Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aus der Rünstlerschaft des sterbenden Rokoko Romreise, auf der sich zuerst sein derbes Naturburschentum gegenüber der anwachsenden Eine unverbürgte Geschichte berichtet, Messerschmidt sei einmal beschuldigt ") Die Arbeit des Künstlers ist jetzt am besten zu übersehen in: Messerschmidts Werken,
in achtzig photographischen Nachbildungen, herausgegeben vom Historischen Kunstverlag in Baden bei Wien (Jos. Wlha), mit Einleitung von L. Hebest, 1"09. -- Die beste Lebens¬ beschreibung ist immer noch die von Jlg (t88S). Aus der Rünstlerschaft des sterbenden Rokoko Romreise, auf der sich zuerst sein derbes Naturburschentum gegenüber der anwachsenden Eine unverbürgte Geschichte berichtet, Messerschmidt sei einmal beschuldigt ") Die Arbeit des Künstlers ist jetzt am besten zu übersehen in: Messerschmidts Werken,
in achtzig photographischen Nachbildungen, herausgegeben vom Historischen Kunstverlag in Baden bei Wien (Jos. Wlha), mit Einleitung von L. Hebest, 1»09. — Die beste Lebens¬ beschreibung ist immer noch die von Jlg (t88S). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0637" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323039"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Rünstlerschaft des sterbenden Rokoko</fw><lb/> <p xml:id="ID_3105" prev="#ID_3104"> Romreise, auf der sich zuerst sein derbes Naturburschentum gegenüber der anwachsenden<lb/> Rokokoziererei geltend machte. Mit einem riesigen Holzklotz erschien er einmal im<lb/> Palast Farnese, um den dort befindlichen herrlichen Herakles nachzubilden, und<lb/> schon mußte er sich in ungeschliffen grobdeutscher Weise des Geredes seiner Kunst¬<lb/> genossen, die angesichts des rätselhaften Gebarens von Teufelsbeistand redeten,<lb/> erwehren. Späterhin machte es ihm ordentlich Spaß, eigene wertvolle Arbeiten<lb/> vor den Augen derer, die sie um hohen Preis begehrten, zu zertrümmern. In<lb/> Wien, wohin er 1766 zurückkehrte, begann für den Sonderling, der sich von der<lb/> Akademie zurückgesetzt fühlte, eine wahre Leidenszeit, und als nach fünfjähriger<lb/> Substitutswartezeit seine Anstellung als Professor erfolgen sollte, wußte man es<lb/> so einzurichten, daß dem des öfteren für wahnsinnig erklärten Künstler seine<lb/> Pensionierung zuteil wurde. Verbittert und menschenscheu zog sich Messerschmidt<lb/> nach Preßburg zurück und lebte dort weit draußen in einem einsamen Hause beim<lb/> Judenkirchhof. Seine ganze Lebensweise nahm mehr und mehr etwas saustisch<lb/> Unheimliches an. Neugierigen, und selbst wenn es reiche Auftraggeber waren,<lb/> wies er barsch die Tür, indem er erklärte, er arbeite nur für sich, und nach seinem<lb/> Tode werde er alles in die Donau schmeißen lassen. Den Ruf des Sonderlings zu<lb/> mehren, trugen auch die Werke bei, dank derer allein er in der Geschichte seiner<lb/> Zeit einen Platz verdient: seine Charakterköpfe aus Blei, Marmor oder Holz.<lb/> Die ersten entstammen dem Jahr 1770, sie fallen also in den Beginn des<lb/> deutschen Sturmes und Dranges, und neben Lenz, Lavater. Kaufmann und<lb/> Leuchsenring sollte auch Messerschmidt in der Schilderung jener Zeit nicht<lb/> fehlen;") denn mit all den Genannten hat er den Zug zu jugendfrischer<lb/> Ursprünglichkeit gemeinsam, und doch zeigt keimr von ihnen die Tendenzen der<lb/> Zeit so klar wie er, der den Vorzug hatte, mit einer schweren Lebens- und<lb/> Künstlererfahrung die Gedankengänge jener Leute mitzuerleben. Sein Beispiel<lb/> erklärt vielleicht auch am besten, wie schnell diese Stürmer der siebziger Jahre am<lb/> Ende ihres Könnens ankommen mußten, weil sie zu viel auf einmal in ihr Pro¬<lb/> gramm gesetzt hatten. Tragik der Jugend, die ungeduldig und vorschnell das<lb/> Größte erzwingen möchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3106" next="#ID_3107"> Eine unverbürgte Geschichte berichtet, Messerschmidt sei einmal beschuldigt<lb/> worden, einen Juden mit Ermordung bedroht zu haben. Andere erzählen, er habe<lb/> wirklich eines Tages einen armen Schächer in sein Haus gelockt und ihn mit der<lb/> Pistole bedroht, um die Wirkungen der Todesangst auf seinein Antlitz beobachten<lb/> zu können. Das klingt Wohl alles wie nachträglich erfunden, ist aber doch recht<lb/> bezeichnend für die Denkart des Künstlers. Er wollte tatsächlich einer im Akade¬<lb/> mischen festgewurzelten Kunst