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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Serail von Stambul

mit Grausen die Zeichen seiner Macht, und mancher junge Emporkömmling mag
nachdenklich weitergegangen sein.

Der Hof macht einen verwahrlosten Eindruck. Links steht die altchristliche
Jrenenkirche, die jetzt als türkisches Waffenmuseum dient, mit schönen Stein¬
sarkophagen davor, und nicht weit davon sieht man die denkwürdige Janitscharen-
platane, einen absterbenden Baum, unter dem die Leibgarde der Sultane, diese
selbstgezüchtete Geißel, vor einer Empörung sich zusammenzurollen pflegte.

Was für ein Treiben muß tagsüber hier im ersten Hof des Serail geherrscht
haben! Am Morgen, wenn die glockenhellen Stimmen der zweiunddreißig
Muezzins von allen Minaretts ringsum den nahenden Tag verkündet hatten,
zog die Leibwache vorbei, und bald darauf kam das Leben von draußen durch
die Tore hereingeströmt. Beamte aller Art erschienen und eilten vorüber: der
erste Ulema, dem die religiöse Pflege seines großen Herrn oblag, der erste
Leibarzt, der sich nach dessen Gesundheit erkundigen mußte, Sekretäre, Minister,
Gerichtspersonen, Verwalter von Hofgütern, Offiziere, Gelehrte, die im Palast
unterrichteten, und nicht zu vergessen jeden zehnten Tag der Haarscherer Seiner
Majestät. Uniformen, Staatsgewänder in allen Farben belebten den Platz,
dazwischen zogen in langen Reihen Lasttiere nach den Schatzkammern und
Warenspeichern, die die Einnahmen ganzer Provinzen auf ihrem Rücken trugen.
Zu Mittag erschien ein Heer von Köchen und Küchenjungen, um den im Schatten
der Bäume gelagerten Janitscharen ganze Berge von Pillav (eine Art Reis)
und gebratenem Fleisch vorzusetzen. Des Nachmittags fanden die Auffahrten
der fremden Gesandten statt.

Nur zu Fuß durften diese hohen Herren den zweiten Hof des Serail
betreten. Bei dem Bab-el-selam (Tor der Gesundheit), das sehr gut erhalten
ist und von zwei spitzen Türmen flankiert wird, wurden sie in einen kleinen
Raum geführt, in dem die vom Sultan übersandten Gewänder angelegt werden
mußten, und ohne die niemand zur Audienz zugelassen wurde. Das Tor war
stets scharf bewacht und diente zugleich als Menschenfalle für alle in Ungnade
gefallenen Staatsbeamten. Ein solches unglückliches Opfer wurde unter irgend¬
einem Vorwande nach dem Palast gerufen und erhielt eine leichte Verwarnung,
die wie eine dunkle Wolke über den Himmel seines Glückes zog. Auf seinem
Wege zurück unter dem Bab-el-selam angekommen, schloß sich plötzlich eine Tür
unmittelbar hinter ihm und die vordere öffnete sich nicht. So war der Ärmste
gefangen und wurde sofort vom Henker gerichtet, der dann auf einem nach dem
Serail führenden geheimen Gang verschwand, um zu melden, daß der Befehl
des Padischah vollzogen sei.

Nicht ohne Grauen betritt der Fremde, den von einem Palastbeamten
ausgestellten Erlaubnisbrief in der Hand, diesen Ort des Schreckens, und vor
ihm liegt der zweite Hof des Sultanspalastes. Alleen von uralten schwarzen
Zypressen durchziehen den weiten Raum, hundertjährige Platanen und Linden
wölben ein breites Dach darüber, durch welches gedämpft das Sonnenlicht


Im alten Serail von Stambul

mit Grausen die Zeichen seiner Macht, und mancher junge Emporkömmling mag
nachdenklich weitergegangen sein.

Der Hof macht einen verwahrlosten Eindruck. Links steht die altchristliche
Jrenenkirche, die jetzt als türkisches Waffenmuseum dient, mit schönen Stein¬
sarkophagen davor, und nicht weit davon sieht man die denkwürdige Janitscharen-
platane, einen absterbenden Baum, unter dem die Leibgarde der Sultane, diese
selbstgezüchtete Geißel, vor einer Empörung sich zusammenzurollen pflegte.

Was für ein Treiben muß tagsüber hier im ersten Hof des Serail geherrscht
haben! Am Morgen, wenn die glockenhellen Stimmen der zweiunddreißig
Muezzins von allen Minaretts ringsum den nahenden Tag verkündet hatten,
zog die Leibwache vorbei, und bald darauf kam das Leben von draußen durch
die Tore hereingeströmt. Beamte aller Art erschienen und eilten vorüber: der
erste Ulema, dem die religiöse Pflege seines großen Herrn oblag, der erste
Leibarzt, der sich nach dessen Gesundheit erkundigen mußte, Sekretäre, Minister,
Gerichtspersonen, Verwalter von Hofgütern, Offiziere, Gelehrte, die im Palast
unterrichteten, und nicht zu vergessen jeden zehnten Tag der Haarscherer Seiner
Majestät. Uniformen, Staatsgewänder in allen Farben belebten den Platz,
dazwischen zogen in langen Reihen Lasttiere nach den Schatzkammern und
Warenspeichern, die die Einnahmen ganzer Provinzen auf ihrem Rücken trugen.
Zu Mittag erschien ein Heer von Köchen und Küchenjungen, um den im Schatten
der Bäume gelagerten Janitscharen ganze Berge von Pillav (eine Art Reis)
und gebratenem Fleisch vorzusetzen. Des Nachmittags fanden die Auffahrten
der fremden Gesandten statt.

