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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der König von Sachalin

^der gefiel dem alten Wucherer der junge Teufelskerl, kurz und gut, er pumpte
zu guter Letzt anscheinend nicht mehr als Wucherer, sondern aus Anteilnahme; man
hat das nach seinem Tode erfahren.

Eines Tages aber wollte er nicht mehr. Es muß schon damals eine
heftige Szene gegeben haben, bei der beide ihren Starrkopf aufsetzten. In der
Wut verstand Pawel falsch, was ihm der Alte noch die Treppe hinunter nach¬
rief: .Keinen Kopeken bekommst du mehr, aber du wirst vor deiner Hochzeit
von mir hören!' Er nahm es sür Androhung von Rache. Die Sache war
nämlich die, daß Pawel ein Mädchen gefunden hatte, dessen Geld ihn wieder
auf die Füße setzen konnte. Die Eltern des Mädchens waren angesehene, etwas
genaue Leute, und wenn sie ja wohl auch im Petersburger Milieu gegen eine
Liebschaft ein Auge zugedrückt hätten, so glaubte Pawel doch nicht, sein ganzes
wüstes Leben und seine Riesenverschuldung eingestehen zu dürfen, ohne das
Zustandekommen der Heirat zu gefährden. Er sah seine ganze Zukunft bedroht.
Wo anders Geld zu bekommen, war unmöglich. Er ging, um bis zur Hochzeit
durchhalten zu können, nochmal zu seinem Wucheronkel. Es ist nicht ganz fest¬
gestellt worden, ob er ihn durch Bitten erweichen, ihn zwingen, oder sich seine
Wechsel mit Gewalt zurückholen wollte, das Ende war jedenfalls, daß er
den Alten niederschlug. Auf einen letzten Aufschrei des Herrn hin, lief das
Dienstmädchen hinzu. Die starke Person muß furchtbar mit dem Mörder
gerungen haben, man hat nachher die halb heruntergerissene Uniform bei Pawel
gefunden. An ihr und an einem durchgebissenen Finger hat man ihn über¬
führt. Im Geldschrank des Wucherers fand man die Wechsel in einem an
Pawel adressierter Kuvert mit einem Zettel: .Ich schenke Dir Deine Schulden
zur Hochzeit.'




Wie gesagt, auf Sachalin sahen wir uns wieder. Meine Firma hatte mich
damals hinausgesandt, weil mit der Zuchthausverwaltung für die Ausrüstung
der Kohlengruben allerhand größere Geschäfte zu machen waren.

Sie werden ja selbst sehen, ganz so teuflisch, wie man sich einen Ver¬
bannungsort für Mörder vorstellt, ist die Insel nicht. Ich kenne mehrere
Beamte, die ein halbes Leben auf Sachalin zugebracht haben, sich bester Ge¬
sundheit erfreuen und gar nicht den Wunsch haben, fortzukommen.

An einem schönen Sommertag langsam am Strand von Posten - Alexan-
drowsk nach der Schlucht von Dueh zu wandern, an deren Ausgang ins Meer
sich die berühmtesten Kohlenlager finden, ist gar nicht übel. An den drei
Felsenpyramiden im Meer, an denen man Posten - Alexandrowsk schon von
weitem erkennt, steht eine prächtige Brandung, und auf der Landseite stürzen
Felswände und Waldschluchten von einem ansehnlichen Gebirge zum schmalen
Sandstreifen an der Küste herunter. Natürlich bei näherem Zusehen ist
die Insel doch anders als an einem schönen Sommertag. Richtig warm


Der König von Sachalin

^der gefiel dem alten Wucherer der junge Teufelskerl, kurz und gut, er pumpte
zu guter Letzt anscheinend nicht mehr als Wucherer, sondern aus Anteilnahme; man
hat das nach seinem Tode erfahren.

Eines Tages aber wollte er nicht mehr. Es muß schon damals eine
heftige Szene gegeben haben, bei der beide ihren Starrkopf aufsetzten. In der
Wut verstand Pawel falsch, was ihm der Alte noch die Treppe hinunter nach¬
rief: .Keinen Kopeken bekommst du mehr, aber du wirst vor deiner Hochzeit
von mir hören!' Er nahm es sür Androhung von Rache. Die Sache war
nämlich die, daß Pawel ein Mädchen gefunden hatte, dessen Geld ihn wieder
auf die Füße setzen konnte. Die Eltern des Mädchens waren angesehene, etwas
genaue Leute, und wenn sie ja wohl auch im Petersburger Milieu gegen eine
Liebschaft ein Auge zugedrückt hätten, so glaubte Pawel doch nicht, sein ganzes
wüstes Leben und seine Riesenverschuldung eingestehen zu dürfen, ohne das
Zustandekommen der Heirat zu gefährden. Er sah seine ganze Zukunft bedroht.
Wo anders Geld zu bekommen, war unmöglich. Er ging, um bis zur Hochzeit
durchhalten zu können, nochmal zu seinem Wucheronkel. Es ist nicht ganz fest¬
gestellt worden, ob er ihn durch Bitten erweichen, ihn zwingen, oder sich seine
Wechsel mit Gewalt zurückholen wollte, das Ende war jedenfalls, daß er
den Alten niederschlug. Auf einen letzten Aufschrei des Herrn hin, lief das
Dienstmädchen hinzu. Die starke Person muß furchtbar mit dem Mörder
gerungen haben, man hat nachher die halb heruntergerissene Uniform bei Pawel
gefunden. An ihr und an einem durchgebissenen Finger hat man ihn über¬
führt. Im Geldschrank des Wucherers fand man die Wechsel in einem an
Pawel adressierter Kuvert mit einem Zettel: .Ich schenke Dir Deine Schulden
zur Hochzeit.'




