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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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schaftlich ausgebaut werden müssen; und so bedecken sich dann die Flächen eines
vorherigen Großbesitzes wie mit Perlen, mit einer großen Zahl Anwesen von Wohn¬
häusern und Wirtschaftsgebäuden, mitWege- und Wasseranlagen, Zäunen usw. Auch
für die gemeindlichen Bedürfnisse an Schule (Kirche), Gemeinde- und Armenhaus,
Dorfteich, Dorfanger, Sandgrube wird vorsorglich gedacht. Die Ansiedler sucht
man sorgsam aus; es hat sich herausgestellt, daß der Hauptstädter für den
landwirtschaftlichen Beruf fast stets verloren ist, daß er zwar von Landbesitz
und bequemem In-den-Mund-Wachsen von Lebensmitteln träumt, daß er aber
versagt, wenn es sich nun ernstlich darum handelt, mit Pflugschar und Dung
umzugehen und in erster Morgenfrühe beim Melken mit dem unsauberen Kuh¬
schwanz Schläge ins Gesicht zu erhalten. Zur Beschaffung des baulichen, des
lebenden und toten Inventars (Wirtschaftsgerät) verlangt man heute vom An¬
siedler entweder eigenes Kapital (5000 Mark) oder man gibt dazu den sogenannten
Zwischenkredit. Ohne diese langwierige Kleinarbeit ist nichts Dauerndes zu
schaffen. Nun kennen wir zwar die Wirkungen der gracchischen Gesetze nicht.
Was Mommsen davon rühmt, wird von anderen Historikern bestritten und auf
das Mißverständnis einer Zahl bei Livius zurückgeführt. Von all den genannten
Schwierigkeiten wird uns aber kaum etwas berichtet; und dies Schweigen gerade
ist höchst bedenklich. Nur hören wir, daß den ärmsten Ansiedlern Geld zur
Jnventarbeschaffung gegeben wurde, und zwar aus den Schätzen, die der gerade
im Jahre 133 verstorbene König Malus von Pergamus dem römischen Staat
testamentarisch vermacht hatte; wir hören ferner bezeichnenderweise, daß selbst¬
ständige neue Gemeinden nicht gegründet wurden, und endlich scheint es, daß
die alten Besitzer Entschädigungen nur für ihre Gebäude erhielten, und daß man
ihnen im übrigen ihr Land beziehungsweise einen Teil desselben einfach wegnahm,
und zwar mit der Begründung, es gehöre zu dem seit dreihundert Jahren ver¬
schollenen aZer publicus. Man hat es sich danach mit der ganzen Kolonisation
recht leicht gemacht; wenigstens würde man es heute kaum Kolonisation zu
nennen wagen, wenn man Großstädter massenhaft in bestehende Dorfslagen
führt, sie in den bestehenden Häusern unterbringt und es ihnen überläßt, sich
vielleicht neue Häuser zu bauen. So scheint denn die gracchische Ansiedlung
lediglich wie ein plötzlicher Strom von Menschen über die Gemeinden Italiens
hingebraust zu sein, aber keine dauernden Spuren hinterlassen zu haben. Bei
den späteren Veteranen - Ansiedlungen war dies noch weniger der Fall. Den
Siegern von Philippi wurden einfach achtzehn blühende italische Landstädte
zugewiesen, die sie, wie im Kriege, erst mit stürmender Hand nehmen und die
bisherigen Einwohner vertreiben mußten. Das war keine Kolonisation, sondern
Raub, und zwar nicht zu volkswirtschaftlichen, sondern zu militär-politischen Zwecken.
Die groß-wirtschaftliche Tendenz selbst hätte man bekämpfen sollen. Aber gegen
sie war der antike Staat mit seinem staatlich organisierten Freihandel ohnmächtig.