Nur zu Fuß durften diese hohen Herren den zweiten Hof des Serail
betreten. Bei dem Bab-el-selam (Tor der Gesundheit), das sehr gut erhalten
ist und von zwei spitzen Türmen flankiert wird, wurden sie in einen kleinen
Raum geführt, in dem die vom Sultan übersandten Gewänder angelegt werden
mußten, und ohne die niemand zur Audienz zugelassen wurde. Das Tor war
stets scharf bewacht und diente zugleich als Menschenfalle für alle in Ungnade
gefallenen Staatsbeamten. Ein solches unglückliches Opfer wurde unter irgend¬
einem Vorwande nach dem Palast gerufen und erhielt eine leichte Verwarnung,
die wie eine dunkle Wolke über den Himmel seines Glückes zog. Auf seinem
Wege zurück unter dem Bab-el-selam angekommen, schloß sich plötzlich eine Tür
unmittelbar hinter ihm und die vordere öffnete sich nicht. So war der Ärmste
gefangen und wurde sofort vom Henker gerichtet, der dann auf einem nach dem
Serail führenden geheimen Gang verschwand, um zu melden, daß der Befehl
des Padischah vollzogen sei.

Nicht ohne Grauen betritt der Fremde, den von einem Palastbeamten
ausgestellten Erlaubnisbrief in der Hand, diesen Ort des Schreckens, und vor
ihm liegt der zweite Hof des Sultanspalastes. Alleen von uralten schwarzen
Zypressen durchziehen den weiten Raum, hundertjährige Platanen und Linden
wölben ein breites Dach darüber, durch welches gedämpft das Sonnenlicht


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[0145] Im alten Serail von Stambul mit Grausen die Zeichen seiner Macht, und mancher junge Emporkömmling mag nachdenklich weitergegangen sein. Der Hof macht einen verwahrlosten Eindruck. Links steht die altchristliche Jrenenkirche, die jetzt als türkisches Waffenmuseum dient, mit schönen Stein¬ sarkophagen davor, und nicht weit davon sieht man die denkwürdige Janitscharen- platane, einen absterbenden Baum, unter dem die Leibgarde der Sultane, diese selbstgezüchtete Geißel, vor einer Empörung sich zusammenzurollen pflegte. Was für ein Treiben muß tagsüber hier im ersten Hof des Serail geherrscht haben! Am Morgen, wenn die glockenhellen Stimmen der zweiunddreißig Muezzins von allen Minaretts ringsum den nahenden Tag verkündet hatten, zog die Leibwache vorbei, und bald darauf kam das Leben von draußen durch die Tore hereingeströmt. Beamte aller Art erschienen und eilten vorüber: der erste Ulema, dem die religiöse Pflege seines großen Herrn oblag, der erste Leibarzt, der sich nach dessen Gesundheit erkundigen mußte, Sekretäre, Minister, Gerichtspersonen, Verwalter von Hofgütern, Offiziere, Gelehrte, die im Palast unterrichteten, und nicht zu vergessen jeden zehnten Tag der Haarscherer Seiner Majestät. Uniformen, Staatsgewänder in allen Farben belebten den Platz, dazwischen zogen in langen Reihen Lasttiere nach den Schatzkammern und Warenspeichern, die die Einnahmen ganzer Provinzen auf ihrem Rücken trugen. Zu Mittag erschien ein Heer von Köchen und Küchenjungen, um den im Schatten der Bäume gelagerten Janitscharen ganze Berge von Pillav (eine Art Reis) und gebratenem Fleisch vorzusetzen. Des Nachmittags fanden die Auffahrten der fremden Gesandten statt. Nur zu Fuß durften diese hohen Herren den zweiten Hof des Serail betreten. Bei dem Bab-el-selam (Tor der Gesundheit), das sehr gut erhalten ist und von zwei spitzen Türmen flankiert wird, wurden sie in einen kleinen Raum geführt, in dem die vom Sultan übersandten Gewänder angelegt werden mußten, und ohne die niemand zur Audienz zugelassen wurde. Das Tor war stets scharf bewacht und diente zugleich als Menschenfalle für alle in Ungnade gefallenen Staatsbeamten. Ein solches unglückliches Opfer wurde unter irgend¬ einem Vorwande nach dem Palast gerufen und erhielt eine leichte Verwarnung, die wie eine dunkle Wolke über den Himmel seines Glückes zog. Auf seinem Wege zurück unter dem Bab-el-selam angekommen, schloß sich plötzlich eine Tür unmittelbar hinter ihm und die vordere öffnete sich nicht. So war der Ärmste gefangen und wurde sofort vom Henker gerichtet, der dann auf einem nach dem Serail führenden geheimen Gang verschwand, um zu melden, daß der Befehl des Padischah vollzogen sei. Nicht ohne Grauen betritt der Fremde, den von einem Palastbeamten ausgestellten Erlaubnisbrief in der Hand, diesen Ort des Schreckens, und vor ihm liegt der zweite Hof des Sultanspalastes. Alleen von uralten schwarzen Zypressen durchziehen den weiten Raum, hundertjährige Platanen und Linden wölben ein breites Dach darüber, durch welches gedämpft das Sonnenlicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/145>, abgerufen am 04.07.2024.