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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Drei Könige

die sächsische Negierung bedacht hatte? Die widerspruchsvollen Nachrichten über
die Berliner Vorgänge und das Verhalten des Königs bekümmerten und ver¬
wirrten ihn. In seiner bescheidenen Art syr'ach er nur den Wunsch aus, es
möge jeneni glücken, den ausgetretenen Strom wieder in sein gesetzliches Bett
zu leiten: "Es sind gewiß noch viele gute Elemente bei Euch; möge es Dir
gelingen, sie zu stärken, und ich glaube, daß es dazu doch nöthig ist, den lieben
Berlinern nicht zu schön zu thun."

Indessen warnte er, nachdem Friedrich Wilhelm die Nationalversammlung
vertagt und ihren Sitz nach Brandenburg verlegt hatte, Ausgangs November
davor, die verheißenen Zugeständnisse zu widerrufen. Wenn er aber die
Oktroyierung einer Verfassung widerriet, weil sie die zahlreichen Gegner der
Krone vermehren würde, die sie nur in Form gegenseitiger Vereinbarung
entgegennehmen wollten, so fand er damit beim König keinen Anklang. Denn
wenige Tage darauf, an? 5. Dezember, wurde die Versammlung aufgelöst und
die preußische Verfassung wirklich oktroyiert. Auch hier bestanden also im ein¬
zelnen charakteristische Verschiedenheiten der Auffassung, obwohl man in der
Abneigung gegen die Revolution als solche natürlich einig war.

Viel tiefer gingen sie in der deutschen Frage auseinander, die mit der
revolutionären Bewegung in den Einzelstaaten ja von vornherein aufs engste
zusammenhing, aber jetzt erst in jenes entscheidende Stadium trat, wo sich die
Geister trennten. Auch Prinz Johann von Sachsen und der König von Preußen
wurden in diese allgemeinen Gegensätze hineingezogen, in denen der Lebens¬
oder Machtwille ihrer Staaten zur Entfaltung drängte. Sie besaßen ursprünglich
auch hier eine gemeinschaftliche Grundlage, und Johann ließ sich auch nicht von
ihr abdrängen; er blieb eins und ungebrochen in sich selber, während in dem
preußischen Herrscher die eigentümliche Gespaltenheit seines persönlichen und seines
politischen Wesens zutage trat.

Es umschloß diese zwei Fürsten von Jugend auf die Welt des deutschen
Bundes. Sie waren nicht blind gegen seine Schwächen, aber er spielte doch
für die Formung ihres Denkens eine große Rolle und setzte ihm gewisse Grenzen,
die in beiden stark zur Geltung kamen, als das politische Leben Deutschlands
in mächtigen Fluß geriet und eben diese Schranken zu sprengen suchte. Deutsch
fühlten Johann und Friedrich Wilhelm, und beide wünschten einen stärkeren
Ausbau der Bundesverfassung in: Sinne der deutschen Einheit. Damals, als
Metternich durch die sechs Artikel, die der preußische Kronprinz nicht kannte,
sein sächsischer Freund aber mißbilligte, die eben errungenen Rechte der Stände
einzuschränken suchte, bemerkte Johann: "Überhaupt wäre es einmal an der
Zeit, jene teutschen Angelegenheiten aus einem großartigeren Gesichtspunkt auf¬
zufassen. Alle rein repressiven Maßregeln werden nicht helfen, so lange der
Bund sich nicht die Meinung der Besseren zu sichern suchen wird; ja sie werden
nur schädlich wirken." Er hielt es an der Zeit, daß die Bundesakte ihre
Versprechen, das gemeinsame Wohl Deutschlands zu fördern, einlösten. "Das


Drei Könige

die sächsische Negierung bedacht hatte? Die widerspruchsvollen Nachrichten über
die Berliner Vorgänge und das Verhalten des Königs bekümmerten und ver¬
wirrten ihn. In seiner bescheidenen Art syr'ach er nur den Wunsch aus, es
möge jeneni glücken, den ausgetretenen Strom wieder in sein gesetzliches Bett
zu leiten: „Es sind gewiß noch viele gute Elemente bei Euch; möge es Dir
gelingen, sie zu stärken, und ich glaube, daß es dazu doch nöthig ist, den lieben
Berlinern nicht zu schön zu thun."

Indessen warnte er, nachdem Friedrich Wilhelm die Nationalversammlung
vertagt und ihren Sitz nach Brandenburg verlegt hatte, Ausgangs November
davor, die verheißenen Zugeständnisse zu widerrufen. Wenn er aber die
Oktroyierung einer Verfassung widerriet, weil sie die zahlreichen Gegner der
Krone vermehren würde, die sie nur in Form gegenseitiger Vereinbarung
entgegennehmen wollten, so fand er damit beim König keinen Anklang. Denn
wenige Tage darauf, an? 5. Dezember, wurde die Versammlung aufgelöst und
die preußische Verfassung wirklich oktroyiert. Auch hier bestanden also im ein¬
zelnen charakteristische Verschiedenheiten der Auffassung, obwohl man in der
Abneigung gegen die Revolution als solche natürlich einig war.

Viel tiefer gingen sie in der deutschen Frage auseinander, die mit der
revolutionären Bewegung in den Einzelstaaten ja von vornherein aufs engste
zusammenhing, aber jetzt erst in jenes entscheidende Stadium trat, wo sich die
Geister trennten. Auch Prinz Johann von Sachsen und der König von Preußen
wurden in diese allgemeinen Gegensätze hineingezogen, in denen der Lebens¬
oder Machtwille ihrer Staaten zur Entfaltung drängte. Sie besaßen ursprünglich
auch hier eine gemeinschaftliche Grundlage, und Johann ließ sich auch nicht von
ihr abdrängen; er blieb eins und ungebrochen in sich selber, während in dem
preußischen Herrscher die eigentümliche Gespaltenheit seines persönlichen und seines
politischen Wesens zutage trat.

Es umschloß diese zwei Fürsten von Jugend auf die Welt des deutschen
Bundes. Sie waren nicht blind gegen seine Schwächen, aber er spielte doch
für die Formung ihres Denkens eine große Rolle und setzte ihm gewisse Grenzen,
die in beiden stark zur Geltung kamen, als das politische Leben Deutschlands
in mächtigen Fluß geriet und eben diese Schranken zu sprengen suchte. Deutsch
fühlten Johann und Friedrich Wilhelm, und beide wünschten einen stärkeren
Ausbau der Bundesverfassung in: Sinne der deutschen Einheit. Damals, als
Metternich durch die sechs Artikel, die der preußische Kronprinz nicht kannte,
sein sächsischer Freund aber mißbilligte, die eben errungenen Rechte der Stände
einzuschränken suchte, bemerkte Johann: „Überhaupt wäre es einmal an der
Zeit, jene teutschen Angelegenheiten aus einem großartigeren Gesichtspunkt auf¬
zufassen. Alle rein repressiven Maßregeln werden nicht helfen, so lange der
Bund sich nicht die Meinung der Besseren zu sichern suchen wird; ja sie werden
nur schädlich wirken." Er hielt es an der Zeit, daß die Bundesakte ihre
Versprechen, das gemeinsame Wohl Deutschlands zu fördern, einlösten. „Das


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[0615] Drei Könige die sächsische Negierung bedacht hatte? Die widerspruchsvollen Nachrichten über die Berliner Vorgänge und das Verhalten des Königs bekümmerten und ver¬ wirrten ihn. In seiner bescheidenen Art syr'ach er nur den Wunsch aus, es möge jeneni glücken, den ausgetretenen Strom wieder in sein gesetzliches Bett zu leiten: „Es sind gewiß noch viele gute Elemente bei Euch; möge es Dir gelingen, sie zu stärken, und ich glaube, daß es dazu doch nöthig ist, den lieben Berlinern nicht zu schön zu thun." Indessen warnte er, nachdem Friedrich Wilhelm die Nationalversammlung vertagt und ihren Sitz nach Brandenburg verlegt hatte, Ausgangs November davor, die verheißenen Zugeständnisse zu widerrufen. Wenn er aber die Oktroyierung einer Verfassung widerriet, weil sie die zahlreichen Gegner der Krone vermehren würde, die sie nur in Form gegenseitiger Vereinbarung entgegennehmen wollten, so fand er damit beim König keinen Anklang. Denn wenige Tage darauf, an? 5. Dezember, wurde die Versammlung aufgelöst und die preußische Verfassung wirklich oktroyiert. Auch hier bestanden also im ein¬ zelnen charakteristische Verschiedenheiten der Auffassung, obwohl man in der Abneigung gegen die Revolution als solche natürlich einig war. Viel tiefer gingen sie in der deutschen Frage auseinander, die mit der revolutionären Bewegung in den Einzelstaaten ja von vornherein aufs engste zusammenhing, aber jetzt erst in jenes entscheidende Stadium trat, wo sich die Geister trennten. Auch Prinz Johann von Sachsen und der König von Preußen wurden in diese allgemeinen Gegensätze hineingezogen, in denen der Lebens¬ oder Machtwille ihrer Staaten zur Entfaltung drängte. Sie besaßen ursprünglich auch hier eine gemeinschaftliche Grundlage, und Johann ließ sich auch nicht von ihr abdrängen; er blieb eins und ungebrochen in sich selber, während in dem preußischen Herrscher die eigentümliche Gespaltenheit seines persönlichen und seines politischen Wesens zutage trat. Es umschloß diese zwei Fürsten von Jugend auf die Welt des deutschen Bundes. Sie waren nicht blind gegen seine Schwächen, aber er spielte doch für die Formung ihres Denkens eine große Rolle und setzte ihm gewisse Grenzen, die in beiden stark zur Geltung kamen, als das politische Leben Deutschlands in mächtigen Fluß geriet und eben diese Schranken zu sprengen suchte. Deutsch fühlten Johann und Friedrich Wilhelm, und beide wünschten einen stärkeren Ausbau der Bundesverfassung in: Sinne der deutschen Einheit. Damals, als Metternich durch die sechs Artikel, die der preußische Kronprinz nicht kannte, sein sächsischer Freund aber mißbilligte, die eben errungenen Rechte der Stände einzuschränken suchte, bemerkte Johann: „Überhaupt wäre es einmal an der Zeit, jene teutschen Angelegenheiten aus einem großartigeren Gesichtspunkt auf¬ zufassen. Alle rein repressiven Maßregeln werden nicht helfen, so lange der Bund sich nicht die Meinung der Besseren zu sichern suchen wird; ja sie werden nur schädlich wirken." Er hielt es an der Zeit, daß die Bundesakte ihre Versprechen, das gemeinsame Wohl Deutschlands zu fördern, einlösten. „Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/615>, abgerufen am 15.01.2025.