Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Politik und Wirtschaft Sind uns die Gründe dieser Erscheinung klar, so ist uns auch der Schlüssel Wirtschaftliche Verhältnisse haben freilich von jeher einen bedeutenden Ein¬ Technik und Verkehr haben im Laufe von einem halben Jahrhundert die Diese Massenproduktion ist also ein Arbeiten auf Vorrat, eine Produktion ' 8"
Politik und Wirtschaft Sind uns die Gründe dieser Erscheinung klar, so ist uns auch der Schlüssel Wirtschaftliche Verhältnisse haben freilich von jeher einen bedeutenden Ein¬ Technik und Verkehr haben im Laufe von einem halben Jahrhundert die Diese Massenproduktion ist also ein Arbeiten auf Vorrat, eine Produktion ' 8«
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324989"/> <fw type="header" place="top"> Politik und Wirtschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_366"> Sind uns die Gründe dieser Erscheinung klar, so ist uns auch der Schlüssel<lb/> zum Verständnis mancher Folgewirkung gegeben, die uns sonst rätselhaft anmutet.</p><lb/> <p xml:id="ID_367"> Wirtschaftliche Verhältnisse haben freilich von jeher einen bedeutenden Ein¬<lb/> fluß auf das Leben der Nationen ausgeübt. Es ist eine alte Erfahrung der<lb/> Geschichte, durch hundertfache Beispiele belegt, daß der wirtschaftliche Aufschwung<lb/> der politischen Macht folgt. Griechenland nach den Perserkriegen, Rom nach<lb/> dem panischen Kriege, Holland nach der Befreiung vom spanischen Joch, England<lb/> und schließlich Deutschland selbst sind Beispiele für die Wahrheit dieses Satzes.<lb/> Und umgekehrt hat oft der Verlust einer wirtschaftlichen Machtstellung auch den<lb/> der staatlichen nach sich gezogen: so hat die Entdeckung Amerikas und des<lb/> Seewegs nach Ostindien den Levantehandel brachgelegt und Venedig, die alte<lb/> Königin der Adrta, depossedrert, zugleich die Blüte des oberdeutschen Handels<lb/> und die Macht der Hansa geknickt und durch diese wirtschaftliche Zmückdrängung<lb/> den Verfall des Deutschen Reiches beschleunigt. Aber bei diesen welthistorischen<lb/> Vorgängen handelt es sich doch um andere Dinge als bei der wirtschaftlichen<lb/> Machtstellung moderner Staaten. Diese beruht nicht, wie in alter Zeit in erster<lb/> Linie auf dem Handel, sondern in erster Linie auf der Industrie, der sich der<lb/> Handel als ein notwendiges und bedeutendes, aber doch dienendes Glied an¬<lb/> schließt. Weltumspannend waren auch früher die Beziehungen des Handels,<lb/> aber eine Weltwirtschaft im heutigen Sinne war früheren Jahrhunderten un¬<lb/> bekannt. Sie ist eine Folge des modernen Produktionsprozesses.</p><lb/> <p xml:id="ID_368"> Technik und Verkehr haben im Laufe von einem halben Jahrhundert die<lb/> Grundlagen des Wirtschaftslebens vollständig verschoben. Maschine und Gro߬<lb/> betrieb haben diese tiefeingreifende Veränderung bewirkt. Die arbeitsparende<lb/> Maschine ermöglicht die Massenproduktion. Ihre Verwendung macht aber diese<lb/> Massenproduktion zugleich zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit, denn die<lb/> Maschine arbeitet nur billiger, wenn sie Mengen erzeugt. Je höher die<lb/> Arbeitsleistung, um so geringer die Herstellungskosten. Mit der Maschine trat<lb/> also der volkswirtschaftliche Grundsatz in das Leben, der fortan das Fundament<lb/> der modernen Güterproduktion bildet, der aber für die alte Art der handwerk¬<lb/> lichen Erzeugung keine Gültigkeit hatte: je größer der Umsatz, um so geringer<lb/> die Kosten. Daraus ergab sich eine vollständige Änderung in den Zwecken<lb/> und Zielen der Produktion. Die handwerkliche Gtttererzeugung dient im<lb/> wesentlichen nur der unmittelbaren Bedarfsdeckung. Der Schuster fertigt Stiefel<lb/> für den Bedarf seiner Kunden; er befriedigt eine vorhandene Nachfrage. Die<lb/> moderne Stiefelfabrik liefert die Stiefel hundert-, tausendweise an einem Tag,<lb/> sie arbeitet unaufhörlich, oft mit Nachtbetrieb, denn sie kann ihren Betrieb<lb/> weder einstellen noch ohne schwere Verluste einschränken. Sie folgt dem wirt¬<lb/> schaftlichen Gesetz, das sie zur Massenproduktion verurteilt, wenn ihr Betrieb<lb/> rentabel bleiben soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_369" next="#ID_370"> Diese Massenproduktion ist also ein Arbeiten auf Vorrat, eine Produktion<lb/> von Gütermengen, für die zunächst kein Absatz vorhanden ist, sondern für die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ' 8«</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
Politik und Wirtschaft
Sind uns die Gründe dieser Erscheinung klar, so ist uns auch der Schlüssel
zum Verständnis mancher Folgewirkung gegeben, die uns sonst rätselhaft anmutet.