Wie gesagt, auf Sachalin sahen wir uns wieder. Meine Firma hatte mich
damals hinausgesandt, weil mit der Zuchthausverwaltung für die Ausrüstung
der Kohlengruben allerhand größere Geschäfte zu machen waren.

Sie werden ja selbst sehen, ganz so teuflisch, wie man sich einen Ver¬
bannungsort für Mörder vorstellt, ist die Insel nicht. Ich kenne mehrere
Beamte, die ein halbes Leben auf Sachalin zugebracht haben, sich bester Ge¬
sundheit erfreuen und gar nicht den Wunsch haben, fortzukommen.

An einem schönen Sommertag langsam am Strand von Posten - Alexan-
drowsk nach der Schlucht von Dueh zu wandern, an deren Ausgang ins Meer
sich die berühmtesten Kohlenlager finden, ist gar nicht übel. An den drei
Felsenpyramiden im Meer, an denen man Posten - Alexandrowsk schon von
weitem erkennt, steht eine prächtige Brandung, und auf der Landseite stürzen
Felswände und Waldschluchten von einem ansehnlichen Gebirge zum schmalen
Sandstreifen an der Küste herunter. Natürlich bei näherem Zusehen ist
die Insel doch anders als an einem schönen Sommertag. Richtig warm


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[0102] Der König von Sachalin ^der gefiel dem alten Wucherer der junge Teufelskerl, kurz und gut, er pumpte zu guter Letzt anscheinend nicht mehr als Wucherer, sondern aus Anteilnahme; man hat das nach seinem Tode erfahren. Eines Tages aber wollte er nicht mehr. Es muß schon damals eine heftige Szene gegeben haben, bei der beide ihren Starrkopf aufsetzten. In der Wut verstand Pawel falsch, was ihm der Alte noch die Treppe hinunter nach¬ rief: .Keinen Kopeken bekommst du mehr, aber du wirst vor deiner Hochzeit von mir hören!' Er nahm es sür Androhung von Rache. Die Sache war nämlich die, daß Pawel ein Mädchen gefunden hatte, dessen Geld ihn wieder auf die Füße setzen konnte. Die Eltern des Mädchens waren angesehene, etwas genaue Leute, und wenn sie ja wohl auch im Petersburger Milieu gegen eine Liebschaft ein Auge zugedrückt hätten, so glaubte Pawel doch nicht, sein ganzes wüstes Leben und seine Riesenverschuldung eingestehen zu dürfen, ohne das Zustandekommen der Heirat zu gefährden. Er sah seine ganze Zukunft bedroht. Wo anders Geld zu bekommen, war unmöglich. Er ging, um bis zur Hochzeit durchhalten zu können, nochmal zu seinem Wucheronkel. Es ist nicht ganz fest¬ gestellt worden, ob er ihn durch Bitten erweichen, ihn zwingen, oder sich seine Wechsel mit Gewalt zurückholen wollte, das Ende war jedenfalls, daß er den Alten niederschlug. Auf einen letzten Aufschrei des Herrn hin, lief das Dienstmädchen hinzu. Die starke Person muß furchtbar mit dem Mörder gerungen haben, man hat nachher die halb heruntergerissene Uniform bei Pawel gefunden. An ihr und an einem durchgebissenen Finger hat man ihn über¬ führt. Im Geldschrank des Wucherers fand man die Wechsel in einem an Pawel adressierter Kuvert mit einem Zettel: .Ich schenke Dir Deine Schulden zur Hochzeit.' Wie gesagt, auf Sachalin sahen wir uns wieder. Meine Firma hatte mich damals hinausgesandt, weil mit der Zuchthausverwaltung für die Ausrüstung der Kohlengruben allerhand größere Geschäfte zu machen waren. Sie werden ja selbst sehen, ganz so teuflisch, wie man sich einen Ver¬ bannungsort für Mörder vorstellt, ist die Insel nicht. Ich kenne mehrere Beamte, die ein halbes Leben auf Sachalin zugebracht haben, sich bester Ge¬ sundheit erfreuen und gar nicht den Wunsch haben, fortzukommen. An einem schönen Sommertag langsam am Strand von Posten - Alexan- drowsk nach der Schlucht von Dueh zu wandern, an deren Ausgang ins Meer sich die berühmtesten Kohlenlager finden, ist gar nicht übel. An den drei Felsenpyramiden im Meer, an denen man Posten - Alexandrowsk schon von weitem erkennt, steht eine prächtige Brandung, und auf der Landseite stürzen Felswände und Waldschluchten von einem ansehnlichen Gebirge zum schmalen Sandstreifen an der Küste herunter. Natürlich bei näherem Zusehen ist die Insel doch anders als an einem schönen Sommertag. Richtig warm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/102>, abgerufen am 22.12.2024.