Statt ihrer bekämpfte man die friedlich angesessenen Besitzer. Was nützte eine
Hinaufführung der Massen aufs Land, wenn man die entwerteten Betriebe und


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schaftlich ausgebaut werden müssen; und so bedecken sich dann die Flächen eines
vorherigen Großbesitzes wie mit Perlen, mit einer großen Zahl Anwesen von Wohn¬
häusern und Wirtschaftsgebäuden, mitWege- und Wasseranlagen, Zäunen usw. Auch
für die gemeindlichen Bedürfnisse an Schule (Kirche), Gemeinde- und Armenhaus,
Dorfteich, Dorfanger, Sandgrube wird vorsorglich gedacht. Die Ansiedler sucht
man sorgsam aus; es hat sich herausgestellt, daß der Hauptstädter für den
landwirtschaftlichen Beruf fast stets verloren ist, daß er zwar von Landbesitz
und bequemem In-den-Mund-Wachsen von Lebensmitteln träumt, daß er aber
versagt, wenn es sich nun ernstlich darum handelt, mit Pflugschar und Dung
umzugehen und in erster Morgenfrühe beim Melken mit dem unsauberen Kuh¬
schwanz Schläge ins Gesicht zu erhalten. Zur Beschaffung des baulichen, des
lebenden und toten Inventars (Wirtschaftsgerät) verlangt man heute vom An¬
siedler entweder eigenes Kapital (5000 Mark) oder man gibt dazu den sogenannten
Zwischenkredit. Ohne diese langwierige Kleinarbeit ist nichts Dauerndes zu
schaffen. Nun kennen wir zwar die Wirkungen der gracchischen Gesetze nicht.
Was Mommsen davon rühmt, wird von anderen Historikern bestritten und auf
das Mißverständnis einer Zahl bei Livius zurückgeführt. Von all den genannten
Schwierigkeiten wird uns aber kaum etwas berichtet; und dies Schweigen gerade
ist höchst bedenklich. Nur hören wir, daß den ärmsten Ansiedlern Geld zur
Jnventarbeschaffung gegeben wurde, und zwar aus den Schätzen, die der gerade
im Jahre 133 verstorbene König Malus von Pergamus dem römischen Staat
testamentarisch vermacht hatte; wir hören ferner bezeichnenderweise, daß selbst¬
ständige neue Gemeinden nicht gegründet wurden, und endlich scheint es, daß
die alten Besitzer Entschädigungen nur für ihre Gebäude erhielten, und daß man
ihnen im übrigen ihr Land beziehungsweise einen Teil desselben einfach wegnahm,
und zwar mit der Begründung, es gehöre zu dem seit dreihundert Jahren ver¬
schollenen aZer publicus. Man hat es sich danach mit der ganzen Kolonisation
recht leicht gemacht; wenigstens würde man es heute kaum Kolonisation zu
nennen wagen, wenn man Großstädter massenhaft in bestehende Dorfslagen
führt, sie in den bestehenden Häusern unterbringt und es ihnen überläßt, sich
vielleicht neue Häuser zu bauen. So scheint denn die gracchische Ansiedlung
lediglich wie ein plötzlicher Strom von Menschen über die Gemeinden Italiens
hingebraust zu sein, aber keine dauernden Spuren hinterlassen zu haben. Bei
den späteren Veteranen - Ansiedlungen war dies noch weniger der Fall. Den
Siegern von Philippi wurden einfach achtzehn blühende italische Landstädte
zugewiesen, die sie, wie im Kriege, erst mit stürmender Hand nehmen und die
bisherigen Einwohner vertreiben mußten. Das war keine Kolonisation, sondern
Raub, und zwar nicht zu volkswirtschaftlichen, sondern zu militär-politischen Zwecken.
Die groß-wirtschaftliche Tendenz selbst hätte man bekämpfen sollen. Aber gegen
sie war der antike Staat mit seinem staatlich organisierten Freihandel ohnmächtig.
Statt ihrer bekämpfte man die friedlich angesessenen Besitzer. Was nützte eine
Hinaufführung der Massen aufs Land, wenn man die entwerteten Betriebe und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/87>, abgerufen am 15.01.2025.