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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Drei Könige

Liberalismus mit Mißtrauen und verurteilte die unreifen Auswüchse des jungen
parlamentarischen Lebens, die er in seinen: engeren Vaterlande ebenfalls zu
beobachten Gelegenheit hatte. Aber als besonnener Kopf strebte er doch ehrlich
darnach, den berechtigten Kern in all diesen Erscheinungen herauszuschälen, die
der andere in Bausch und Bogen verdammte. Johann war ein viel weniger
deduktiver Geist als Friedrich Wilhelm. Er hielt sich strenger und nüchterner
an die einzelnen Tatsachen und lief daher auch weniger Gefahr, das Kind mit
dem Bade auszuschütten.

Die politischen Ereignisse, in die sie als Zuschauer oder handelnde Personen
verflochten waren, erweckten daher bei so verschieden gestimmten Temperamenten
selten den gleichen Widerhall, obwohl sie in den Grundanschauungen eins waren.

AIs die Pariser Julirevolution auch nach Sachsen hinübergriff, enthüllte
sich diese Verschiedenheit zum erstenmal an einem ernsten Beispiel. Der preußische
Thronfolger las dem Prinzen ziemlich nachdrücklich die Leviten wegen der Nach¬
giebigkeit der sächsischen Regierung. "Ich muß jetzt frey von der Leber weg
sprechen," schrieb er am 23. September 1830, "und mich Dir als Freund
beweisen -- und ein wahrer Freund kann nicht immer loben --. Die
Ereignisse bey Euch sind mir von allen ähnlichen, jetzt fast unzähligen
im schönen teutschen Lande die widrigsten und empörendsten. Zu Braunschweig
und Kassel herrschten oder herrschen Ungeheuer, würdig denen verstorbenen
Gottheiten Heliogabal's und Commodus' verglichen zu werden; Onkel Alten¬
burg, trotz seines 50 Jährigen Jubels, hat sich als ein alter Esel bewährt;
bey uns, zu Schwerin, zu Hamburg, ist Ernst gezeigt und alles beygelegt
worden --. Bey Euch waltet die väterlichste, billigste Regierung von
Teutschland, Ihr habt ein treues Heer, die mächtigsten Nachbarn, denen es
eine Freude wäre Euch moralisch und physisch beyzuspringen, und vor allem
ein vortreffliches Volk auf dem Lande -- ! -- I -- I -- Und Ihr weist dem
Otterngezücht, der Handvoll Canaille und Canaillen, dieser Mixtur von empörtem
Pöbel und schändlichen Empörern nicht die Zähne? -- I!! Ich sage es mit
größter Überzeugung -- unter allen denkbaren Lagen ist keine so vor ähnlichem
Beginnen sicherer stellende denkbar als die Eure! Und noch heute höre ich,
daß Ihr mit dem Gesinde! Euch einläßt, bald nachgeht, bald vorstellt, bittet
und verhandelt -- (das macht mir das Blut sieden) -- da wo Ihr von Gott
und Rechtswegen nichts thun sollt als befehlen -- entweder; oder --. Und
dies oder ist niemand so im Stande mit Nachdruck auszusprechen als Ihr--.
Ein Wort des Königs und der verehrten Prinzen an das LandVolk. und sie
schlagen die Empörer todt --. Ein Befehl an Eure Garnisonen, und sie besetzen
jauchzend die ungehorsamen Städte Dresden und Leipzig, und wehe denen, die
Widerstand leisten wollen; aber sie werden nicht wollen, wenn Ernst gezeigt
wird, ich garantire es; und flösse ein wenig Blut, nun denn mit Gottes Hülfe
fließe es; es ist dann gewiß solches Blut, das besser auf dem Pflaster des
Alten und Neumarkts an seinem Platz ist als in den Adern, die es jetzt durch-


Grenzboten IV 1912 77
Drei Könige

Liberalismus mit Mißtrauen und verurteilte die unreifen Auswüchse des jungen
parlamentarischen Lebens, die er in seinen: engeren Vaterlande ebenfalls zu
beobachten Gelegenheit hatte. Aber als besonnener Kopf strebte er doch ehrlich
darnach, den berechtigten Kern in all diesen Erscheinungen herauszuschälen, die
der andere in Bausch und Bogen verdammte. Johann war ein viel weniger
deduktiver Geist als Friedrich Wilhelm. Er hielt sich strenger und nüchterner
an die einzelnen Tatsachen und lief daher auch weniger Gefahr, das Kind mit
dem Bade auszuschütten.

Die politischen Ereignisse, in die sie als Zuschauer oder handelnde Personen
verflochten waren, erweckten daher bei so verschieden gestimmten Temperamenten
selten den gleichen Widerhall, obwohl sie in den Grundanschauungen eins waren.

AIs die Pariser Julirevolution auch nach Sachsen hinübergriff, enthüllte
sich diese Verschiedenheit zum erstenmal an einem ernsten Beispiel. Der preußische
Thronfolger las dem Prinzen ziemlich nachdrücklich die Leviten wegen der Nach¬
giebigkeit der sächsischen Regierung. „Ich muß jetzt frey von der Leber weg
sprechen," schrieb er am 23. September 1830, „und mich Dir als Freund
beweisen — und ein wahrer Freund kann nicht immer loben —. Die
Ereignisse bey Euch sind mir von allen ähnlichen, jetzt fast unzähligen
im schönen teutschen Lande die widrigsten und empörendsten. Zu Braunschweig
und Kassel herrschten oder herrschen Ungeheuer, würdig denen verstorbenen
Gottheiten Heliogabal's und Commodus' verglichen zu werden; Onkel Alten¬
burg, trotz seines 50 Jährigen Jubels, hat sich als ein alter Esel bewährt;
bey uns, zu Schwerin, zu Hamburg, ist Ernst gezeigt und alles beygelegt
worden —. Bey Euch waltet die väterlichste, billigste Regierung von
Teutschland, Ihr habt ein treues Heer, die mächtigsten Nachbarn, denen es
eine Freude wäre Euch moralisch und physisch beyzuspringen, und vor allem
ein vortreffliches Volk auf dem Lande — ! — I — I — Und Ihr weist dem
Otterngezücht, der Handvoll Canaille und Canaillen, dieser Mixtur von empörtem
Pöbel und schändlichen Empörern nicht die Zähne? — I!! Ich sage es mit
größter Überzeugung — unter allen denkbaren Lagen ist keine so vor ähnlichem
Beginnen sicherer stellende denkbar als die Eure! Und noch heute höre ich,
daß Ihr mit dem Gesinde! Euch einläßt, bald nachgeht, bald vorstellt, bittet
und verhandelt — (das macht mir das Blut sieden) — da wo Ihr von Gott
und Rechtswegen nichts thun sollt als befehlen — entweder; oder —. Und
dies oder ist niemand so im Stande mit Nachdruck auszusprechen als Ihr—.
Ein Wort des Königs und der verehrten Prinzen an das LandVolk. und sie
schlagen die Empörer todt —. Ein Befehl an Eure Garnisonen, und sie besetzen
jauchzend die ungehorsamen Städte Dresden und Leipzig, und wehe denen, die
Widerstand leisten wollen; aber sie werden nicht wollen, wenn Ernst gezeigt
wird, ich garantire es; und flösse ein wenig Blut, nun denn mit Gottes Hülfe
fließe es; es ist dann gewiß solches Blut, das besser auf dem Pflaster des
Alten und Neumarkts an seinem Platz ist als in den Adern, die es jetzt durch-


Grenzboten IV 1912 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/612>, abgerufen am 15.01.2025.