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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Annstlerschaft des sterbenden Rokoko

geiht der Welt aufdrücken konnte als Zeichen einer Herrschaft, die den Natur-
gewalten unnahbar war.

Als in der Nacht aus den "Drei Eidgenossen" zu Schwuz der Fremdling
einsam abwanderte, der in Hemdärmeln mit dem Sohn der Doktorsfrau so
lcindsmännisch zu ihm gekommen war, da schüttelte der Wirt den Kopf, um
wieviel merkwürdiger doch solche Gäste wären als alles, was in Schwuz und
sonst redlich sein Tagwerk täte.



Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko
5. F. Nesserschmidt (^32 bis 1^783)
Dr. Rich. B n r g e von

le gegenwärtige Kunstbewegung in Deutschland setzte im Jahre 1890
mit der Devise Rembrandt als Erzieher ein. Die jugendfrische Be¬
geisterung der jungen Generation hat sich weiterhin wenig darum
gekümmert, ob sie in ihrem Schaffen dem Namen, den sie auf ihre
Fahne geschrieben, gerecht wurde. Es genügte die Schwungkraft,
die ein solcher Name in einer Stunde verleiht, wo jeder leicht das Feuer des
Helden in seiner Brust glühend empfindet.

Heute mehren sich die Anzeichen, die auf eine völlige Wandlung in unserem
Verhältnis zur Kunst schließen lassen: an Stelle einer subtil ausgebildeten Form
tritt mehr und mehr das Verlangen nach größerer Berücksichtigung inhaltlicher
Werte. Ein sehr bekannter Kunsthistoriker, der bei der neuen Kunst seinerzeit
mit Eifer Pate stand, riet in diesen Tagen seinem jüngeren Kollegen nicht immer
nur Paris aufzusuchen, um eine Reihe formaler Maßstäbe zu sammeln, sondern
auch einmal nach Kolmar oder Lüneburg zu pilgern und sich dort in Denkmäler
eines inhaltlich gewichtigen Kunstschaffens zu vertiefe".

So mag es keine ganz unfruchtbare Aufgabe sein, an der Hand eines Rokoko¬
künstlerschicksals den Vorgängen, wie sie sich bei einer sterbenden Kunst abspielen,
zuzusehen. Schon das wahre Rokoko des achtzehnten Jahrhunderts können wir
uns nicht vorstellen, ohne dabei etwas von dem Geschwindschritt der auf eine neue
Zeit hineilenden Entwicklung mitzufühlen. Und die heutige Rokokomode? Ist sie
nicht vielleicht ein Vorbote des kommenden Umschwunges?

Die äußeren Vorgänge deS Erdenlebens F. X. Messerschmidts, um den es
sich handelt, sind schnell erzählt: ein schwäbischer Handwerkersohn, wurde er aus
einer kinderreichen Familie frühzeitig herausgenommen und zeigte erst in München,
dann in Wien frühreifes Talent für die Plastik. Dann kam die unvermeidliche


Grenzboten IV 1912 80
Aus der Annstlerschaft des sterbenden Rokoko

geiht der Welt aufdrücken konnte als Zeichen einer Herrschaft, die den Natur-
gewalten unnahbar war.

Als in der Nacht aus den „Drei Eidgenossen" zu Schwuz der Fremdling
einsam abwanderte, der in Hemdärmeln mit dem Sohn der Doktorsfrau so
lcindsmännisch zu ihm gekommen war, da schüttelte der Wirt den Kopf, um
wieviel merkwürdiger doch solche Gäste wären als alles, was in Schwuz und
sonst redlich sein Tagwerk täte.



Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko
5. F. Nesserschmidt (^32 bis 1^783)
Dr. Rich. B n r g e von

le gegenwärtige Kunstbewegung in Deutschland setzte im Jahre 1890
mit der Devise Rembrandt als Erzieher ein. Die jugendfrische Be¬
geisterung der jungen Generation hat sich weiterhin wenig darum
gekümmert, ob sie in ihrem Schaffen dem Namen, den sie auf ihre
Fahne geschrieben, gerecht wurde. Es genügte die Schwungkraft,
die ein solcher Name in einer Stunde verleiht, wo jeder leicht das Feuer des
Helden in seiner Brust glühend empfindet.

Heute mehren sich die Anzeichen, die auf eine völlige Wandlung in unserem
Verhältnis zur Kunst schließen lassen: an Stelle einer subtil ausgebildeten Form
tritt mehr und mehr das Verlangen nach größerer Berücksichtigung inhaltlicher
Werte. Ein sehr bekannter Kunsthistoriker, der bei der neuen Kunst seinerzeit
mit Eifer Pate stand, riet in diesen Tagen seinem jüngeren Kollegen nicht immer
nur Paris aufzusuchen, um eine Reihe formaler Maßstäbe zu sammeln, sondern
auch einmal nach Kolmar oder Lüneburg zu pilgern und sich dort in Denkmäler
eines inhaltlich gewichtigen Kunstschaffens zu vertiefe».

So mag es keine ganz unfruchtbare Aufgabe sein, an der Hand eines Rokoko¬
künstlerschicksals den Vorgängen, wie sie sich bei einer sterbenden Kunst abspielen,
zuzusehen. Schon das wahre Rokoko des achtzehnten Jahrhunderts können wir
uns nicht vorstellen, ohne dabei etwas von dem Geschwindschritt der auf eine neue
Zeit hineilenden Entwicklung mitzufühlen. Und die heutige Rokokomode? Ist sie
nicht vielleicht ein Vorbote des kommenden Umschwunges?

Die äußeren Vorgänge deS Erdenlebens F. X. Messerschmidts, um den es
sich handelt, sind schnell erzählt: ein schwäbischer Handwerkersohn, wurde er aus
einer kinderreichen Familie frühzeitig herausgenommen und zeigte erst in München,
dann in Wien frühreifes Talent für die Plastik. Dann kam die unvermeidliche


Grenzboten IV 1912 80
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[0636] Aus der Annstlerschaft des sterbenden Rokoko geiht der Welt aufdrücken konnte als Zeichen einer Herrschaft, die den Natur- gewalten unnahbar war. Als in der Nacht aus den „Drei Eidgenossen" zu Schwuz der Fremdling einsam abwanderte, der in Hemdärmeln mit dem Sohn der Doktorsfrau so lcindsmännisch zu ihm gekommen war, da schüttelte der Wirt den Kopf, um wieviel merkwürdiger doch solche Gäste wären als alles, was in Schwuz und sonst redlich sein Tagwerk täte. [Abbildung] Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko 5. F. Nesserschmidt (^32 bis 1^783) Dr. Rich. B n r g e von le gegenwärtige Kunstbewegung in Deutschland setzte im Jahre 1890 mit der Devise Rembrandt als Erzieher ein. Die jugendfrische Be¬ geisterung der jungen Generation hat sich weiterhin wenig darum gekümmert, ob sie in ihrem Schaffen dem Namen, den sie auf ihre Fahne geschrieben, gerecht wurde. Es genügte die Schwungkraft, die ein solcher Name in einer Stunde verleiht, wo jeder leicht das Feuer des Helden in seiner Brust glühend empfindet. Heute mehren sich die Anzeichen, die auf eine völlige Wandlung in unserem Verhältnis zur Kunst schließen lassen: an Stelle einer subtil ausgebildeten Form tritt mehr und mehr das Verlangen nach größerer Berücksichtigung inhaltlicher Werte. Ein sehr bekannter Kunsthistoriker, der bei der neuen Kunst seinerzeit mit Eifer Pate stand, riet in diesen Tagen seinem jüngeren Kollegen nicht immer nur Paris aufzusuchen, um eine Reihe formaler Maßstäbe zu sammeln, sondern auch einmal nach Kolmar oder Lüneburg zu pilgern und sich dort in Denkmäler eines inhaltlich gewichtigen Kunstschaffens zu vertiefe». So mag es keine ganz unfruchtbare Aufgabe sein, an der Hand eines Rokoko¬ künstlerschicksals den Vorgängen, wie sie sich bei einer sterbenden Kunst abspielen, zuzusehen. Schon das wahre Rokoko des achtzehnten Jahrhunderts können wir uns nicht vorstellen, ohne dabei etwas von dem Geschwindschritt der auf eine neue Zeit hineilenden Entwicklung mitzufühlen. Und die heutige Rokokomode? Ist sie nicht vielleicht ein Vorbote des kommenden Umschwunges? Die äußeren Vorgänge deS Erdenlebens F. X. Messerschmidts, um den es sich handelt, sind schnell erzählt: ein schwäbischer Handwerkersohn, wurde er aus einer kinderreichen Familie frühzeitig herausgenommen und zeigte erst in München, dann in Wien frühreifes Talent für die Plastik. Dann kam die unvermeidliche Grenzboten IV 1912 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/636>, abgerufen am 15.01.2025.