Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Icchrschluß sZ,2

Lassen wir die vielgewandten Herren, die sich zu London versammelt haben,
zunächst unter sich und bei ihren Gesprächen; was dort auch entschieden werden
mag, das deutsche Volk wird nur dann Nutzen daraus ziehen, wenn es
moralisch, wirtschaftlich und politisch gerüstet, innerlich gefestigt und nach außen
sicher geführt alle Dinge des Weltgeschehens in Ruhe an sich herankommen
lassen kann.




Umfassen wir rückschauend die Vorgänge auf dem Gebiete der inneren
Politik, so können wir vom Standpunkt der hauptsächlichsten Forderungen, die
wir an das ablaufende Jahr bei seinem Antritt stellten, leidlich zufrieden sein.
Haben sich auch die meisten Wünsche noch nicht verwirklichen können, so ist der
wichtigste von ihnen, die staatliche Inangriffnahme der inneren Kolonisation, auf
dem Wege zur Erfüllung: der deutsche Reichskanzler hat amtlich die innere
Kolonisation als die bedeutendste und wichtigste Aufgabe für die Regierungen
der Bundesräten anerkannt; der preußische Staat hat finanzielle Mittel für
die Lösung der Frage zur Verfügung gestellt; Männer in hohen verantwortungs¬
reichen Stellungen, wie der Frankfurter Regierungspräsident von Schwerin, der
Majoratsherr auf Bledau von Batocki, der unermüdlich tätige Geheime Re¬
gierungsrat Kapp, die Professoren Gering und Sohnren und tausend jüngere
Kräfte aller Parteien in Stadt und Land, haben im Jahre 1912 praktisch
zugegriffen, eingedenk Goethes Wort aus "Faust", das ich an die Spitze des
eben ablaufenden einundsiebzigsten Grenzbotcnjahrganges stellte:

Es ist nicht nur Gold im materiellen Sinne, was uns, das ist der Nation,
die innere Kolonisation bringt; die Arbeit am Problem der Seßhaftmachnng
ganz allein schafft durch die Notwendigkeit, sich bei ihr in alle sozialen und wirt¬
schaftlichen und politischen Probleme vertiefen zu müssen, so viel ideelles Gold, daß
sie uns ganz allein zu den kühnsten Schlüssen und Hoffnungen berechtigt. Als ich im
Sommer d. I. die Arbeit für innere Kolonisation als den Ausgang für eine
Verständigung und Aussöhnung der bürgerlichen Parteien bezeichnete, fand ich
aus liberalen und konservativen Kreisen freundliche Zustimmung. Dieser Um¬
stand beweist von neuem, wie die Erinnerung an den Heimatsboden die Volks¬
genossen nicht nur in der Fremde eint, er zeigt auch, daß die ernste Beschäftigung
mit ihm -- was wir Agrar- oder Bodenprobleme nennen -- die Denkenden
der Nation wieder aufs Ganze hinlenkt, der wirtschaftlichen und politischen
Zersplitterung Einhalt gebietet und alle sich als Teile eines großen Volkes
empfinden läßt.


Icchrschluß sZ,2

Lassen wir die vielgewandten Herren, die sich zu London versammelt haben,
zunächst unter sich und bei ihren Gesprächen; was dort auch entschieden werden
mag, das deutsche Volk wird nur dann Nutzen daraus ziehen, wenn es
moralisch, wirtschaftlich und politisch gerüstet, innerlich gefestigt und nach außen
sicher geführt alle Dinge des Weltgeschehens in Ruhe an sich herankommen
lassen kann.




Umfassen wir rückschauend die Vorgänge auf dem Gebiete der inneren
Politik, so können wir vom Standpunkt der hauptsächlichsten Forderungen, die
wir an das ablaufende Jahr bei seinem Antritt stellten, leidlich zufrieden sein.
Haben sich auch die meisten Wünsche noch nicht verwirklichen können, so ist der
wichtigste von ihnen, die staatliche Inangriffnahme der inneren Kolonisation, auf
dem Wege zur Erfüllung: der deutsche Reichskanzler hat amtlich die innere
Kolonisation als die bedeutendste und wichtigste Aufgabe für die Regierungen
der Bundesräten anerkannt; der preußische Staat hat finanzielle Mittel für
die Lösung der Frage zur Verfügung gestellt; Männer in hohen verantwortungs¬
reichen Stellungen, wie der Frankfurter Regierungspräsident von Schwerin, der
Majoratsherr auf Bledau von Batocki, der unermüdlich tätige Geheime Re¬
gierungsrat Kapp, die Professoren Gering und Sohnren und tausend jüngere
Kräfte aller Parteien in Stadt und Land, haben im Jahre 1912 praktisch
zugegriffen, eingedenk Goethes Wort aus „Faust", das ich an die Spitze des
eben ablaufenden einundsiebzigsten Grenzbotcnjahrganges stellte:

