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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Serail von Stcimbul

einströmt. An den weißen Steinen halbverfallener Brunnen rankt wilder Efeu,
und im Dämmerlicht dieses verwunschenen Gartens wiegen sich schillernde Käfer
und bunte Schmetterlinge.

Ringsum laufen Arkaden, von weißen Säulen getragen; dahinter stehen
trauernd alte Palastgebäude, die mit ihren vergoldeten Kuppeln und dem reich
geschnitzten Holzwerk ihrer Wände die Erinnerung an ihre große Zeit festhalten
möchten. Das bedeutendste davon ist die Kubbe Ally, in der jahrhundertelang
der türkische Ministerrat seine Sitzungen abhielt. Heute ist der wundervolle
Bau ein Bild trostlosen Verfalles, vor dem selbst der spitze weiße Turm darüber,
welcher schon von weitem sichtbar ist und lebhaft an einen deutschen Kirchturm
erinnert, sich nicht retten kann.

Fünfmal in der Woche tagte hier der Rat der Minister unter dem Vorsitz
des Großwesirs. Den weißen Turban auf dem Kopf und mit gleichmütigen
Gesichtern saßen diese Großen da und berieten mit tonloser Stimme über das
Wohl und Wehe des Reiches. Ein Zug von Furcht ging dann wohl über die
Gesichter, wenn oben am goldverzierten Fensterchen in der Nähe des Großwesirs
geklopft wurde und der oft anwesende, aber stets unsichtbare Sultan seinem
Mißfallen über irgendeine getroffene Entscheidung Ausdruck verlieh. Was würde
der nächste Tag diesen vom Schicksal verwöhnten Machthabern bringen?

In den übrigen Gebäuden des zweiten Serailhofes wa'- die kaiserliche Küche
untergebracht, ferner eine Werkstatt, wo die kupfernen Kessel verzinnt wurden,
eine Seifensiederer für parfümierte Seifen, eine besondere Küche für die Her¬
stellung von Süßigkeiten, Pferdeställe und Wohnungen für die Diener. Aus
der Küche mußte die über fünf! ausend Köpfe zählende Familie des Serail täglich
gespeist weiden, und bei besonderen Gelegenheiten, wie in den Nächten des
Ramasan, kamen zwölftausend hungrige Janitscharen dazu.

Wer an einem stillen Juninachmittag hier im Schatten der Platanen sitzt
und in die traumhafte Einsamkeit des Hofes hineinblickt, zu dem das Lärmen
der Weltstadt nicht hinausbringt, wird kaum glauben können, daß dies der Ort
ist, von dem aus die Aufrufe zu "heiligen Kriegen" ergingen. Ein runder Stein
bezeichnet die Stelle, an der das Banner des Propheten beim Ausbruch eines
Krieges gegen eine christliche Macht unter großen Zeremonien aufgepflanzt wurde.
Sie liegt unweit des dritten großen Tores, des Bab°i° sendet (Tor der Glück¬
seligkeit), das den Eingang zum innersten Serail bildet.

Noch andere große Schauspiele, aber von erschütternder Tragik, haben sich
an dieser Pforte abgespielt; das sind die Revolten der Janitscharen. Die Leib¬
garde des Sultans ist wieder einmal unzufrieden. Sie verlangt Absetzung und
Tod eines Wesirs, den der Padischah nicht opfern will. Da alle Petitionen
nichts helfen, rotten sich in finsterer Nacht ein paar hundert Soldaten zusammen,
und beim Schein ihrer Fackeln stürmen sie durch die Serailhöfe nach dem Tor
der Glückseligkeit hinunter, von dem die Wache haltenden weißen Eunuchen
erschreckt zurückweichen. In ungestümer Wut tragen sie ihre Forderungen vor.


Im alten Serail von Stcimbul

einströmt. An den weißen Steinen halbverfallener Brunnen rankt wilder Efeu,
und im Dämmerlicht dieses verwunschenen Gartens wiegen sich schillernde Käfer
und bunte Schmetterlinge.

Ringsum laufen Arkaden, von weißen Säulen getragen; dahinter stehen
trauernd alte Palastgebäude, die mit ihren vergoldeten Kuppeln und dem reich
geschnitzten Holzwerk ihrer Wände die Erinnerung an ihre große Zeit festhalten
möchten. Das bedeutendste davon ist die Kubbe Ally, in der jahrhundertelang
der türkische Ministerrat seine Sitzungen abhielt. Heute ist der wundervolle
Bau ein Bild trostlosen Verfalles, vor dem selbst der spitze weiße Turm darüber,
welcher schon von weitem sichtbar ist und lebhaft an einen deutschen Kirchturm
erinnert, sich nicht retten kann.

Fünfmal in der Woche tagte hier der Rat der Minister unter dem Vorsitz
des Großwesirs. Den weißen Turban auf dem Kopf und mit gleichmütigen
Gesichtern saßen diese Großen da und berieten mit tonloser Stimme über das
Wohl und Wehe des Reiches. Ein Zug von Furcht ging dann wohl über die
Gesichter, wenn oben am goldverzierten Fensterchen in der Nähe des Großwesirs
geklopft wurde und der oft anwesende, aber stets unsichtbare Sultan seinem
Mißfallen über irgendeine getroffene Entscheidung Ausdruck verlieh. Was würde
der nächste Tag diesen vom Schicksal verwöhnten Machthabern bringen?

