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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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I^atikunäia Komsm peräiäere

(d. h. fast alle größeren) Dörfer unberührt ließ und nur das Verhältnis zwischen
den Rittergütern und ihren sogenannten adligen Bauerndörfern verschob. In dieser
Besitzverteilung hat sich nun aber der ostelbisch-preußische Staat, seitdem er eben
aus einem Neichsfürstentum ein Staat wurde, d. h. etwa seit Friedrich Wilhelm
dem Ersten, allen an seine Volkskraft herantretenden Proben gewachsen gezeigt.
Friedrich der Große hat mit seinem Bestände an Rittergutsbesitzern und Bauern
halb Europa die Spitze geboten und in den Kriegen 1813 bis 1815 ist die
Befreiung vom napoleonischen Joch und dann wieder 1866 und 1871 die
deutsche Einheit erkämpft worden. Die Unglücksjahre 1806 und 1807 erscheinen
vom heutigen Standpunkte aus nur wie eine vorübergehende Schwäche, ver¬
gleichbar derjenigen des römischen Staates beim Einbruch Hannibals in Italien
(218/16). Wir fragen uns also vergeblich, worin die wirtschaftspolitische
Schädlichkeit des ländlichen Großbesitzes in den hundertunddreißig Jahren, die
zwischen dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen und der Schlacht von
Sedan liegen, bestanden haben sollte.

Aber die römische Geschichte selbst gibt zu Zweifeln Anlaß. Italien wurde
in dem Jahrhundert 366 bis 266 von dem lokalen Agrarstaat Rom erobert,
aufgeteilt und kolonisiert. Dabei hat es neben der Bildung mächtiger, latinischer
Gemeindekolonien auch an Ansätzen zur Bildung von Großbesttz nicht gefehlt
(Mommsen, Rom. Gesch. I S. 188 u. 443). Und doch gilt die Zeit von 264
bis 133 als die Blütezeit der Republik, und die innere Kraft, mit der sich Rom
des mächtigen Karthago erwehrte und es 202 bei Zama niederschlug, wird noch
heute allgemein bewundert.

An sich kann also das Bestehen ländlichen Großbesttzes unmöglich eine
staatliche Gefahr fein. Dazu kommt noch, daß, bei uns wenigstens, der größere
Besitzer nachweislich der Lehrer und Führer auf allen Gebieten der technischen
Vervollkommnung des landwirtschaftlichen Betriebes gewesen ist und ist, und
daß er notwendig ist als Träger der Selbstverwaltung in Kreis und Provinz.
Nun kann man allerdings sagen, nur das Übermaß sei schädlich, und gewiß
kommt man damit der Wahrheit näher. Aber so recht befriedigend ist auch
diese Erklärung nicht; denn in dem politisch doch von jeher sehr kräftigen Ost-
elbien hat es ja von jeher auch fast ein Übermaß von Großbesitz gegeben. Die
Gründe müssen also anderer, mehr innerlicher Natur sein.




Die Urform einer bäuerlichen Gutswirtschaft hat darin ihr Gepräge, daß
sie sozusagen eine kleine Volkswirtschaft in sich ist. Die Vielseitigkeit der Pro¬
duktion befriedigt den ganzen primitiven Bedarf der Familie und ihres Gesindes
an Wohnung, Nahrung und Kleidung. Daher gibt es in den ältesten sowohl
römischen wie germanischen Zeiten kein Geld. Tacitus sagt von den alten
Germanen: ,,/U'Mntum et aurum vropitimL an iiati all neMvennt. äudito."


I^atikunäia Komsm peräiäere

(d. h. fast alle größeren) Dörfer unberührt ließ und nur das Verhältnis zwischen
den Rittergütern und ihren sogenannten adligen Bauerndörfern verschob. In dieser
Besitzverteilung hat sich nun aber der ostelbisch-preußische Staat, seitdem er eben
aus einem Neichsfürstentum ein Staat wurde, d. h. etwa seit Friedrich Wilhelm
dem Ersten, allen an seine Volkskraft herantretenden Proben gewachsen gezeigt.
Friedrich der Große hat mit seinem Bestände an Rittergutsbesitzern und Bauern
halb Europa die Spitze geboten und in den Kriegen 1813 bis 1815 ist die
Befreiung vom napoleonischen Joch und dann wieder 1866 und 1871 die
deutsche Einheit erkämpft worden. Die Unglücksjahre 1806 und 1807 erscheinen
vom heutigen Standpunkte aus nur wie eine vorübergehende Schwäche, ver¬
gleichbar derjenigen des römischen Staates beim Einbruch Hannibals in Italien
(218/16). Wir fragen uns also vergeblich, worin die wirtschaftspolitische
Schädlichkeit des ländlichen Großbesitzes in den hundertunddreißig Jahren, die
zwischen dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen und der Schlacht von
Sedan liegen, bestanden haben sollte.

Aber die römische Geschichte selbst gibt zu Zweifeln Anlaß. Italien wurde
in dem Jahrhundert 366 bis 266 von dem lokalen Agrarstaat Rom erobert,
aufgeteilt und kolonisiert. Dabei hat es neben der Bildung mächtiger, latinischer
Gemeindekolonien auch an Ansätzen zur Bildung von Großbesttz nicht gefehlt
(Mommsen, Rom. Gesch. I S. 188 u. 443). Und doch gilt die Zeit von 264
bis 133 als die Blütezeit der Republik, und die innere Kraft, mit der sich Rom
des mächtigen Karthago erwehrte und es 202 bei Zama niederschlug, wird noch
heute allgemein bewundert.

An sich kann also das Bestehen ländlichen Großbesttzes unmöglich eine
staatliche Gefahr fein. Dazu kommt noch, daß, bei uns wenigstens, der größere
Besitzer nachweislich der Lehrer und Führer auf allen Gebieten der technischen
Vervollkommnung des landwirtschaftlichen Betriebes gewesen ist und ist, und
daß er notwendig ist als Träger der Selbstverwaltung in Kreis und Provinz.
Nun kann man allerdings sagen, nur das Übermaß sei schädlich, und gewiß
kommt man damit der Wahrheit näher. Aber so recht befriedigend ist auch
diese Erklärung nicht; denn in dem politisch doch von jeher sehr kräftigen Ost-
elbien hat es ja von jeher auch fast ein Übermaß von Großbesitz gegeben. Die
Gründe müssen also anderer, mehr innerlicher Natur sein.




Die Urform einer bäuerlichen Gutswirtschaft hat darin ihr Gepräge, daß
sie sozusagen eine kleine Volkswirtschaft in sich ist. Die Vielseitigkeit der Pro¬
duktion befriedigt den ganzen primitiven Bedarf der Familie und ihres Gesindes
an Wohnung, Nahrung und Kleidung. Daher gibt es in den ältesten sowohl
römischen wie germanischen Zeiten kein Geld. Tacitus sagt von den alten
Germanen: ,,/U'Mntum et aurum vropitimL an iiati all neMvennt. äudito."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/80>, abgerufen am 15.01.2025.