Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der König von Sandau"

Man hatte mir vier Jahre lang im Kondor in Bremen das kaufmännische
Einmaleins nicht gerade bequem auf den Buckel geschrieben. Es fing in meiner
Lehre, weiß Gott, der Morgen noch mit dem heute sagenhaft gewordenen Ofen¬
heizen an, und es herrschte ein recht barscher Autoritätston im Geschäft. Sie
können sich denken, wie mir zu Mute war, als ich mich eines Tages wegen
meiner Kenntnisse in der Abschätzung von Rohbaumwolle mit 200 Rubel
Monatsgehalt nach Petersburg engagiert sah. Damals war hier sowieso jeder,
der einen westeuropäischen Rock auf dem Leibe hatte, ein großer Herr, ein
Bärin, und gar, wenn man soviel Geld hatte, wie ich damals. In unserer
Pension in der Rasjesschaja bei einer Polin etwas zweifelhafter Vergangenheit
kosteten Wohnung und Essen ganze 50 Rubel im Monat, und eine lange
Arbeitszeit verhinderte mich und einige Kameraden, in der Woche viel aus¬
zugehen. Um so lustiger gings dafür an den Sonnabend Abenden und an
den vielen Feiertagen zu. Da kam es auf einige Zehnrubelscheine nicht an.
Bei einer solchen Gelegenheit habe ich Pawel Feodorowitsch kennen gelernt.
Aber ich langweile Sie sicherlich!"

Ich merkte, daß Herr Stürgens in der lauen Nacht dazu aufgelegt war,
weiter zu erzählen, bot ihm eine Uvpmann, um ihn in gute Laune zu versetzen,
und bat ihn dringend, fortzufahren.

"Wenn Sie wollen. Am Ende ist es weniger mein persönliches Erlebnis,
als ein Bild aus dem alten Petersburger Leben, das wohl bald verschwinden
wird, -- schade eigentlich: es ging urwüchsig und manchmal wüst her, aber
gemütlich und eigenartig. Was tue ich mit Petersburg und Moskau, wenn
es moderne Städte werden I

Natürlich fing es mit einer Weibergeschichte an. In der Pension bei der
alten Polin erschien eines Tages eine verteufelt hübsche junge Polin, die im
Krestowskigarten auftrat.

Sie brachte Leben an unseren manchmal stumpfsinnigen Mittagstisch, und
wir waren alle mehr oder weniger in sie verliebt. Was war natürlicher, als
daß wir möglichst oft auf die Inseln hinausfuhren, um sie singen zu hören.
Sie kam nach ihrem Auftreten auf der Bühne oft an unseren Tisch. Sie wissen,
daß es in den hiesigen Varietes Brauch ist, sogar verlangt wird, daß die
Dämchen sich unter die Gäste mischen. Natürlich kam sie nur für kurze Zeit
zu uns; sehr bald pflegte einer der Kellner zu kommen, um ihr etwas ins Ohr
zu flüstern, woraufhin sie an den Tisch irgendeines alten Würdenträgers über¬
siedelte, der ihr das Handtäschchen voll Geldscheine stopfte und sie mit Sekt und
Kaviar fütterte, oder an den Tisch junger Offiziere, wo das Geld etwas weniger
rollte, aber wo es dafür um so lauter und lustiger zuging.

Es ist Ihnen bekannt, wie es viele der jungen Offiziere hier treiben."

Ich wußte es in der Tat. Wie zur Bestätigung jagten draußen gerade
einige Gespanne vorüber, in denen lärmende Marineoffiziere saßen mit Zweifel-


Der König von Sandau»

Man hatte mir vier Jahre lang im Kondor in Bremen das kaufmännische
Einmaleins nicht gerade bequem auf den Buckel geschrieben. Es fing in meiner
Lehre, weiß Gott, der Morgen noch mit dem heute sagenhaft gewordenen Ofen¬
heizen an, und es herrschte ein recht barscher Autoritätston im Geschäft. Sie
können sich denken, wie mir zu Mute war, als ich mich eines Tages wegen
meiner Kenntnisse in der Abschätzung von Rohbaumwolle mit 200 Rubel
Monatsgehalt nach Petersburg engagiert sah. Damals war hier sowieso jeder,
der einen westeuropäischen Rock auf dem Leibe hatte, ein großer Herr, ein
Bärin, und gar, wenn man soviel Geld hatte, wie ich damals. In unserer
Pension in der Rasjesschaja bei einer Polin etwas zweifelhafter Vergangenheit
kosteten Wohnung und Essen ganze 50 Rubel im Monat, und eine lange
Arbeitszeit verhinderte mich und einige Kameraden, in der Woche viel aus¬
zugehen. Um so lustiger gings dafür an den Sonnabend Abenden und an
den vielen Feiertagen zu. Da kam es auf einige Zehnrubelscheine nicht an.
Bei einer solchen Gelegenheit habe ich Pawel Feodorowitsch kennen gelernt.
Aber ich langweile Sie sicherlich!"