In den übrigen Gebäuden des zweiten Serailhofes wa'- die kaiserliche Küche
untergebracht, ferner eine Werkstatt, wo die kupfernen Kessel verzinnt wurden,
eine Seifensiederer für parfümierte Seifen, eine besondere Küche für die Her¬
stellung von Süßigkeiten, Pferdeställe und Wohnungen für die Diener. Aus
der Küche mußte die über fünf! ausend Köpfe zählende Familie des Serail täglich
gespeist weiden, und bei besonderen Gelegenheiten, wie in den Nächten des
Ramasan, kamen zwölftausend hungrige Janitscharen dazu.

Wer an einem stillen Juninachmittag hier im Schatten der Platanen sitzt
und in die traumhafte Einsamkeit des Hofes hineinblickt, zu dem das Lärmen
der Weltstadt nicht hinausbringt, wird kaum glauben können, daß dies der Ort
ist, von dem aus die Aufrufe zu „heiligen Kriegen" ergingen. Ein runder Stein
bezeichnet die Stelle, an der das Banner des Propheten beim Ausbruch eines
Krieges gegen eine christliche Macht unter großen Zeremonien aufgepflanzt wurde.
Sie liegt unweit des dritten großen Tores, des Bab°i° sendet (Tor der Glück¬
seligkeit), das den Eingang zum innersten Serail bildet.

Noch andere große Schauspiele, aber von erschütternder Tragik, haben sich
an dieser Pforte abgespielt; das sind die Revolten der Janitscharen. Die Leib¬
garde des Sultans ist wieder einmal unzufrieden. Sie verlangt Absetzung und
Tod eines Wesirs, den der Padischah nicht opfern will. Da alle Petitionen
nichts helfen, rotten sich in finsterer Nacht ein paar hundert Soldaten zusammen,
und beim Schein ihrer Fackeln stürmen sie durch die Serailhöfe nach dem Tor
der Glückseligkeit hinunter, von dem die Wache haltenden weißen Eunuchen
erschreckt zurückweichen. In ungestümer Wut tragen sie ihre Forderungen vor.


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[0146] Im alten Serail von Stcimbul einströmt. An den weißen Steinen halbverfallener Brunnen rankt wilder Efeu, und im Dämmerlicht dieses verwunschenen Gartens wiegen sich schillernde Käfer und bunte Schmetterlinge. Ringsum laufen Arkaden, von weißen Säulen getragen; dahinter stehen trauernd alte Palastgebäude, die mit ihren vergoldeten Kuppeln und dem reich geschnitzten Holzwerk ihrer Wände die Erinnerung an ihre große Zeit festhalten möchten. Das bedeutendste davon ist die Kubbe Ally, in der jahrhundertelang der türkische Ministerrat seine Sitzungen abhielt. Heute ist der wundervolle Bau ein Bild trostlosen Verfalles, vor dem selbst der spitze weiße Turm darüber, welcher schon von weitem sichtbar ist und lebhaft an einen deutschen Kirchturm erinnert, sich nicht retten kann. Fünfmal in der Woche tagte hier der Rat der Minister unter dem Vorsitz des Großwesirs. Den weißen Turban auf dem Kopf und mit gleichmütigen Gesichtern saßen diese Großen da und berieten mit tonloser Stimme über das Wohl und Wehe des Reiches. Ein Zug von Furcht ging dann wohl über die Gesichter, wenn oben am goldverzierten Fensterchen in der Nähe des Großwesirs geklopft wurde und der oft anwesende, aber stets unsichtbare Sultan seinem Mißfallen über irgendeine getroffene Entscheidung Ausdruck verlieh. Was würde der nächste Tag diesen vom Schicksal verwöhnten Machthabern bringen? In den übrigen Gebäuden des zweiten Serailhofes wa'- die kaiserliche Küche untergebracht, ferner eine Werkstatt, wo die kupfernen Kessel verzinnt wurden, eine Seifensiederer für parfümierte Seifen, eine besondere Küche für die Her¬ stellung von Süßigkeiten, Pferdeställe und Wohnungen für die Diener. Aus der Küche mußte die über fünf! ausend Köpfe zählende Familie des Serail täglich gespeist weiden, und bei besonderen Gelegenheiten, wie in den Nächten des Ramasan, kamen zwölftausend hungrige Janitscharen dazu. Wer an einem stillen Juninachmittag hier im Schatten der Platanen sitzt und in die traumhafte Einsamkeit des Hofes hineinblickt, zu dem das Lärmen der Weltstadt nicht hinausbringt, wird kaum glauben können, daß dies der Ort ist, von dem aus die Aufrufe zu „heiligen Kriegen" ergingen. Ein runder Stein bezeichnet die Stelle, an der das Banner des Propheten beim Ausbruch eines Krieges gegen eine christliche Macht unter großen Zeremonien aufgepflanzt wurde. Sie liegt unweit des dritten großen Tores, des Bab°i° sendet (Tor der Glück¬ seligkeit), das den Eingang zum innersten Serail bildet. Noch andere große Schauspiele, aber von erschütternder Tragik, haben sich an dieser Pforte abgespielt; das sind die Revolten der Janitscharen. Die Leib¬ garde des Sultans ist wieder einmal unzufrieden. Sie verlangt Absetzung und Tod eines Wesirs, den der Padischah nicht opfern will. Da alle Petitionen nichts helfen, rotten sich in finsterer Nacht ein paar hundert Soldaten zusammen, und beim Schein ihrer Fackeln stürmen sie durch die Serailhöfe nach dem Tor der Glückseligkeit hinunter, von dem die Wache haltenden weißen Eunuchen erschreckt zurückweichen. In ungestümer Wut tragen sie ihre Forderungen vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/146>, abgerufen am 04.07.2024.