dem Besucher des innersten Serailhofes fällt die Regellosigkeit in der Anordnung der Gebäude auf; nirgends ist auf eine harmonische Gruppierung derselben Rücksicht genommen worden. Neben reizenden Kiosks stehen plumpe Steinbauten. Man sieht deutlich, daß hier nicht nach einem bestimmten Plan, sondern nach jeweiliger Laune geschaffen wurde. Zum Paradies wurden diese Stätten erst durch die wunderschönen Gärten, die mit ihren breitkronigen Pinien- und dunkelgrünen Orangenhainen sich in Terrassen zum Meer hinunterzogen. Vom Tor der Glückseligkeit kommend, wird man zunächst in den Thronsaal (Ars-Odassi) geführt, einem kleinen quadratischen Gebäude mit breitem ringsum laufenden Säulengang, das den Saal enthält, in dem der Padischah, auf einem divanartigen Thron zwischen weichen Kissen liegend, die fremden Gesandten und Würdenträger empfing. Der Raum hat einen prachtvollen, mit goldenen Arabesken geschmückten Plafond, an den Wänden leuchten herrliche Fayencen. Hier war es, wo die Leichen der neunzehn Brüder Muhammeds des Tritten vor den Thron gelegt wurden, als 1595 die Kanonen den Tod ihres Vaters verkündeten und den neuen Sultan zur Regierung riefen. Neben dem Thronsaal steht die Bibliothek des Serail, die mehr als drei¬ tausend arabische, persische und türkische Handschriften enthält. Auch zahlreiche alte griechische und lateinische Manuskripte sollen hier zu finden sein. Eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Serail ist das kaiserliche Schatzhaus, in dessen drei, übrigens recht ärmlichen und schlecht beleuchteten Sälen, alle Kostbarkeiten von vier Jahrhunderten aufgestellt sind, die als Kriegsbeute, Geschenk oder als schuldiger Tribut nach Konstantinopel wanderten. Was hier an edlen Steinen, kostbaren Metallen und wertvollen Stoffen aller Art zusammen¬ getragen worden ist, übertrifft die kühnsten Vorstellungen. Es ist nur schade, daß hin und wieder zwischen Gegenständen von unschätzbarem Wert ganz wert-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/147>, abgerufen am 22.12.2024.