Ich merkte, daß Herr Stürgens in der lauen Nacht dazu aufgelegt war,
weiter zu erzählen, bot ihm eine Uvpmann, um ihn in gute Laune zu versetzen,
und bat ihn dringend, fortzufahren.

„Wenn Sie wollen. Am Ende ist es weniger mein persönliches Erlebnis,
als ein Bild aus dem alten Petersburger Leben, das wohl bald verschwinden
wird, — schade eigentlich: es ging urwüchsig und manchmal wüst her, aber
gemütlich und eigenartig. Was tue ich mit Petersburg und Moskau, wenn
es moderne Städte werden I

Natürlich fing es mit einer Weibergeschichte an. In der Pension bei der
alten Polin erschien eines Tages eine verteufelt hübsche junge Polin, die im
Krestowskigarten auftrat.

Sie brachte Leben an unseren manchmal stumpfsinnigen Mittagstisch, und
wir waren alle mehr oder weniger in sie verliebt. Was war natürlicher, als
daß wir möglichst oft auf die Inseln hinausfuhren, um sie singen zu hören.
Sie kam nach ihrem Auftreten auf der Bühne oft an unseren Tisch. Sie wissen,
daß es in den hiesigen Varietes Brauch ist, sogar verlangt wird, daß die
Dämchen sich unter die Gäste mischen. Natürlich kam sie nur für kurze Zeit
zu uns; sehr bald pflegte einer der Kellner zu kommen, um ihr etwas ins Ohr
zu flüstern, woraufhin sie an den Tisch irgendeines alten Würdenträgers über¬
siedelte, der ihr das Handtäschchen voll Geldscheine stopfte und sie mit Sekt und
Kaviar fütterte, oder an den Tisch junger Offiziere, wo das Geld etwas weniger
rollte, aber wo es dafür um so lauter und lustiger zuging.

Es ist Ihnen bekannt, wie es viele der jungen Offiziere hier treiben."

Ich wußte es in der Tat. Wie zur Bestätigung jagten draußen gerade
einige Gespanne vorüber, in denen lärmende Marineoffiziere saßen mit Zweifel-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324970"/>
          <fw type="header" place="top"> Der König von Sandau»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_283" prev="#ID_282"> Man hatte mir vier Jahre lang im Kondor in Bremen das kaufmännische<lb/>
Einmaleins nicht gerade bequem auf den Buckel geschrieben. Es fing in meiner<lb/>
Lehre, weiß Gott, der Morgen noch mit dem heute sagenhaft gewordenen Ofen¬<lb/>
heizen an, und es herrschte ein recht barscher Autoritätston im Geschäft. Sie<lb/>
können sich denken, wie mir zu Mute war, als ich mich eines Tages wegen<lb/>
meiner Kenntnisse in der Abschätzung von Rohbaumwolle mit 200 Rubel<lb/>
Monatsgehalt nach Petersburg engagiert sah. Damals war hier sowieso jeder,<lb/>
der einen westeuropäischen Rock auf dem Leibe hatte, ein großer Herr, ein<lb/>
Bärin, und gar, wenn man soviel Geld hatte, wie ich damals. In unserer<lb/>
Pension in der Rasjesschaja bei einer Polin etwas zweifelhafter Vergangenheit<lb/>
kosteten Wohnung und Essen ganze 50 Rubel im Monat, und eine lange<lb/>
Arbeitszeit verhinderte mich und einige Kameraden, in der Woche viel aus¬<lb/>
zugehen. Um so lustiger gings dafür an den Sonnabend Abenden und an<lb/>
den vielen Feiertagen zu. Da kam es auf einige Zehnrubelscheine nicht an.<lb/>
Bei einer solchen Gelegenheit habe ich Pawel Feodorowitsch kennen gelernt.<lb/>
Aber ich langweile Sie sicherlich!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_284"> Ich merkte, daß Herr Stürgens in der lauen Nacht dazu aufgelegt war,<lb/>
weiter zu erzählen, bot ihm eine Uvpmann, um ihn in gute Laune zu versetzen,<lb/>
und bat ihn dringend, fortzufahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> &#x201E;Wenn Sie wollen. Am Ende ist es weniger mein persönliches Erlebnis,<lb/>
als ein Bild aus dem alten Petersburger Leben, das wohl bald verschwinden<lb/>
wird, &#x2014; schade eigentlich: es ging urwüchsig und manchmal wüst her, aber<lb/>
gemütlich und eigenartig. Was tue ich mit Petersburg und Moskau, wenn<lb/>
es moderne Städte werden I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286"> Natürlich fing es mit einer Weibergeschichte an. In der Pension bei der<lb/>
alten Polin erschien eines Tages eine verteufelt hübsche junge Polin, die im<lb/>
Krestowskigarten auftrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_287"> Sie brachte Leben an unseren manchmal stumpfsinnigen Mittagstisch, und<lb/>
wir waren alle mehr oder weniger in sie verliebt. Was war natürlicher, als<lb/>
daß wir möglichst oft auf die Inseln hinausfuhren, um sie singen zu hören.<lb/>
Sie kam nach ihrem Auftreten auf der Bühne oft an unseren Tisch. Sie wissen,<lb/>
daß es in den hiesigen Varietes Brauch ist, sogar verlangt wird, daß die<lb/>
Dämchen sich unter die Gäste mischen. Natürlich kam sie nur für kurze Zeit<lb/>
zu uns; sehr bald pflegte einer der Kellner zu kommen, um ihr etwas ins Ohr<lb/>
zu flüstern, woraufhin sie an den Tisch irgendeines alten Würdenträgers über¬<lb/>
siedelte, der ihr das Handtäschchen voll Geldscheine stopfte und sie mit Sekt und<lb/>
Kaviar fütterte, oder an den Tisch junger Offiziere, wo das Geld etwas weniger<lb/>
rollte, aber wo es dafür um so lauter und lustiger zuging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_288"> Es ist Ihnen bekannt, wie es viele der jungen Offiziere hier treiben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_289" next="#ID_290"> Ich wußte es in der Tat. Wie zur Bestätigung jagten draußen gerade<lb/>
einige Gespanne vorüber, in denen lärmende Marineoffiziere saßen mit Zweifel-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Der König von Sandau» Man hatte mir vier Jahre lang im Kondor in Bremen das kaufmännische Einmaleins nicht gerade bequem auf den Buckel geschrieben. Es fing in meiner Lehre, weiß Gott, der Morgen noch mit dem heute sagenhaft gewordenen Ofen¬ heizen an, und es herrschte ein recht barscher Autoritätston im Geschäft. Sie können sich denken, wie mir zu Mute war, als ich mich eines Tages wegen meiner Kenntnisse in der Abschätzung von Rohbaumwolle mit 200 Rubel Monatsgehalt nach Petersburg engagiert sah. Damals war hier sowieso jeder, der einen westeuropäischen Rock auf dem Leibe hatte, ein großer Herr, ein Bärin, und gar, wenn man soviel Geld hatte, wie ich damals. In unserer Pension in der Rasjesschaja bei einer Polin etwas zweifelhafter Vergangenheit kosteten Wohnung und Essen ganze 50 Rubel im Monat, und eine lange Arbeitszeit verhinderte mich und einige Kameraden, in der Woche viel aus¬ zugehen. Um so lustiger gings dafür an den Sonnabend Abenden und an den vielen Feiertagen zu. Da kam es auf einige Zehnrubelscheine nicht an. Bei einer solchen Gelegenheit habe ich Pawel Feodorowitsch kennen gelernt. Aber ich langweile Sie sicherlich!" Ich merkte, daß Herr Stürgens in der lauen Nacht dazu aufgelegt war, weiter zu erzählen, bot ihm eine Uvpmann, um ihn in gute Laune zu versetzen, und bat ihn dringend, fortzufahren. „Wenn Sie wollen. Am Ende ist es weniger mein persönliches Erlebnis, als ein Bild aus dem alten Petersburger Leben, das wohl bald verschwinden wird, — schade eigentlich: es ging urwüchsig und manchmal wüst her, aber gemütlich und eigenartig. Was tue ich mit Petersburg und Moskau, wenn es moderne Städte werden I Natürlich fing es mit einer Weibergeschichte an. In der Pension bei der alten Polin erschien eines Tages eine verteufelt hübsche junge Polin, die im Krestowskigarten auftrat. Sie brachte Leben an unseren manchmal stumpfsinnigen Mittagstisch, und wir waren alle mehr oder weniger in sie verliebt. Was war natürlicher, als daß wir möglichst oft auf die Inseln hinausfuhren, um sie singen zu hören. Sie kam nach ihrem Auftreten auf der Bühne oft an unseren Tisch. Sie wissen, daß es in den hiesigen Varietes Brauch ist, sogar verlangt wird, daß die Dämchen sich unter die Gäste mischen. Natürlich kam sie nur für kurze Zeit zu uns; sehr bald pflegte einer der Kellner zu kommen, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, woraufhin sie an den Tisch irgendeines alten Würdenträgers über¬ siedelte, der ihr das Handtäschchen voll Geldscheine stopfte und sie mit Sekt und Kaviar fütterte, oder an den Tisch junger Offiziere, wo das Geld etwas weniger rollte, aber wo es dafür um so lauter und lustiger zuging. Es ist Ihnen bekannt, wie es viele der jungen Offiziere hier treiben." Ich wußte es in der Tat. Wie zur Bestätigung jagten draußen gerade einige Gespanne vorüber, in denen lärmende Marineoffiziere saßen mit Zweifel-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/100>, abgerufen am 01.07.2024.