den Reichtum lebensfrischer empirischer Beobachtung<lb/> in Form von Typen gegenüberstellen. So entstand die lange Reihe von Köpfen:<lb/> der kindisch Weinende, der Erhängte, der Erzbösewicht, der Gähnende, der Mi߬<lb/> mutige usw. bis zu den beiden kuriosen „Schnabelköpfen", wie er sie nannte, mit<lb/> den vielsagenden Bezeichnungen seines ersten Biographen, „der rücksichtslose Aus-</p><lb/> <note xml:id="FID_67" place="foot"> ") Die Arbeit des Künstlers ist jetzt am besten zu übersehen in: Messerschmidts Werken,<lb/> in achtzig photographischen Nachbildungen, herausgegeben vom Historischen Kunstverlag in<lb/> Baden bei Wien (Jos. Wlha), mit Einleitung von L. Hebest, 1»09. — Die beste Lebens¬<lb/> beschreibung ist immer noch die von Jlg (t88S).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0637]
Aus der Rünstlerschaft des sterbenden Rokoko
Romreise, auf der sich zuerst sein derbes Naturburschentum gegenüber der anwachsenden
Rokokoziererei geltend machte. Mit einem riesigen Holzklotz erschien er einmal im
Palast Farnese, um den dort befindlichen herrlichen Herakles nachzubilden, und
schon mußte er sich in ungeschliffen grobdeutscher Weise des Geredes seiner Kunst¬
genossen, die angesichts des rätselhaften Gebarens von Teufelsbeistand redeten,
erwehren. Späterhin machte es ihm ordentlich Spaß, eigene wertvolle Arbeiten
vor den Augen derer, die sie um hohen Preis begehrten, zu zertrümmern. In
Wien, wohin er 1766 zurückkehrte, begann für den Sonderling, der sich von der
Akademie zurückgesetzt fühlte, eine wahre Leidenszeit, und als nach fünfjähriger
Substitutswartezeit seine Anstellung als Professor erfolgen sollte, wußte man es
so einzurichten, daß dem des öfteren für wahnsinnig erklärten Künstler seine
Pensionierung zuteil wurde. Verbittert und menschenscheu zog sich Messerschmidt
nach Preßburg zurück und lebte dort weit draußen in einem einsamen Hause beim
Judenkirchhof. Seine ganze Lebensweise nahm mehr und mehr etwas saustisch
Unheimliches an. Neugierigen, und selbst wenn es reiche Auftraggeber waren,
wies er barsch die Tür, indem er erklärte, er arbeite nur für sich, und nach seinem
Tode werde er alles in die Donau schmeißen lassen. Den Ruf des Sonderlings zu
mehren, trugen auch die Werke bei, dank derer allein er in der Geschichte seiner
Zeit einen Platz verdient: seine Charakterköpfe aus Blei, Marmor oder Holz.
Die ersten entstammen dem Jahr 1770, sie fallen also in den Beginn des
deutschen Sturmes und Dranges, und neben Lenz, Lavater. Kaufmann und
Leuchsenring sollte auch Messerschmidt in der Schilderung jener Zeit nicht
fehlen;") denn mit all den Genannten hat er den Zug zu jugendfrischer
Ursprünglichkeit gemeinsam, und doch zeigt keimr von ihnen die Tendenzen der
Zeit so klar wie er, der den Vorzug hatte, mit einer schweren Lebens- und
Künstlererfahrung die Gedankengänge jener Leute mitzuerleben. Sein Beispiel
erklärt vielleicht auch am besten, wie schnell diese Stürmer der siebziger Jahre am
Ende ihres Könnens ankommen mußten, weil sie zu viel auf einmal in ihr Pro¬
gramm gesetzt hatten. Tragik der Jugend, die ungeduldig und vorschnell das
Größte erzwingen möchte.
Eine unverbürgte Geschichte berichtet, Messerschmidt sei einmal beschuldigt
worden, einen Juden mit Ermordung bedroht zu haben. Andere erzählen, er habe
wirklich eines Tages einen armen Schächer in sein Haus gelockt und ihn mit der
Pistole bedroht, um die Wirkungen der Todesangst auf seinein Antlitz beobachten
zu können. Das klingt Wohl alles wie nachträglich erfunden, ist aber doch recht
bezeichnend für die Denkart des Künstlers. Er wollte tatsächlich einer im Akade¬
mischen festgewurzelten Kunst den Reichtum lebensfrischer empirischer Beobachtung
in Form von Typen gegenüberstellen. So entstand die lange Reihe von Köpfen:
der kindisch Weinende, der Erhängte, der Erzbösewicht, der Gähnende, der Mi߬
mutige usw. bis zu den beiden kuriosen „Schnabelköpfen", wie er sie nannte, mit
den vielsagenden Bezeichnungen seines ersten Biographen, „der rücksichtslose Aus-
") Die Arbeit des Künstlers ist jetzt am besten zu übersehen in: Messerschmidts Werken,
in achtzig photographischen Nachbildungen, herausgegeben vom Historischen Kunstverlag in
Baden bei Wien (Jos. Wlha), mit Einleitung von L. Hebest, 1»09. — Die beste Lebens¬
beschreibung ist immer noch die von Jlg (t88S).
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