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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Anwesen nicht mehr wieder erwecken konnte, wenn die bäuerliche Wirtschaft ohne
Betriebsmöglichkeit war, da ihr der Zollschutz fehlte, und wenn deshalb das
Land unaufhaltsam im Begriff stand, sich in ein Hirten- und Gartenland zu
verwandeln! Zwingende wirtschaftliche Tendenzen sind meist stärker als gewalt¬
same staatliche Anordnungen.




Es wird dem verehrten Leser klar geworden sein, daß wir heute mit viel
günstigeren Verhältnissen zu rechnen haben. Nur müssen sie auch wirklich und
rechtzeitig ausgenutzt werden. Der verdiente Verfechter der inneren Kolonisation,
Professor Sering, hat im Februar dieses Jahres in einem vortrefflichen Vor¬
trage im Landesökonomiekollegium beklagt, daß die bisher nur in Posen und
Westpreußen eingeleitete großzügige Kolonisation ins Stocken geraten und daß
in den anderen östlichen Provinzen alljährlich nicht mehr als neunhundert bis
tausend Bauernstellen mit rund 10 000 Hektar Fläche gegründet würden.
Sering hat auf England hingewiesen, wo es, trotz Zwangsenteignung und
Zwangspacht, die ein Gesetz von 1907 eingeführt habe, nicht mehr gelingen
wolle, den durch eine allzu frühe kapitalistische Entwicklung vernichteten Bauern¬
stand wieder aufzurichten. "Noch ist es bei uns Zeit," sagte er, "eine kräftige
Anstedlungspolitik zu betätigen. In zehn bis zwanzig Jahren wird es zu spät
sein, weil wie in England, so auch bei uns, der Reichtum aufs Land zieht und
Luxuspreise anlegt, während das beste Kolonistenmaterial verloren geht und
unser Volk allmählich an robuster Kraft einbüßt."

Neben der inneren Kolonisation tut es allerdings auch not, den Druck zu
mildern, den der ausländische Saisonarbeiter auf den deutschen Arbeiter ausübt.
Freilich kann dies nur soweit geschehen, als die deutsche Gütererzeugung dem
Auslande gegenüber konkurrenzfähig bleibt; denn sonst würde infolge der ewigen
Wechselwirkung, die in allen volkswirtschaftlichen Dingen stattfindet, mit der
Konkurrenzfähigkeit der deutschen Betriebe gleichzeitig abgesägt werden die
Existenz des deutschen Arbeiters, der ja eben geschützt und erhalten werden soll.
Anderseits wird alle innere Kolonisation nichts mehr helfen und es wird der
bis vor kurzem so gepriesene Bevölkerungsüberschuß endgültig dahin sein, wenn
einmal der Bauer bei uns ernstlich lose wird. Haben wir es auch bis jetzt
zum Glück nur mit dem Wegzug der jüngeren Kinder der angesessenen Familien
zu tun, so fehlen doch schon heute alle die Familien auf dem Lande, deren
Arbeitskraft der slawische Saisonarbeiter ersetzt. Namentlich aber: es fehlt auch
ihr Nachwuchs.

Geschieht etwas Energisches gegen diese Richtung der Entwicklung, so geht
unsere landwirtschaftliche wie unsere industrielle Produktion wahrscheinlich schweren
Zeiten entgegen; denn, befreit von der ausländischen Konkurrenz, wird der
deutsche Arbeiter, wie der englische es schon tut, seine Lebensansprüche weiter
erheblich steigern. Diese Steigerung wird Opfer fordern, für die die produ-


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Anwesen nicht mehr wieder erwecken konnte, wenn die bäuerliche Wirtschaft ohne
Betriebsmöglichkeit war, da ihr der Zollschutz fehlte, und wenn deshalb das
Land unaufhaltsam im Begriff stand, sich in ein Hirten- und Gartenland zu
verwandeln! Zwingende wirtschaftliche Tendenzen sind meist stärker als gewalt¬
same staatliche Anordnungen.




Es wird dem verehrten Leser klar geworden sein, daß wir heute mit viel
günstigeren Verhältnissen zu rechnen haben. Nur müssen sie auch wirklich und
rechtzeitig ausgenutzt werden. Der verdiente Verfechter der inneren Kolonisation,
Professor Sering, hat im Februar dieses Jahres in einem vortrefflichen Vor¬
trage im Landesökonomiekollegium beklagt, daß die bisher nur in Posen und
Westpreußen eingeleitete großzügige Kolonisation ins Stocken geraten und daß
in den anderen östlichen Provinzen alljährlich nicht mehr als neunhundert bis
tausend Bauernstellen mit rund 10 000 Hektar Fläche gegründet würden.
Sering hat auf England hingewiesen, wo es, trotz Zwangsenteignung und
Zwangspacht, die ein Gesetz von 1907 eingeführt habe, nicht mehr gelingen
wolle, den durch eine allzu frühe kapitalistische Entwicklung vernichteten Bauern¬
stand wieder aufzurichten. „Noch ist es bei uns Zeit," sagte er, „eine kräftige
Anstedlungspolitik zu betätigen. In zehn bis zwanzig Jahren wird es zu spät
sein, weil wie in England, so auch bei uns, der Reichtum aufs Land zieht und
Luxuspreise anlegt, während das beste Kolonistenmaterial verloren geht und
unser Volk allmählich an robuster Kraft einbüßt."

Neben der inneren Kolonisation tut es allerdings auch not, den Druck zu
mildern, den der ausländische Saisonarbeiter auf den deutschen Arbeiter ausübt.
Freilich kann dies nur soweit geschehen, als die deutsche Gütererzeugung dem
Auslande gegenüber konkurrenzfähig bleibt; denn sonst würde infolge der ewigen
Wechselwirkung, die in allen volkswirtschaftlichen Dingen stattfindet, mit der
Konkurrenzfähigkeit der deutschen Betriebe gleichzeitig abgesägt werden die
Existenz des deutschen Arbeiters, der ja eben geschützt und erhalten werden soll.
Anderseits wird alle innere Kolonisation nichts mehr helfen und es wird der
bis vor kurzem so gepriesene Bevölkerungsüberschuß endgültig dahin sein, wenn
einmal der Bauer bei uns ernstlich lose wird. Haben wir es auch bis jetzt
zum Glück nur mit dem Wegzug der jüngeren Kinder der angesessenen Familien
zu tun, so fehlen doch schon heute alle die Familien auf dem Lande, deren
Arbeitskraft der slawische Saisonarbeiter ersetzt. Namentlich aber: es fehlt auch
ihr Nachwuchs.

Geschieht etwas Energisches gegen diese Richtung der Entwicklung, so geht
unsere landwirtschaftliche wie unsere industrielle Produktion wahrscheinlich schweren
Zeiten entgegen; denn, befreit von der ausländischen Konkurrenz, wird der
deutsche Arbeiter, wie der englische es schon tut, seine Lebensansprüche weiter
erheblich steigern. Diese Steigerung wird Opfer fordern, für die die produ-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/88>, abgerufen am 15.01.2025.