Es ist nicht nur Gold im materiellen Sinne, was uns, das ist der Nation,
die innere Kolonisation bringt; die Arbeit am Problem der Seßhaftmachnng
ganz allein schafft durch die Notwendigkeit, sich bei ihr in alle sozialen und wirt¬
schaftlichen und politischen Probleme vertiefen zu müssen, so viel ideelles Gold, daß
sie uns ganz allein zu den kühnsten Schlüssen und Hoffnungen berechtigt. Als ich im
Sommer d. I. die Arbeit für innere Kolonisation als den Ausgang für eine
Verständigung und Aussöhnung der bürgerlichen Parteien bezeichnete, fand ich
aus liberalen und konservativen Kreisen freundliche Zustimmung. Dieser Um¬
stand beweist von neuem, wie die Erinnerung an den Heimatsboden die Volks¬
genossen nicht nur in der Fremde eint, er zeigt auch, daß die ernste Beschäftigung
mit ihm — was wir Agrar- oder Bodenprobleme nennen — die Denkenden
der Nation wieder aufs Ganze hinlenkt, der wirtschaftlichen und politischen
Zersplitterung Einhalt gebietet und alle sich als Teile eines großen Volkes
empfinden läßt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323043"/>
          <fw type="header" place="top"> Icchrschluß sZ,2</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3118"> Lassen wir die vielgewandten Herren, die sich zu London versammelt haben,<lb/>
zunächst unter sich und bei ihren Gesprächen; was dort auch entschieden werden<lb/>
mag, das deutsche Volk wird nur dann Nutzen daraus ziehen, wenn es<lb/>
moralisch, wirtschaftlich und politisch gerüstet, innerlich gefestigt und nach außen<lb/>
sicher geführt alle Dinge des Weltgeschehens in Ruhe an sich herankommen<lb/>
lassen kann.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_3119"> Umfassen wir rückschauend die Vorgänge auf dem Gebiete der inneren<lb/>
Politik, so können wir vom Standpunkt der hauptsächlichsten Forderungen, die<lb/>
wir an das ablaufende Jahr bei seinem Antritt stellten, leidlich zufrieden sein.<lb/>
Haben sich auch die meisten Wünsche noch nicht verwirklichen können, so ist der<lb/>
wichtigste von ihnen, die staatliche Inangriffnahme der inneren Kolonisation, auf<lb/>
dem Wege zur Erfüllung: der deutsche Reichskanzler hat amtlich die innere<lb/>
Kolonisation als die bedeutendste und wichtigste Aufgabe für die Regierungen<lb/>
der Bundesräten anerkannt; der preußische Staat hat finanzielle Mittel für<lb/>
die Lösung der Frage zur Verfügung gestellt; Männer in hohen verantwortungs¬<lb/>
reichen Stellungen, wie der Frankfurter Regierungspräsident von Schwerin, der<lb/>
Majoratsherr auf Bledau von Batocki, der unermüdlich tätige Geheime Re¬<lb/>
gierungsrat Kapp, die Professoren Gering und Sohnren und tausend jüngere<lb/>
Kräfte aller Parteien in Stadt und Land, haben im Jahre 1912 praktisch<lb/>
zugegriffen, eingedenk Goethes Wort aus &#x201E;Faust", das ich an die Spitze des<lb/>
eben ablaufenden einundsiebzigsten Grenzbotcnjahrganges stellte:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_44" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_3120"> Es ist nicht nur Gold im materiellen Sinne, was uns, das ist der Nation,<lb/>
die innere Kolonisation bringt; die Arbeit am Problem der Seßhaftmachnng<lb/>
ganz allein schafft durch die Notwendigkeit, sich bei ihr in alle sozialen und wirt¬<lb/>
schaftlichen und politischen Probleme vertiefen zu müssen, so viel ideelles Gold, daß<lb/>
sie uns ganz allein zu den kühnsten Schlüssen und Hoffnungen berechtigt. Als ich im<lb/>
Sommer d. I. die Arbeit für innere Kolonisation als den Ausgang für eine<lb/>
Verständigung und Aussöhnung der bürgerlichen Parteien bezeichnete, fand ich<lb/>
aus liberalen und konservativen Kreisen freundliche Zustimmung. Dieser Um¬<lb/>
stand beweist von neuem, wie die Erinnerung an den Heimatsboden die Volks¬<lb/>
genossen nicht nur in der Fremde eint, er zeigt auch, daß die ernste Beschäftigung<lb/>
mit ihm &#x2014; was wir Agrar- oder Bodenprobleme nennen &#x2014; die Denkenden<lb/>
der Nation wieder aufs Ganze hinlenkt, der wirtschaftlichen und politischen<lb/>
Zersplitterung Einhalt gebietet und alle sich als Teile eines großen Volkes<lb/>
empfinden läßt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0641] Icchrschluß sZ,2 Lassen wir die vielgewandten Herren, die sich zu London versammelt haben, zunächst unter sich und bei ihren Gesprächen; was dort auch entschieden werden mag, das deutsche Volk wird nur dann Nutzen daraus ziehen, wenn es moralisch, wirtschaftlich und politisch gerüstet, innerlich gefestigt und nach außen sicher geführt alle Dinge des Weltgeschehens in Ruhe an sich herankommen lassen kann. Umfassen wir rückschauend die Vorgänge auf dem Gebiete der inneren Politik, so können wir vom Standpunkt der hauptsächlichsten Forderungen, die wir an das ablaufende Jahr bei seinem Antritt stellten, leidlich zufrieden sein. Haben sich auch die meisten Wünsche noch nicht verwirklichen können, so ist der wichtigste von ihnen, die staatliche Inangriffnahme der inneren Kolonisation, auf dem Wege zur Erfüllung: der deutsche Reichskanzler hat amtlich die innere Kolonisation als die bedeutendste und wichtigste Aufgabe für die Regierungen der Bundesräten anerkannt; der preußische Staat hat finanzielle Mittel für die Lösung der Frage zur Verfügung gestellt; Männer in hohen verantwortungs¬ reichen Stellungen, wie der Frankfurter Regierungspräsident von Schwerin, der Majoratsherr auf Bledau von Batocki, der unermüdlich tätige Geheime Re¬ gierungsrat Kapp, die Professoren Gering und Sohnren und tausend jüngere Kräfte aller Parteien in Stadt und Land, haben im Jahre 1912 praktisch zugegriffen, eingedenk Goethes Wort aus „Faust", das ich an die Spitze des eben ablaufenden einundsiebzigsten Grenzbotcnjahrganges stellte: Es ist nicht nur Gold im materiellen Sinne, was uns, das ist der Nation, die innere Kolonisation bringt; die Arbeit am Problem der Seßhaftmachnng ganz allein schafft durch die Notwendigkeit, sich bei ihr in alle sozialen und wirt¬ schaftlichen und politischen Probleme vertiefen zu müssen, so viel ideelles Gold, daß sie uns ganz allein zu den kühnsten Schlüssen und Hoffnungen berechtigt. Als ich im Sommer d. I. die Arbeit für innere Kolonisation als den Ausgang für eine Verständigung und Aussöhnung der bürgerlichen Parteien bezeichnete, fand ich aus liberalen und konservativen Kreisen freundliche Zustimmung. Dieser Um¬ stand beweist von neuem, wie die Erinnerung an den Heimatsboden die Volks¬ genossen nicht nur in der Fremde eint, er zeigt auch, daß die ernste Beschäftigung mit ihm — was wir Agrar- oder Bodenprobleme nennen — die Denkenden der Nation wieder aufs Ganze hinlenkt, der wirtschaftlichen und politischen Zersplitterung Einhalt gebietet und alle sich als Teile eines großen Volkes empfinden läßt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/641
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/641>, abgerufen am 15.01.2025.