Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.I^tikunäia Komsm percZiäere "Ob die Götter in ihrer Gnade oder in ihrem Zorn ihnen Silber und Gold Das Familienleben, die natürliche Abhängigkeit der Kinder von den Eltern, Auf der anderen Seite allerdings fehlt alles Streben nach Verbesserung der Ein Wandel tritt, wie überall, mit eintretender Differenzierung ein. Die I^tikunäia Komsm percZiäere „Ob die Götter in ihrer Gnade oder in ihrem Zorn ihnen Silber und Gold Das Familienleben, die natürliche Abhängigkeit der Kinder von den Eltern, Auf der anderen Seite allerdings fehlt alles Streben nach Verbesserung der Ein Wandel tritt, wie überall, mit eintretender Differenzierung ein. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322482"/> <fw type="header" place="top"> I^tikunäia Komsm percZiäere</fw><lb/> <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> „Ob die Götter in ihrer Gnade oder in ihrem Zorn ihnen Silber und Gold<lb/> versagt haben, möchte ich nicht entscheiden." Der räumlichen und wirtschaftlichen<lb/> Isolierung entspringt ein fest gefügtes Familienleben. Der alt-römische und —<lb/> in etwas milderer Form — auch der alt-germanische Familienvater hat Gewalt<lb/> über Leben und Tod, Freiheit und Besitz seiner Angehörigen und seines<lb/> Gesindes, und nur durch das stete innige Zusammenleben werden diese urwüchsigen,<lb/> wuchtigen Rechte gemildert. Der Kindersegen ist erwünscht, da den vermehrten<lb/> Arbeitskräften im allgemeinen auch eine größere Ergiebigkeit des Bodens zu<lb/> entsprechen vermag, um so mehr, als bei der meist noch schwachen Besiedlung<lb/> Land übergenug zu haben ist. „Menschen sind der eigentliche Reichtum"<lb/> (Friedrich d. Gr.). Ganze Völker, — z. B. die Sachsen bis zur Zeit Karls des<lb/> Großen — leben so Jahrhunderte hindurch in beschaulicher Weise, soweit sie<lb/> nicht durch Kriegsgefahr aufgeschreckt werden. Es ist eine eigentümliche Tatsache,<lb/> daß eine solche, sich selbst genügende Getreide- und Viehwirtschaft der Volkskraft<lb/> ungemein dienlich und aller Nationalität Keim und Kern ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_300"> Das Familienleben, die natürliche Abhängigkeit der Kinder von den Eltern,<lb/> wird nun in diesen ältesten Zeiten das gegebene Vorbild aller sich bildenden<lb/> menschlichen Ordnung. Das Verhältnis des Familienvaters zum Gesinde, des<lb/> Königs zum Volksgenossen ist ein herrschaftlich-väterliches. Es beruht auf<lb/> Unterordnung der ganzen Person für das ganze Leben. Gute menschliche<lb/> Eigenschaften, wie Frömmigkeit, Anhänglichkeit, Treue, Autoritätsglaube, finden<lb/> ihren Nährboden, plusqus ibi boni mores valent, quam alibi bonae leZes.<lb/> (Tacitus, Lierm. cap. 19.)</p><lb/> <p xml:id="ID_301"> Auf der anderen Seite allerdings fehlt alles Streben nach Verbesserung der<lb/> Lebenslage, wie es uns Tolstoi hinsichtlich des russischen Bauern geschildert hat.<lb/> Die tägliche enge Berührung mit der Natur läßt das Leben — vom Stand¬<lb/> punkt des hochzivilisierten Menschen — fast wie ein Vegetieren erscheinen. Die<lb/> Familie lebt in Trägheit dahin, besonders die Männer („ipsi nehme"), und<lb/> gearbeitet wird nur so viel, daß man seine „Nahrung" hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_302"> Ein Wandel tritt, wie überall, mit eintretender Differenzierung ein. Die<lb/> Bedürfnisse werden größer, die, insbesondere zur Kleidung selbstgewonnenen Pro¬<lb/> dukte, wie Linnen, Wolle und Leder, werden nicht mehr selbst verarbeitet oder<lb/> genügen nicht mehr. Daher wird ein Teil der Produktion verkauft und die<lb/> Wirtschaft beginnt in eine gewisse Abhängigkeit vom Markt zu geraten. Dieser<lb/> Prozeß greift immer weiter um sich; Schulden werden gemacht, die früher viel¬<lb/> seitige