Wirtschaftliche Verhältnisse haben freilich von jeher einen bedeutenden Ein¬
fluß auf das Leben der Nationen ausgeübt. Es ist eine alte Erfahrung der
Geschichte, durch hundertfache Beispiele belegt, daß der wirtschaftliche Aufschwung
der politischen Macht folgt. Griechenland nach den Perserkriegen, Rom nach
dem panischen Kriege, Holland nach der Befreiung vom spanischen Joch, England
und schließlich Deutschland selbst sind Beispiele für die Wahrheit dieses Satzes.
Und umgekehrt hat oft der Verlust einer wirtschaftlichen Machtstellung auch den
der staatlichen nach sich gezogen: so hat die Entdeckung Amerikas und des
Seewegs nach Ostindien den Levantehandel brachgelegt und Venedig, die alte
Königin der Adrta, depossedrert, zugleich die Blüte des oberdeutschen Handels
und die Macht der Hansa geknickt und durch diese wirtschaftliche Zmückdrängung
den Verfall des Deutschen Reiches beschleunigt. Aber bei diesen welthistorischen
Vorgängen handelt es sich doch um andere Dinge als bei der wirtschaftlichen
Machtstellung moderner Staaten. Diese beruht nicht, wie in alter Zeit in erster
Linie auf dem Handel, sondern in erster Linie auf der Industrie, der sich der
Handel als ein notwendiges und bedeutendes, aber doch dienendes Glied an¬
schließt. Weltumspannend waren auch früher die Beziehungen des Handels,
aber eine Weltwirtschaft im heutigen Sinne war früheren Jahrhunderten un¬
bekannt. Sie ist eine Folge des modernen Produktionsprozesses.
Technik und Verkehr haben im Laufe von einem halben Jahrhundert die
Grundlagen des Wirtschaftslebens vollständig verschoben. Maschine und Gro߬
betrieb haben diese tiefeingreifende Veränderung bewirkt. Die arbeitsparende
Maschine ermöglicht die Massenproduktion. Ihre Verwendung macht aber diese
Massenproduktion zugleich zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit, denn die
Maschine arbeitet nur billiger, wenn sie Mengen erzeugt. Je höher die
Arbeitsleistung, um so geringer die Herstellungskosten. Mit der Maschine trat
also der volkswirtschaftliche Grundsatz in das Leben, der fortan das Fundament
der modernen Güterproduktion bildet, der aber für die alte Art der handwerk¬
lichen Erzeugung keine Gültigkeit hatte: je größer der Umsatz, um so geringer
die Kosten. Daraus ergab sich eine vollständige Änderung in den Zwecken
und Zielen der Produktion. Die handwerkliche Gtttererzeugung dient im
wesentlichen nur der unmittelbaren Bedarfsdeckung. Der Schuster fertigt Stiefel
für den Bedarf seiner Kunden; er befriedigt eine vorhandene Nachfrage. Die
moderne Stiefelfabrik liefert die Stiefel hundert-, tausendweise an einem Tag,
sie arbeitet unaufhörlich, oft mit Nachtbetrieb, denn sie kann ihren Betrieb
weder einstellen noch ohne schwere Verluste einschränken. Sie folgt dem wirt¬
schaftlichen Gesetz, das sie zur Massenproduktion verurteilt, wenn ihr Betrieb
rentabel bleiben soll.
Diese Massenproduktion ist also ein Arbeiten auf Vorrat, eine Produktion
von Gütermengen, für die zunächst kein Absatz vorhanden ist, sondern für die
' 8«
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |