Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Aönig von Sachalin

.Aber besuchen darf ich Sie wohl mal, wenn die Wache mich herausläßt,'
sagte er dann, ,man muß doch mal mit einem gebildeten Menschen reden; alles
schwarzes Volk hier herum!'

Einige Monate später kam der erwartete Glücksumstand, der Pawel
Feodorowitsch vom Schlimmsten befreite. Die ersten Herbststürme hatten die
Landungsbrücke für die Dampfkutter am Strand von Posten-Alexandrowsk schon
wieder einmal davongeführt, und der bauleitende Beamte der Zuchthausverwaltung
hatte eine mächtige Nase aus Petersburg bekommen, die ziemlich deutlich durch¬
blicken ließ, daß er wohl ein wenig zu viel am Bau verdient habe. Die
nächste Brücke mußte halten, sonst konnte es ihm an den Kragen gehen; da er
aber nichts vom Bauwesen verstand, fiel ihm eines Tages ein, daß Pawel
Feodorowitsch Jngenieuroffizier war. Er holte sich ihn also heran. Pawel
war auch nicht nur Jngenieuroffizier, was ja in Rußland wenig beweist, sondern
verstand auch tatsächlich etwas vom Bauen. Als die Zuchthausverwaltung das
merkte, hatte er gewonnenes Spiel. Er war kaltblütig genug, es darauf an¬
kommen zu lassen und seine Bedingungen zu stellen. So kam die Tollheit zu¬
stande, daß der Zwangsarbeiter und Doppelmörder ein eigenes kleines Häuschen
eingeräumt bekam, daß man ihm ein Taschengeld aussetzte und ihm zwei andere
Zuchthausinsassen als Knecht und Magd gab.

Seine Lage war bald keine andere, als die eines der Beamten, abgesehen
vielleicht von der größeren Abhängigkeit von der Gnade des obersten Chefs der
Insel. Da Pawel aber auch ein guter Gesellschafter war und es verstand, im
Kartenspiel an die Maßgebenden zu verlieren und nur die Unmaßgeblichen zu
rupfen, so erfreute er sich bald großer Beliebtheit. Er gewann auch Privat¬
kundschaft. Er war tatsächlich der einzige, der auf der Insel etwas vom Bauen
verstand, daher ließ meine Firma auch ihre Lagerschuppen von ihm errichten.
Die Zuchthausverwaltung legte Werkstätten an, er bestimmte die nötigen
Maschinen und wußte es schon so einzurichten, daß er von den Lieferanten
Provistonen bekam, kurz und gut, er kam langsam zu Geld und fing schon
damals an, in einige Unternehmungen entlassener Sträflinge als stiller Teilhaber
einzutreten. Als ich nach einigen Jahren die Insel wieder verließ, war er
schon unter zwei teilweise Begnadigungen gefallen, so daß er auch offiziell der
leichtesten Gruppe der Sträflinge zugeschrieben war, die zwar lebenslänglich auf
der Insel bleiben müssen, sich im übrigen aber frei bewegen und ihren Geschäften
nachgehen dürfen.

Er heiratete die Tochter eines mittleren Beamten der Zuchthausverwaltung.
Damit schien sein Geschick die mögliche Ausgestaltung erreicht zu haben. Aber
er hatte besonderes Glück.

Der russisch-japanische Krieg kam, und eines Tages erschienen, wie Sie
wissen, die Japaner vor Sachalin. Es entstand ein großes Durcheinander.
Man wußte auf russischer Seite nicht recht, sollte man sich kampflos ergeben,
da zweifellos doch nichts zu machen war, oder sollte man Widerstand leisten.


Der Aönig von Sachalin

.Aber besuchen darf ich Sie wohl mal, wenn die Wache mich herausläßt,'
sagte er dann, ,man muß doch mal mit einem gebildeten Menschen reden; alles
schwarzes Volk hier herum!'

Einige Monate später kam der erwartete Glücksumstand, der Pawel
Feodorowitsch vom Schlimmsten befreite. Die ersten Herbststürme hatten die
Landungsbrücke für die Dampfkutter am Strand von Posten-Alexandrowsk schon
wieder einmal davongeführt, und der bauleitende Beamte der Zuchthausverwaltung
hatte eine mächtige Nase aus Petersburg bekommen, die ziemlich deutlich durch¬
blicken ließ, daß er wohl ein wenig zu viel am Bau verdient habe. Die
nächste Brücke mußte halten, sonst konnte es ihm an den Kragen gehen; da er
aber nichts vom Bauwesen verstand, fiel ihm eines Tages ein, daß Pawel
Feodorowitsch Jngenieuroffizier war. Er holte sich ihn also heran. Pawel
war auch nicht nur Jngenieuroffizier, was ja in Rußland wenig beweist, sondern
verstand auch tatsächlich etwas vom Bauen. Als die Zuchthausverwaltung das
merkte, hatte er gewonnenes Spiel. Er war kaltblütig genug, es darauf an¬
kommen zu lassen und seine Bedingungen zu stellen. So kam die Tollheit zu¬
stande, daß der Zwangsarbeiter und Doppelmörder ein eigenes kleines Häuschen
eingeräumt bekam, daß man ihm ein Taschengeld aussetzte und ihm zwei andere
Zuchthausinsassen als Knecht und Magd gab.

Seine Lage war bald keine andere, als die eines der Beamten, abgesehen
vielleicht von der größeren Abhängigkeit von der Gnade des obersten Chefs der
Insel. Da Pawel aber auch ein guter Gesellschafter war und es verstand, im
Kartenspiel an die Maßgebenden zu verlieren und nur die Unmaßgeblichen zu
rupfen, so erfreute er sich bald großer Beliebtheit. Er gewann auch Privat¬
kundschaft. Er war tatsächlich der einzige, der auf der Insel etwas vom Bauen
verstand, daher ließ meine Firma auch ihre Lagerschuppen von ihm errichten.
Die Zuchthausverwaltung legte Werkstätten an, er bestimmte die nötigen
Maschinen und wußte es schon so einzurichten, daß er von den Lieferanten
Provistonen bekam, kurz und gut, er kam langsam zu Geld und fing schon
damals an, in einige Unternehmungen entlassener Sträflinge als stiller Teilhaber
einzutreten. Als ich nach einigen Jahren die Insel wieder verließ, war er
schon unter zwei teilweise Begnadigungen gefallen, so daß er auch offiziell der
leichtesten Gruppe der Sträflinge zugeschrieben war, die zwar lebenslänglich auf
der Insel bleiben müssen, sich im übrigen aber frei bewegen und ihren Geschäften
nachgehen dürfen.

Er heiratete die Tochter eines mittleren Beamten der Zuchthausverwaltung.
Damit schien sein Geschick die mögliche Ausgestaltung erreicht zu haben. Aber
er hatte besonderes Glück.

Der russisch-japanische Krieg kam, und eines Tages erschienen, wie Sie
wissen, die Japaner vor Sachalin. Es entstand ein großes Durcheinander.
Man wußte auf russischer Seite nicht recht, sollte man sich kampflos ergeben,
da zweifellos doch nichts zu machen war, oder sollte man Widerstand leisten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324974"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Aönig von Sachalin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_309"> .Aber besuchen darf ich Sie wohl mal, wenn die Wache mich herausläßt,'<lb/>
sagte er dann, ,man muß doch mal mit einem gebildeten Menschen reden; alles<lb/>
schwarzes Volk hier herum!'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310"> Einige Monate später kam der erwartete Glücksumstand, der Pawel<lb/>
Feodorowitsch vom Schlimmsten befreite. Die ersten Herbststürme hatten die<lb/>
Landungsbrücke für die Dampfkutter am Strand von Posten-Alexandrowsk schon<lb/>
wieder einmal davongeführt, und der bauleitende Beamte der Zuchthausverwaltung<lb/>
hatte eine mächtige Nase aus Petersburg bekommen, die ziemlich deutlich durch¬<lb/>
blicken ließ, daß er wohl ein wenig zu viel am Bau verdient habe. Die<lb/>
nächste Brücke mußte halten, sonst konnte es ihm an den Kragen gehen; da er<lb/>
aber nichts vom Bauwesen verstand, fiel ihm eines Tages ein, daß Pawel<lb/>
Feodorowitsch Jngenieuroffizier war. Er holte sich ihn also heran. Pawel<lb/>
war auch nicht nur Jngenieuroffizier, was ja in Rußland wenig beweist, sondern<lb/>
verstand auch tatsächlich etwas vom Bauen. Als die Zuchthausverwaltung das<lb/>
merkte, hatte er gewonnenes Spiel. Er war kaltblütig genug, es darauf an¬<lb/>
kommen zu lassen und seine Bedingungen zu stellen. So kam die Tollheit zu¬<lb/>
stande, daß der Zwangsarbeiter und Doppelmörder ein eigenes kleines Häuschen<lb/>
eingeräumt bekam, daß man ihm ein Taschengeld aussetzte und ihm zwei andere<lb/>
Zuchthausinsassen als Knecht und Magd gab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Seine Lage war bald keine andere, als die eines der Beamten, abgesehen<lb/>
vielleicht von der größeren Abhängigkeit von der Gnade des obersten Chefs der<lb/>
Insel. Da Pawel aber auch ein guter Gesellschafter war und es verstand, im<lb/>
Kartenspiel an die Maßgebenden zu verlieren und nur die Unmaßgeblichen zu<lb/>
rupfen, so erfreute er sich bald großer Beliebtheit. Er gewann auch Privat¬<lb/>
kundschaft. Er war tatsächlich der einzige, der auf der Insel etwas vom Bauen<lb/>
verstand, daher ließ meine Firma auch ihre Lagerschuppen von ihm errichten.<lb/>
Die Zuchthausverwaltung legte Werkstätten an, er bestimmte die nötigen<lb/>
Maschinen und wußte es schon so einzurichten, daß er von den Lieferanten<lb/>
Provistonen bekam, kurz und gut, er kam langsam zu Geld und fing schon<lb/>
damals an, in einige Unternehmungen entlassener Sträflinge als stiller Teilhaber<lb/>
einzutreten. Als ich nach einigen Jahren die Insel wieder verließ, war er<lb/>
schon unter zwei teilweise Begnadigungen gefallen, so daß er auch offiziell der<lb/>
leichtesten Gruppe der Sträflinge zugeschrieben war, die zwar lebenslänglich auf<lb/>
der Insel bleiben müssen, sich im übrigen aber frei bewegen und ihren Geschäften<lb/>
nachgehen dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> Er heiratete die Tochter eines mittleren Beamten der Zuchthausverwaltung.<lb/>
Damit schien sein Geschick die mögliche Ausgestaltung erreicht zu haben. Aber<lb/>
er hatte besonderes Glück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313" next="#ID_314"> Der russisch-japanische Krieg kam, und eines Tages erschienen, wie Sie<lb/>
wissen, die Japaner vor Sachalin. Es entstand ein großes Durcheinander.<lb/>
Man wußte auf russischer Seite nicht recht, sollte man sich kampflos ergeben,<lb/>
da zweifellos doch nichts zu machen war, oder sollte man Widerstand leisten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0104] Der Aönig von Sachalin .Aber besuchen darf ich Sie wohl mal, wenn die Wache mich herausläßt,' sagte er dann, ,man muß doch mal mit einem gebildeten Menschen reden; alles schwarzes Volk hier herum!' Einige Monate später kam der erwartete Glücksumstand, der Pawel Feodorowitsch vom Schlimmsten befreite. Die ersten Herbststürme hatten die Landungsbrücke für die Dampfkutter am Strand von Posten-Alexandrowsk schon wieder einmal davongeführt, und der bauleitende Beamte der Zuchthausverwaltung hatte eine mächtige Nase aus Petersburg bekommen, die ziemlich deutlich durch¬ blicken ließ, daß er wohl ein wenig zu viel am Bau verdient habe. Die nächste Brücke mußte halten, sonst konnte es ihm an den Kragen gehen; da er aber nichts vom Bauwesen verstand, fiel ihm eines Tages ein, daß Pawel Feodorowitsch Jngenieuroffizier war. Er holte sich ihn also heran. Pawel war auch nicht nur Jngenieuroffizier, was ja in Rußland wenig beweist, sondern verstand auch tatsächlich etwas vom Bauen. Als die Zuchthausverwaltung das merkte, hatte er gewonnenes Spiel. Er war kaltblütig genug, es darauf an¬ kommen zu lassen und seine Bedingungen zu stellen. So kam die Tollheit zu¬ stande, daß der Zwangsarbeiter und Doppelmörder ein eigenes kleines Häuschen eingeräumt bekam, daß man ihm ein Taschengeld aussetzte und ihm zwei andere Zuchthausinsassen als Knecht und Magd gab. Seine Lage war bald keine andere, als die eines der Beamten, abgesehen vielleicht von der größeren Abhängigkeit von der Gnade des obersten Chefs der Insel. Da Pawel aber auch ein guter Gesellschafter war und es verstand, im Kartenspiel an die Maßgebenden zu verlieren und nur die Unmaßgeblichen zu rupfen, so erfreute er sich bald großer Beliebtheit. Er gewann auch Privat¬ kundschaft. Er war tatsächlich der einzige, der auf der Insel etwas vom Bauen verstand, daher ließ meine Firma auch ihre Lagerschuppen von ihm errichten. Die Zuchthausverwaltung legte Werkstätten an, er bestimmte die nötigen Maschinen und wußte es schon so einzurichten, daß er von den Lieferanten Provistonen bekam, kurz und gut, er kam langsam zu Geld und fing schon damals an, in einige Unternehmungen entlassener Sträflinge als stiller Teilhaber einzutreten. Als ich nach einigen Jahren die Insel wieder verließ, war er schon unter zwei teilweise Begnadigungen gefallen, so daß er auch offiziell der leichtesten Gruppe der Sträflinge zugeschrieben war, die zwar lebenslänglich auf der Insel bleiben müssen, sich im übrigen aber frei bewegen und ihren Geschäften nachgehen dürfen. Er heiratete die Tochter eines mittleren Beamten der Zuchthausverwaltung. Damit schien sein Geschick die mögliche Ausgestaltung erreicht zu haben. Aber er hatte besonderes Glück. Der russisch-japanische Krieg kam, und eines Tages erschienen, wie Sie wissen, die Japaner vor Sachalin. Es entstand ein großes Durcheinander. Man wußte auf russischer Seite nicht recht, sollte man sich kampflos ergeben, da zweifellos doch nichts zu machen war, oder sollte man Widerstand leisten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/104
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/104>, abgerufen am 01.07.2024.