Produktion nimmt immer einseitigere Formen an (z. B. nur Vieh- oder nur<lb/> Getreidewirtschaft, Wirtschaft ohne Bau- und Brennmaterial oder ohne Flachsbau<lb/> und ohne Schafzucht) und richtet sich immer mehr nach der Konjunktur des<lb/> Marktes. Während die Urform der Wirtschaft eine Ein- und Ausfuhr kaum<lb/> kannte, wird schließlich fast der ganze menschliche Bedarf eingeführt und nur<lb/> einige wenige Fabrikate ausgeführt: die Landwirtschaft wird damit selbst<lb/> unmerklich zur Industrie und zum kapitalistischen Betriebe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
I^tikunäia Komsm percZiäere
„Ob die Götter in ihrer Gnade oder in ihrem Zorn ihnen Silber und Gold
versagt haben, möchte ich nicht entscheiden." Der räumlichen und wirtschaftlichen
Isolierung entspringt ein fest gefügtes Familienleben. Der alt-römische und —
in etwas milderer Form — auch der alt-germanische Familienvater hat Gewalt
über Leben und Tod, Freiheit und Besitz seiner Angehörigen und seines
Gesindes, und nur durch das stete innige Zusammenleben werden diese urwüchsigen,
wuchtigen Rechte gemildert. Der Kindersegen ist erwünscht, da den vermehrten
Arbeitskräften im allgemeinen auch eine größere Ergiebigkeit des Bodens zu
entsprechen vermag, um so mehr, als bei der meist noch schwachen Besiedlung
Land übergenug zu haben ist. „Menschen sind der eigentliche Reichtum"
(Friedrich d. Gr.). Ganze Völker, — z. B. die Sachsen bis zur Zeit Karls des
Großen — leben so Jahrhunderte hindurch in beschaulicher Weise, soweit sie
nicht durch Kriegsgefahr aufgeschreckt werden. Es ist eine eigentümliche Tatsache,
daß eine solche, sich selbst genügende Getreide- und Viehwirtschaft der Volkskraft
ungemein dienlich und aller Nationalität Keim und Kern ist.
Das Familienleben, die natürliche Abhängigkeit der Kinder von den Eltern,
wird nun in diesen ältesten Zeiten das gegebene Vorbild aller sich bildenden
menschlichen Ordnung. Das Verhältnis des Familienvaters zum Gesinde, des
Königs zum Volksgenossen ist ein herrschaftlich-väterliches. Es beruht auf
Unterordnung der ganzen Person für das ganze Leben. Gute menschliche
Eigenschaften, wie Frömmigkeit, Anhänglichkeit, Treue, Autoritätsglaube, finden
ihren Nährboden, plusqus ibi boni mores valent, quam alibi bonae leZes.
(Tacitus, Lierm. cap. 19.)
Auf der anderen Seite allerdings fehlt alles Streben nach Verbesserung der
Lebenslage, wie es uns Tolstoi hinsichtlich des russischen Bauern geschildert hat.
Die tägliche enge Berührung mit der Natur läßt das Leben — vom Stand¬
punkt des hochzivilisierten Menschen — fast wie ein Vegetieren erscheinen. Die
Familie lebt in Trägheit dahin, besonders die Männer („ipsi nehme"), und
gearbeitet wird nur so viel, daß man seine „Nahrung" hat.
Ein Wandel tritt, wie überall, mit eintretender Differenzierung ein. Die
Bedürfnisse werden größer, die, insbesondere zur Kleidung selbstgewonnenen Pro¬
dukte, wie Linnen, Wolle und Leder, werden nicht mehr selbst verarbeitet oder
genügen nicht mehr. Daher wird ein Teil der Produktion verkauft und die
Wirtschaft beginnt in eine gewisse Abhängigkeit vom Markt zu geraten. Dieser
Prozeß greift immer weiter um sich; Schulden werden gemacht, die früher viel¬
seitige Produktion nimmt immer einseitigere Formen an (z. B. nur Vieh- oder nur
Getreidewirtschaft, Wirtschaft ohne Bau- und Brennmaterial oder ohne Flachsbau
und ohne Schafzucht) und richtet sich immer mehr nach der Konjunktur des
Marktes. Während die Urform der Wirtschaft eine Ein- und Ausfuhr kaum
kannte, wird schließlich fast der ganze menschliche Bedarf eingeführt und nur
einige wenige Fabrikate ausgeführt: die Landwirtschaft wird damit selbst
unmerklich zur Industrie und zum kapitalistischen Betriebe.
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