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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

durch Pflege und Entfaltung innerer Kräfte, und nicht mit der Schärfe des
Schwertes den Nachbarn abgerungen werden mußten. Und doch hat diese
glänzende Entwicklung unser nationales Dasein nicht sorgenfreier, selbstzufriedener
zu gestalten vermocht. Betrachten wir die Ereignisse der letzten Jahre, so will
es scheinen, daß gerade mit der Eigenart des modernen wirtschaftlichen Auf¬
schwungs die Gefahr äußerer Reibungen und Konflikte verbunden ist. Und
auch im inneren Leben der Nation ist nicht allenthalben Grund zur Selbst¬
zufriedenheit vorhanden. Eine Fülle schwieriger Aufgaben der Gesetzgebung
und Verwaltung umdrängt uns, wirtschaftliche Fragen zum Teil ganz neuer
und eigenartiger Natur heischen ihre Lösung; Probleme auf dem Gebiete der
Sozialpolitik, des Finanzwesens, der inneren Kolonisation, der Bodenpolitik und
der Wohnungsfrage erheben sich, deren Zusammenhang mit der neuzeitlichen
Gestaltung des Wirtschaftslebens ohne weiteres ersichtlich ist. Und die gärende
Zeit gebiert auch Erscheinungen, die sich als unerwünschte und gefährliche
Folgewirkungen dieser wirtschaftlichen Verschiebungen darstellen: den wachsenden
Materialismus und Egoismus, die Erwerbshast, den Luxus und die steigende
Macht der Plutokratie, die Veräußerlich ung und Verflachung des Lebens in
allen Beoölkerungsklassen. So drängen sich wirtschaftliche Fragen auf allen
Gebieten des nationalen Lebens in den Vordergrund. Es ist eine Entwicklung,
die nicht künstlich großgezogen ist und auch nicht nach Belieben eingeschränkt
oder zurückgebannt werden kann, sondern eine solche, die im tiefsten Wesen der
Zeit wurzelt und sich mit elementarer Macht Bahn bricht. Fragen aber, die
derart das innerste Lebensinteresse der Nation berühren, bedürfen einer auf¬
merksamen Würdigung von feiten aller derjenigen, die sich bewußt sind, daß
die Arbeit wie das Tun und Lassen jedes einzelnen sich zusammengefaßt in dem
Leben der Nation widerspiegelt und die daher die Notwendigkeit erkennen, das
wilde Gewässer so zu lenken und zu regeln, daß es keinen Schaden anstiften,
sondern nur Segen verbreiten kann.

Es sind also die Fragen der Volkswirtschaftspolitik, die gegenwärtig und
auf absehbare Zeit das Interesse der Nation beherrschen. Diese Fragen sind
großenteils außerordentlich schwierig und ungeklärt; ihr Zusammenhang oft
dunkel und zweifelhaft. Daher ist auch ein Eingreifen des Staates im Wege
der Gesetzgebung und Verwaltung erschwert und in vielen Fällen unmöglich.
Häufig aber vermag freiwillig zweckbewußtes Handeln den Strom in das richtige
Bett zu leiten. Doch ist die notwendige Voraussetzung, daß das Verständnis
und der Zusammenhang wirtschaftlicher Vorgänge ein Gemeingut aller Ge¬
bildeten werde.

Woher kommt nun der übermächtige Einfluß, den das Wirtschaftsleben auf
die Geschicke der Nation ausübt, ein Einfluß, der stark genug ist, sogar den
Volkscharakter in einer kurzen Spanne Zeit umzuwandeln und aus dem Deutschen
des zwanzigsten Jahrhunderts einen Typus zu formen, der mit dem Bilde seiner
Ahnen kaum eine Ähnlichkeit mehr aufweist?


Politik und Wirtschaft

durch Pflege und Entfaltung innerer Kräfte, und nicht mit der Schärfe des
Schwertes den Nachbarn abgerungen werden mußten. Und doch hat diese
glänzende Entwicklung unser nationales Dasein nicht sorgenfreier, selbstzufriedener
zu gestalten vermocht. Betrachten wir die Ereignisse der letzten Jahre, so will
es scheinen, daß gerade mit der Eigenart des modernen wirtschaftlichen Auf¬
schwungs die Gefahr äußerer Reibungen und Konflikte verbunden ist. Und
auch im inneren Leben der Nation ist nicht allenthalben Grund zur Selbst¬
zufriedenheit vorhanden. Eine Fülle schwieriger Aufgaben der Gesetzgebung
und Verwaltung umdrängt uns, wirtschaftliche Fragen zum Teil ganz neuer
und eigenartiger Natur heischen ihre Lösung; Probleme auf dem Gebiete der
Sozialpolitik, des Finanzwesens, der inneren Kolonisation, der Bodenpolitik und
der Wohnungsfrage erheben sich, deren Zusammenhang mit der neuzeitlichen
Gestaltung des Wirtschaftslebens ohne weiteres ersichtlich ist. Und die gärende
Zeit gebiert auch Erscheinungen, die sich als unerwünschte und gefährliche
Folgewirkungen dieser wirtschaftlichen Verschiebungen darstellen: den wachsenden
Materialismus und Egoismus, die Erwerbshast, den Luxus und die steigende
Macht der Plutokratie, die Veräußerlich ung und Verflachung des Lebens in
allen Beoölkerungsklassen. So drängen sich wirtschaftliche Fragen auf allen
Gebieten des nationalen Lebens in den Vordergrund. Es ist eine Entwicklung,
die nicht künstlich großgezogen ist und auch nicht nach Belieben eingeschränkt
oder zurückgebannt werden kann, sondern eine solche, die im tiefsten Wesen der
Zeit wurzelt und sich mit elementarer Macht Bahn bricht. Fragen aber, die
derart das innerste Lebensinteresse der Nation berühren, bedürfen einer auf¬
merksamen Würdigung von feiten aller derjenigen, die sich bewußt sind, daß
die Arbeit wie das Tun und Lassen jedes einzelnen sich zusammengefaßt in dem
Leben der Nation widerspiegelt und die daher die Notwendigkeit erkennen, das
wilde Gewässer so zu lenken und zu regeln, daß es keinen Schaden anstiften,
sondern nur Segen verbreiten kann.

Es sind also die Fragen der Volkswirtschaftspolitik, die gegenwärtig und
auf absehbare Zeit das Interesse der Nation beherrschen. Diese Fragen sind
großenteils außerordentlich schwierig und ungeklärt; ihr Zusammenhang oft
dunkel und zweifelhaft. Daher ist auch ein Eingreifen des Staates im Wege
der Gesetzgebung und Verwaltung erschwert und in vielen Fällen unmöglich.
Häufig aber vermag freiwillig zweckbewußtes Handeln den Strom in das richtige
Bett zu leiten. Doch ist die notwendige Voraussetzung, daß das Verständnis
und der Zusammenhang wirtschaftlicher Vorgänge ein Gemeingut aller Ge¬
bildeten werde.

Woher kommt nun der übermächtige Einfluß, den das Wirtschaftsleben auf
die Geschicke der Nation ausübt, ein Einfluß, der stark genug ist, sogar den
Volkscharakter in einer kurzen Spanne Zeit umzuwandeln und aus dem Deutschen
des zwanzigsten Jahrhunderts einen Typus zu formen, der mit dem Bilde seiner
Ahnen kaum eine Ähnlichkeit mehr aufweist?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/118>, abgerufen am 25.06.2024.