Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jcchrschluß ,9^2

So gebe ich denn auch die Hoffnung nicht auf, daß das Problem der
inneren Kolonisation nicht nur, wie Herr Oertel in der Deutschen Tages¬
zeitung meint, in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung die bürgerlichen Parteien
einigende Ziele hervorbringt, sondern auch in politischer.

An das Problem der inneren Kolonisation knüpfen gleich zwei Gebiete
unseres politischen Lebens an. die im abgelaufenen Jahr hart umstritten wurden:
die Polenfrage und die Frage nach der Stellung der bürgerlichen Parteien zur
Sozialdemokratie. Kampf gegen die Sozialdemokratie nennt die Deutsche
Tageszeitung für die Konservativen und Herr Trimborn für das Zentrum die
Voraussetzung für jede Verständigung unter den bürgerlichen Parteien. Aber
sie sagen nicht, wie dieser Kampf geführt werden solle, -- es sei denn, daß
man aus ihren Ausführungen die Aufforderung zu.Ausnahmegesetzen heraus-
lesen soll. Diese Parole bleibt unfruchtbar und muß zum geraden Gegenteil
des Angestrebten führen; sie kann positiven Inhalt nur vom Problem der inneren
Kolonisation aus gewinnen.

Die Sozialdemokratie ist in ihrem innern Wesenskern eine wirtschaftliche
Erscheinung. Sie wird darum nicht mit politischen, sondern mit wirt¬
schaftlichen Mitteln wirksam zu bekämpfen sein. Sie wird solange wachsen,
wie die Verbilligung des Geldes andauert, wie die Nahrungsmittelpreise und
die Wohnungsmieten steigen, und keine noch so weit reichende soziale Gesetz¬
gebung wird ihr Abbruch tun können, solange lediglich das Geld zum Ausgleich
für alle wirtschaftlichen Nöte herangezogen wird. Der Nahmen, in den unsere
gesamte Sozial- und Wirtschaftspolitik hineingestellt ist, gleicht dem Faß der Da-
naiden: es ist kein Boden vorhanden, solange der Grundstückpreis milschwankt mit
den Warenpreisen und solange er jeder Konjunktur auf dem Warenmarkt nachgibt.
Und weiter: die sozialdemokratischen Ideen werden sich immer mehr der an der
Bodennutzung auf spekulativer Basis nicht beteiligten Kreise bemächtigen, es
sei denn, daß die führenden Kreise des gewerblichen Bürgertums, und dazu
rechne ich in allererster Linie den befestigten Grundbesitz, ein Einsehen haben und den
Bodenpreis, sei es durch staatliche Festlegung einer Verschuldungsgrenze, sei es
dnrch Feststellung eines unverrückbaren Bodenwertes, stabilieren.

Ein Kampf gegen die Sozialdemokratie, wie ihn sich ein Teil des liberalen
und konservativen Bürgertums sowie die Zentrumspartei denkt, erscheint mir
erfolglos. Das hat uns die Geschichte deutlich genug bewiesen.




Der inneren Kolonisation lege ich aber auch deshalb eine so große Be¬
deutung bei, weil sie, wie schon gesagt, uns endlich den Weg weist, auf dem
auch das polnische Problem zu lösen ist. Nachdem der Kampf um den
Boden der Ostmark sich als eine Finanz- und Wirtschaftsfrage entpuppt hat,
in der das rein nationale Element lediglich den Hitzegrad des Kampfes bestimmt,
ohne auf die Wahl der praktischen Kampfmittel einen ausschlaggebenden Einfluß zu


Jcchrschluß ,9^2

So gebe ich denn auch die Hoffnung nicht auf, daß das Problem der
inneren Kolonisation nicht nur, wie Herr Oertel in der Deutschen Tages¬
zeitung meint, in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung die bürgerlichen Parteien
einigende Ziele hervorbringt, sondern auch in politischer.

An das Problem der inneren Kolonisation knüpfen gleich zwei Gebiete
unseres politischen Lebens an. die im abgelaufenen Jahr hart umstritten wurden:
die Polenfrage und die Frage nach der Stellung der bürgerlichen Parteien zur
Sozialdemokratie. Kampf gegen die Sozialdemokratie nennt die Deutsche
Tageszeitung für die Konservativen und Herr Trimborn für das Zentrum die
Voraussetzung für jede Verständigung unter den bürgerlichen Parteien. Aber
sie sagen nicht, wie dieser Kampf geführt werden solle, — es sei denn, daß
man aus ihren Ausführungen die Aufforderung zu.Ausnahmegesetzen heraus-
lesen soll. Diese Parole bleibt unfruchtbar und muß zum geraden Gegenteil
des Angestrebten führen; sie kann positiven Inhalt nur vom Problem der inneren
Kolonisation aus gewinnen.

Die Sozialdemokratie ist in ihrem innern Wesenskern eine wirtschaftliche
Erscheinung. Sie wird darum nicht mit politischen, sondern mit wirt¬
schaftlichen Mitteln wirksam zu bekämpfen sein. Sie wird solange wachsen,
wie die Verbilligung des Geldes andauert, wie die Nahrungsmittelpreise und
die Wohnungsmieten steigen, und keine noch so weit reichende soziale Gesetz¬
gebung wird ihr Abbruch tun können, solange lediglich das Geld zum Ausgleich
für alle wirtschaftlichen Nöte herangezogen wird. Der Nahmen, in den unsere
gesamte Sozial- und Wirtschaftspolitik hineingestellt ist, gleicht dem Faß der Da-
naiden: es ist kein Boden vorhanden, solange der Grundstückpreis milschwankt mit
den Warenpreisen und solange er jeder Konjunktur auf dem Warenmarkt nachgibt.
Und weiter: die sozialdemokratischen Ideen werden sich immer mehr der an der
Bodennutzung auf spekulativer Basis nicht beteiligten Kreise bemächtigen, es
sei denn, daß die führenden Kreise des gewerblichen Bürgertums, und dazu
rechne ich in allererster Linie den befestigten Grundbesitz, ein Einsehen haben und den
Bodenpreis, sei es durch staatliche Festlegung einer Verschuldungsgrenze, sei es
dnrch Feststellung eines unverrückbaren Bodenwertes, stabilieren.

Ein Kampf gegen die Sozialdemokratie, wie ihn sich ein Teil des liberalen
und konservativen Bürgertums sowie die Zentrumspartei denkt, erscheint mir
erfolglos. Das hat uns die Geschichte deutlich genug bewiesen.




Der inneren Kolonisation lege ich aber auch deshalb eine so große Be¬
deutung bei, weil sie, wie schon gesagt, uns endlich den Weg weist, auf dem
auch das polnische Problem zu lösen ist. Nachdem der Kampf um den
Boden der Ostmark sich als eine Finanz- und Wirtschaftsfrage entpuppt hat,
in der das rein nationale Element lediglich den Hitzegrad des Kampfes bestimmt,
ohne auf die Wahl der praktischen Kampfmittel einen ausschlaggebenden Einfluß zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323044"/>
          <fw type="header" place="top"> Jcchrschluß ,9^2</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3121"> So gebe ich denn auch die Hoffnung nicht auf, daß das Problem der<lb/>
inneren Kolonisation nicht nur, wie Herr Oertel in der Deutschen Tages¬<lb/>
zeitung meint, in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung die bürgerlichen Parteien<lb/>
einigende Ziele hervorbringt, sondern auch in politischer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3122"> An das Problem der inneren Kolonisation knüpfen gleich zwei Gebiete<lb/>
unseres politischen Lebens an. die im abgelaufenen Jahr hart umstritten wurden:<lb/>
die Polenfrage und die Frage nach der Stellung der bürgerlichen Parteien zur<lb/>
Sozialdemokratie. Kampf gegen die Sozialdemokratie nennt die Deutsche<lb/>
Tageszeitung für die Konservativen und Herr Trimborn für das Zentrum die<lb/>
Voraussetzung für jede Verständigung unter den bürgerlichen Parteien. Aber<lb/>
sie sagen nicht, wie dieser Kampf geführt werden solle, &#x2014; es sei denn, daß<lb/>
man aus ihren Ausführungen die Aufforderung zu.Ausnahmegesetzen heraus-<lb/>
lesen soll. Diese Parole bleibt unfruchtbar und muß zum geraden Gegenteil<lb/>
des Angestrebten führen; sie kann positiven Inhalt nur vom Problem der inneren<lb/>
Kolonisation aus gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3123"> Die Sozialdemokratie ist in ihrem innern Wesenskern eine wirtschaftliche<lb/>
Erscheinung. Sie wird darum nicht mit politischen, sondern mit wirt¬<lb/>
schaftlichen Mitteln wirksam zu bekämpfen sein. Sie wird solange wachsen,<lb/>
wie die Verbilligung des Geldes andauert, wie die Nahrungsmittelpreise und<lb/>
die Wohnungsmieten steigen, und keine noch so weit reichende soziale Gesetz¬<lb/>
gebung wird ihr Abbruch tun können, solange lediglich das Geld zum Ausgleich<lb/>
für alle wirtschaftlichen Nöte herangezogen wird. Der Nahmen, in den unsere<lb/>
gesamte Sozial- und Wirtschaftspolitik hineingestellt ist, gleicht dem Faß der Da-<lb/>
naiden: es ist kein Boden vorhanden, solange der Grundstückpreis milschwankt mit<lb/>
den Warenpreisen und solange er jeder Konjunktur auf dem Warenmarkt nachgibt.<lb/>
Und weiter: die sozialdemokratischen Ideen werden sich immer mehr der an der<lb/>
Bodennutzung auf spekulativer Basis nicht beteiligten Kreise bemächtigen, es<lb/>
sei denn, daß die führenden Kreise des gewerblichen Bürgertums, und dazu<lb/>
rechne ich in allererster Linie den befestigten Grundbesitz, ein Einsehen haben und den<lb/>
Bodenpreis, sei es durch staatliche Festlegung einer Verschuldungsgrenze, sei es<lb/>
dnrch Feststellung eines unverrückbaren Bodenwertes, stabilieren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3124"> Ein Kampf gegen die Sozialdemokratie, wie ihn sich ein Teil des liberalen<lb/>
und konservativen Bürgertums sowie die Zentrumspartei denkt, erscheint mir<lb/>
erfolglos. Das hat uns die Geschichte deutlich genug bewiesen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_3125" next="#ID_3126"> Der inneren Kolonisation lege ich aber auch deshalb eine so große Be¬<lb/>
deutung bei, weil sie, wie schon gesagt, uns endlich den Weg weist, auf dem<lb/>
auch das polnische Problem zu lösen ist. Nachdem der Kampf um den<lb/>
Boden der Ostmark sich als eine Finanz- und Wirtschaftsfrage entpuppt hat,<lb/>
in der das rein nationale Element lediglich den Hitzegrad des Kampfes bestimmt,<lb/>
ohne auf die Wahl der praktischen Kampfmittel einen ausschlaggebenden Einfluß zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0642] Jcchrschluß ,9^2 So gebe ich denn auch die Hoffnung nicht auf, daß das Problem der inneren Kolonisation nicht nur, wie Herr Oertel in der Deutschen Tages¬ zeitung meint, in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung die bürgerlichen Parteien einigende Ziele hervorbringt, sondern auch in politischer. An das Problem der inneren Kolonisation knüpfen gleich zwei Gebiete unseres politischen Lebens an. die im abgelaufenen Jahr hart umstritten wurden: die Polenfrage und die Frage nach der Stellung der bürgerlichen Parteien zur Sozialdemokratie. Kampf gegen die Sozialdemokratie nennt die Deutsche Tageszeitung für die Konservativen und Herr Trimborn für das Zentrum die Voraussetzung für jede Verständigung unter den bürgerlichen Parteien. Aber sie sagen nicht, wie dieser Kampf geführt werden solle, — es sei denn, daß man aus ihren Ausführungen die Aufforderung zu.Ausnahmegesetzen heraus- lesen soll. Diese Parole bleibt unfruchtbar und muß zum geraden Gegenteil des Angestrebten führen; sie kann positiven Inhalt nur vom Problem der inneren Kolonisation aus gewinnen. Die Sozialdemokratie ist in ihrem innern Wesenskern eine wirtschaftliche Erscheinung. Sie wird darum nicht mit politischen, sondern mit wirt¬ schaftlichen Mitteln wirksam zu bekämpfen sein. Sie wird solange wachsen, wie die Verbilligung des Geldes andauert, wie die Nahrungsmittelpreise und die Wohnungsmieten steigen, und keine noch so weit reichende soziale Gesetz¬ gebung wird ihr Abbruch tun können, solange lediglich das Geld zum Ausgleich für alle wirtschaftlichen Nöte herangezogen wird. Der Nahmen, in den unsere gesamte Sozial- und Wirtschaftspolitik hineingestellt ist, gleicht dem Faß der Da- naiden: es ist kein Boden vorhanden, solange der Grundstückpreis milschwankt mit den Warenpreisen und solange er jeder Konjunktur auf dem Warenmarkt nachgibt. Und weiter: die sozialdemokratischen Ideen werden sich immer mehr der an der Bodennutzung auf spekulativer Basis nicht beteiligten Kreise bemächtigen, es sei denn, daß die führenden Kreise des gewerblichen Bürgertums, und dazu rechne ich in allererster Linie den befestigten Grundbesitz, ein Einsehen haben und den Bodenpreis, sei es durch staatliche Festlegung einer Verschuldungsgrenze, sei es dnrch Feststellung eines unverrückbaren Bodenwertes, stabilieren. Ein Kampf gegen die Sozialdemokratie, wie ihn sich ein Teil des liberalen und konservativen Bürgertums sowie die Zentrumspartei denkt, erscheint mir erfolglos. Das hat uns die Geschichte deutlich genug bewiesen. Der inneren Kolonisation lege ich aber auch deshalb eine so große Be¬ deutung bei, weil sie, wie schon gesagt, uns endlich den Weg weist, auf dem auch das polnische Problem zu lösen ist. Nachdem der Kampf um den Boden der Ostmark sich als eine Finanz- und Wirtschaftsfrage entpuppt hat, in der das rein nationale Element lediglich den Hitzegrad des Kampfes bestimmt, ohne auf die Wahl der praktischen Kampfmittel einen ausschlaggebenden Einfluß zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/642
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/642>, abgerufen am 15.01.2025.